Rezension Rezension (5/5*) zu Cornelia Goethe (insel taschenbuch) von Sigrid Damm.

Momo

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10. November 2014
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Frauen an die Macht

Eine nach meinem Geschmack sehr gelungene Biografie zu der Schwester von Johann Wolfgang von Goethe. Die Autorin Sigrid Damm hat ziemlich gut recherchiert. Obwohl einige Zeugnisse aus verschiedenen Gründen vernichtet wurden, fand ich die Biografie im Ganzen rund. Sehr flüssig geschrieben und die Lücken fallen kaum auf. Ein Buch, das ich jeder Frau empfehlen kann, aber auch jedem Mann, dem das intellektuelle Wohl einer Frau am Herzen liegt.

Johann Wolfgang von Goethe und andere berühmte deutsche Dichter jener Zeit waren nicht um das Wohl ihrer Frauen interessiert. Auch der österreichische Komponist Johann Amadeus Mozart sah auf seine intellektuelle Schwester herab ... Weiteres ist dem Buch zu entnehmen.

Kurz ein paar Zeilen zu dem Senior Johann Caspar Goethe, der sich seinen Kindern gegenüber wie ein Despot entwickelte.

Er studierte Jura und aufgrund der problematischen politischen Lage hatte er seinen Beruf nicht mehr weiter ausgeübt und setzte sich mit 32 Jahren zur Ruhe. Er bezeichnete sich ab diesem Zeitpunkt als Privatier. Genaueres ist auf der Seite 20 zu entnehmen.

Wie verbringt Senior Goethe seine Zeit? Er hatte genug Hobbys, unterhielt in seinem großen Haus Gesellschaften … Spannend allerdings fand ich, als er Erzieher und Hauslehrer seiner eigenen Kinder wurde, weil er viel zu viel Zeit hatte. Ganz zum Leidwesen seiner Sprösslinge. Besonders Johann Wolfgang und Cornelia litten unter seinem strengen Regime.

Cornelia, 1750 geboren, ist ein Jahr jünger als Johann W. Die beiden Kinder verbrachten die meiste Zeit zusammen. Eine enge Geschwisterliebe bildete sich zwischen den beiden heran. Sie verbündeten sich auch gegen den Vater und witzelten hinter seinem Rücken über ihn. Z.B., dass die Kinder schlauer seien als der Vater …

Mit drei Jahren schickte der Vater die Kinder auf eine Spielschule in Frankfurt. Aber sie lernten dort nicht spielen, sondern rechnen und schreiben. Auch wurden sie so früh schon mit der ersten Fremdsprache konfrontiert. Der Vater hatte, was die Schulbildung betrifft, Cornelia und dem Bruder in der Behandlung gleichgestellt. Das war schon sehr revolutionär. Die Geschwister wurden schließlich dann getrennt, als der Bruder nach Leipzig zum Studieren zog. Cornelia musste zu Hause bleiben, und betrieb weitere Studien über Privatlehrer und über den Vater. Nun musste Cornelia den Vater alleine ertragen ...

Der Vater war so streng, dass Cornelia anfing, ihn mehr zu hassen als zu lieben. Sie vermisste schmerzlich ihren Bruder. Doch der Bruder veränderte sich Cornelia gegenüber und kam ganz nach dem Charakter seines Vaters. Auch J. W. nahm immer mehr herrische Züge an. Er und seine Schwester hielten Briefkontakt und der Bruder schrieb der Schwester im Befehlston vor, wie sie zu schreiben und welche Art von Büchern sie zu lesen habe. Das war ein Schock für Cornelia. Sie erhielt eine intensive Bildung, die sie aber nicht ausleben konnte. Die Autorin Damm vergleicht Cornelias Leben mit den Leiden des jungen Werthers in weiblicher Form.

Zitat:
"Cornelia machte sich Gedanken, wie sie nicht nur dem autoritären Vater entrinnen konnte. Sondern auch ihrem Bruder, wobei ihre Gefühle zu J. W. recht ambivalent waren.
Cornelia vermisst den Bruder. Haben Schwester und Bruder seit der Kindheit in solidarischem Miteinander, in kindlich, heiterer Verschwörungen gegen den Vater gelebt, so ist Cornelia nun allein, kann sich nicht mit dem Bruder aussprechen. Selbst in den Briefen nicht, sie passieren die Zensur des Vaters." (2015, 63)

Die Flucht ging nur über eine Heirat. Da Cornelia aber nicht dem Schönheitsideal entsprach, glaubte sie an keine romantische Liebe, sondern nur an eine Zweckehe. Sie hatte zu wenige Bewerber. Innerlich hatte Cornelia aber ganz andere Träume. Zum Beispiel der Welt mit all ihren Talenten nützlich sein zu wollen.

Auch J. W. von Goethe, der große Dichter und Denker, setzte trotz der gemeinsamen intensiven erlebten Geschwisterliebe später Cornelia herab. Frauen seien nur Schwatzbasen, mit gackernden Hühnern zu vergleichen. Doch auch er hatte Cornelia gegenüber zwischen Aufwertung und Abwertung ambivalente Gefühle.

Mehr verrate ich nicht und verweise Weiteres auf das Buch. Es gibt darin noch viel mitzuerleben.