Rezension Rezension (5/5*) zu Die Frauen von La Principal: Roman von Lluís Llach.

Momo

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10. November 2014
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Buchinformationen und Rezensionen zu Die Frauen von La Principal: Roman von Lluís Llach
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Ein sehr kritischer und interessanter Gesellschaftsroman

Wow, das Buch hat mir sehr gut gefallen. Es hat mich recht nachdenklich gestimmt. Ein männlicher, spanischer Autor, der sich für die (sexuellen) Bedürfnisse einer Frau einsetzt, hat mir imponiert. Aber nicht nur ... Ein sehr kritischer Roman in mehrerer Hinsicht; Familie (Auflehnung gegen tradierte Geschlechterrollen und sexuelle Orientierung), Gesellschaft und Kirche.

Das Buch hat mich überrascht wegen dem kriminalistischen Akt, mit dem ich nicht gerechnet habe. Wir befinden uns im Jahr 1940, und ich war erstaunt darüber, als die Geschichte über einen vor vier Jahren (1936) begangenen Mord berichtet, der aufgeklärt werden soll. Ich werde mich diesbezüglich nicht weiter äußern, um anderen LeserInnen nicht die Spannung zu nehmen. Obwohl ich keine Krimileserin bin, fand ich ihn wirklich gut … Die letzten zwanzig Seiten haben sich ein wenig gezogen, nachdem man als Leserin geglaubt hat, der Mordfall sei bereits ausreichend aufgeklärt und abgeschlossen. Der Autor weiß es, seine Leserschaft prächtig zu unterhalten …

Anfangs war ich von den vielen spanischen Namen ein wenig irritiert, da mir die Figuren noch alle unbekannt waren. Dies legte sich aber wieder. Man kommt gut rein in die Szenen und sie lesen sich recht flüssig.

Die Geschichte mit politischem Hintergrund findet in Spanien statt, um genauer zu sein in Katalonien, im abgelegenen Dorf namens Pous, wo das Anwesen La Principal steht. Der Roman behandelt drei Generationen. Er beginnt 1940, man wird als Leserin durch eine Erzählerin aus La Principal in die Epoche 1893 zurückgeführt, als ein Inspektor sein Interview bei einer Bediensteten des Anwesens startet ...

In allen drei Generationen tragen die Protagonistinnen denselben Namen Maria. Das fand ich erst auch sehr irritierend, da ich Mühe hatte, sie auseinanderzuhalten. Ich malte mir dann selbst einen Stammbaum auf, den ich aber langfristig gar nicht gebraucht hätte. Mit jeder zunehmenden gelesenen Seite wurden mir die Marias und die anderen Romanfiguren allmählich vertraut. Aber nicht nur ich als Leserin war irritiert, sondern auch die Maria aus der dritten Generation. Ihr neunzigjähriger Vater Llorenc Costa hatte ein Buch über das ganze Procedere dieser Familienchronik und deren Problematik geschrieben und gibt es 2001 seiner mittlerweile sechzigjährigen Tochter Maria zu lesen:

Zitat:

"Also, zuerst habe ich überhaupt nichts kapiert, ständig bin ich mit den Marias und den Epochen durcheinandergekommen und musste zurückblättern, um mich zurechtzufinden." (2016, 216).

Das war so die einzige Hürde, die ich auf den ersten fünfzig Seiten überwinden musste, als ich mir dann schließlich alle ProtagonistInnen, die der Familie Andreu Roderich und seiner Frau Maria abstammten, merken konnte.

Aber dieses Verzwickte, immer wieder von der einen Epoche in die andere zu springen, von der einen Maria zur anderen, das hat mir dann schließlich Spaß gemacht. Das habe ich im Nachhinein wie mentale Akrobatik erlebt.

Doch die Einschätzung bzw. die Charaktere der Figuren aus der ersten Generation konnten mich auch nicht täuschen, trotz der Beschreibung des Klappentexts. Ich wusste, dass die junge Maria Roderich, das einzige Mädchen unter ihren vier männlichen Geschwistern, von ihrem Vater auf dem zweiten Blick nicht benachteiligt wurde … Auch hier halte ich mich weiter bedeckt.

Was mich tief beeindruckt hat, waren die Marias aus der ersten und der zweiten Generation, wie sie als Frauen mit der Macht ihres Anwesens und der Dorfbevölkerung umgingen. Aber auch die Maria aus der dritten Generation hatte es nicht leicht, als ein autonomes, freies, sexuelles Wesen von den Männern anerkannt und akzeptiert zu werden. Insgesamt waren es starke Frauen, die sich gegen die verschiedenen Männerdomänen sehr gekonnt und beherrscht durchzusetzen wussten ...

Die Beziehung zwischen Maria Magi und dem Homosexuellen Llorenc Costa fand ich spannend, in welcher Beziehungskonstellation sie hauptsächlich schon von Kindesbeinen an und in unterschiedlichen gesellschaftlichen Schichten trotzdem sexuell zueinander fanden.


Mein Fazit zu dem Buch?

Das Buch hat mir so gut gefallen, dass ich es irgendwann ein weiteres Mal lesen möchte. Ich halte den Autor für sehr emanzipiert, indem er in seinem Roman hauptsächlich den Frauen seine Stimme leiht. Als Mann ist es ihm sehr gut gelungen, sich in das andere Geschlecht und deren Bedürfnisse hineinzuversetzen.

Außerdem ist das Buch sehr fantasievoll geschrieben. Mir hat seine literarische Sprache insgesamt sehr zugesagt. Den Inhalt fand ich historisch recht glaubwürdig und die Charaktere jeder Figur differenziert und authentisch.


 
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