Rezension Rezension (4/5*) zu Leons Erbe (Hochspannung 18) von Michael Theißen.

Mikka Liest

Bekanntes Mitglied
14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Wie gut kennt man die Menschen, die man liebt?

"Leons Erbe" ist der Debütroman des Sozialwissenschaftlers Michael Theißen, und passenderweise geht es in diesem Thriller eben nicht nur darum, den Täter zu finden, sondern auch darum, was die Hauptfigur motiviert - was sie denkt und fühlt, fürchtet und hofft, und vor allem auch, wie sie in einer Zeit persönlicher Tragödie mit anderen Menschen umgeht.

Die Geschichte beginnt damit, dass Katja über die Albträume spricht, die sie plagen, seit ihre Schwester verschwunden und ihr Sohn gestorben ist. Doch auch ihr waches Leben ist geplagt von lähmender Trauer, aus der sie sich nicht lösen kann. Bestürzt und hilflos beobachtet sie, wie ihr Mann sich mehr und mehr verändert, getrieben von rasendem Hass auf den unbekannten Unfallfahrer, der ihren Sohn einfach sterbend am Straßenrand zurückgelassen hat. Doch dann rütteln sie eine Reihe unerwarteter, dramatischer Ereignisse aus ihrer Lethargie und sie macht sich auf, den Tod ihres Sohnes aufzuklären - und dabei stellt sie fest, dass sie die Menschen, die ihr am nächsten stehen, vielleicht nicht so gut kennt, wie sie dachte. Mehr und mehr zweifelt sie an ihrer eigenen Wahrnehmung.

Der Autor beschreibt Katjas Emotionen bestürzend lebensecht und authentisch. Wer schon einmal einen geliebten Menschen auf gewaltsame Weise verloren hat, kennt dieses Gefühl, dass die Welt sich auf grundlegende Art und Weise verändert hat und aus dem Takt geraten ist, dass sich alles irgendwie falsch anfühlt - fast so, als wären Glück und Sicherheit immer schon eine Lüge gewesen und es könnte deswegen niemals wieder besser werden.

Zitat:
"Überall wurde ich an ihn erinnert, und jedes Mal versetzte es mir einen furchtbaren Stich ins Herz. (...) Was aber noch viel weniger zu begreifen war: Es würden keine neuen Erinnerungen mehr hinzukommen. Niemals mehr."

Die anderen Charaktere bleiben zum größten Teil blasser als Katja, aber im Grunde passt das auch - wie sollen wir durch Katjas Augen die Menschen um sie herum wirklich im tiefsten Inneren kennenlernen, wenn sie selber immer mehr hinterfragt: was weiß ich denn überhaupt über ihn/sie?

Dennoch ist das Buch nicht nur ein Psychodrama, sondern auch ein Psychothriller, und diese Mischung fand ich erfrischend originell, emotional berührend und dabei sehr spannend. Michael Theißen legt viele Fährten für den Leser, darunter viele falsche, und so habe ich bis zum Schluss mitgerätselt und mich dabei mehr als einmal aufs Glatteis führen lassen.

Die Auflösung am Schluss erschien mir zwar schlüssig und glaubhaft, wurde aber für meinen Geschmack ein wenig zu schnell abgehandelt. Ich hätte mir gewünscht, letztendlich doch mehr über die Motive der Menschen zu erfahren, die auf die ein oder andere Art an Leons Tod beteiligt waren. Auch, wie es mit Katja und den Menschen in ihrem Leben weitergeht, hätte mich noch weitergehend interessiert!

Der Schreibstil ist klar und dabei eindringlich, oft beklemmend und voll unterschwellig bedrohlicher Atmosphäre, aber immer ganz nahe dran an Katjas Emotionen. Mir sind immer mal wieder Kleinigkeiten aufgefallen, wie zum Beispiel dreimal das Wort "wieder" in nur zwei aufeinanderfolgenden Sätzen, aber ansonsten fand ich das Buch sehr professionell, da hätte ich nicht auf Debütroman getippt!

Fazit:
Katja erlebt ein persönliches Drama nach dem anderen: erst verschwindet ihre Schwester, dann wird ihr Sohn nachts auf einer abgelegenen Landstraße überfahren und stirbt. Auf der Suche nach Antworten findet sie erstmal nur noch mehr Fragen - darunter die, wie gut sie ihren Sohn eigentlich kannte...

"Leons Erbe" ist ein beeindruckender Debütroman irgendwo zwischen Psychodrama und Psychothriller, mit einer glaubhaften Protagonistin, deren Gefühle ich gut nachempfinden konnte. Die Aufklärung von Leons Tod (Mord? Unfall?) wird spannend geschildert, mit vielen unerwarteten Wendungen und falschen Fährten.

 

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