Rezension (4/5*) zu Habe Häuschen. Da würden wir leben.: Die wunderbare Welt der Kontaktanzeigen v.

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
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Buchinformationen und Rezensionen zu Habe Häuschen. Da würden wir leben von Roger Willemsen
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Im Dschungel der Kontaktanzeigen...

Es gibt eine Literatur neben der Literatur, eine, die auf eigene Weise von dem spricht, was ist, was fehlt, was sein soll, und die aus allen Menschen Autoren macht: die Kontaktanzeige. Hier zeigen sich Menschen unverblümt, hier sagen sie, wie sie selbst sic h sehen oder gesehen werden möchten, hier entwickeln sie ihre Ideale eines geglückten Liebeslebens. Roger Willemsen hat lange und an entlegenen Publikationsorten recherchiert. In einer szenischen Lesung mit Anke Engelke denkt er laut über die unterschiedlichen Facetten der »Verpartnerungsprosa« nach und streift durch seine Funde.

Über 80 Millionen Deutsche haben allein im letzten Jahrzehnt eine Kontaktanzeige online gestellt. Fast jedes 5. Paar hat sich heutzutage im Internet kennengelernt. Um so dringender erschien Roger Willemsen daher die Aufgabe, sich einmal eingehender mit den Kontaktanzeigen zu befassen. Und - wenig verwunderlich - bei allen modernen Entwicklungen: die Sprache der Inserate ähnelt doch noch häufig der der Höhlenbewohner von einst.

Diese 85minütige Lesung ist kurzweilig inszeniert, dadurch dass sich Roger Willemsen und Anke Engelke abwechselnd und unterhaltsam laufend gegenseitig den Ball zuspielen. Highlights aus den Funden der Welt der Kontaktanzeigen werden untermalt durch nachdenkliche und dabei augenzwinkernde mögliche Interpretationen dieser ganz eigenen Schriftstücke - und Wissenswertes gibt es obendrein.

So erfährt der Hörer beispielsweise, dass die erste Kontaktanzeige am 19. Juli 1695 in einem Londoner Wochenblatt erschien - und für einen Eklat sorgte. "Ein Herr von etwa 30 Jahren mit ansehnlichem Besitz sucht eine junge Dame mit einem Vermögen von circa 3.000 Pfund." Nicht jedoch der Inserent war es, der im Kreuzfeuer der Kritik stand, sondern die verantwortlichen Redakteure, die ein solches Inserat zuließen. Erst 30 Jahre später gab eine Frau eine derartige Anzeige auf - diesmal allerdings mit Folgen für sie selbst. Sie wurde als Exzentrikerin verschrieen und in eine Nervenheilanstalt eingewiesen. Etwa 120 Jahre später, am 30. Januar 1956, gab es erstmals eine andere Form der Kontaktanzeige. Die Eltern einer gerade einmal erwachsenen Tochter, die an 'Veiztanz' erkrankt war, boten diese meistbietend möglichst einem 40-50 jährigen Arzt als Ehefrau an, wenn dieser sich nur ausreichend um sie kümmere...

Wirklich neu sind die Kontaktanzeigen also nicht. Nur das Internet sorgte als moderne Form der Verbreitung dafür, dass auch diese Schriftstücke eine Art Globalisierung erfuhren. Der Lesung ist anzumerken, dass sowohl Anke Engelke als auch Roger Willemsen deutlich Spaß an dem Vortrag hatten. Sehr positiv empfand ich dabei, dass sich die Sprecher zwischendurch zwar durchaus lustig machen über die Inhalte der Kontaktanzeigen, dabei aber auch nachdenkliche Töne einbringen und manchmal nahezu anrühren.

Viel weniger 'Klamauk' wird hier also geboten, als ich anfangs erwartete.
Aber ein paar skurrile Fundstücke seien hier dennoch weitergegeben: So
sprach jemand nahezu lyrisch in seiner Kontaktanzeige von der
Durchwanderung 'der grünen Auen des Kamasutras', bei einem zweiten schien es auf einen letzten Versuch hinauszulaufen 'Bin Rentner, 72, und suche jemanden, der das Leben genauso satt hat wie ich.' und ein dritter meinte
metaphorisch: 'Hänsel sucht Gretel - die Hexe hatte ich schon...'

Eine angenehm zu hörende Lesung um ein Phänomen der heutigen Zeit, die Unterhaltsames ebenso bietet wie Wissenswertes. Kein Muss, aber durchaus nett für zwischendurch!


© Parden