Rezension Rezension (4/5*) zu Lieber Mr. Salinger von Joanna Rakoff.

wal.li

Bekanntes Mitglied
1. Mai 2014
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Briefe

Überrascht so schnell ein Stellenangebot zu bekommen, sagt Joanna sofort zu. Nach dem Literaturstudium scheint es ideal, in einer Literaturagentur anzufangen. Auch wenn die Jobbeschreibung für ihre Eltern sehr nach Sekretärin klingt. Mitte der 1990er beginnt eine Zeit des Umbruchs, immer mehr Computer werden angeschafft, die analoge Welt wird mehr und mehr zurück gedrängt. Da wirkt die kleine Agentur wie ein Überbleibsel aus vergangenen Tagen. Dennoch fühlt es sich für Joanna an als sei sie angekommen. Erst nach einiger Zeit findet sie heraus, um wen es sich bei dem wichtigsten Klienten der Agentur handelt: J. D. Salinger. Unter anderem soll sich Joanna um die zahlreichen Briefe kümmern, die der Autor erhält.

Wie es der Zufall will bekommt die junge Joanna gleich zu Beginn ihrer beruflichen Laufbahn mit einer der amerikanischen Literaturikonen zu tun. J. D. Salingers Roman „Der Fänger im Roggen“ ist weltberühmt. Der Autor selbst lebte allerdings sehr zurückgezogen und seine Agentur, in der Joanna arbeitet, soll unter anderem diese Zurückgezogenheit schützen. Dabei wirken die wenigen Augenblicke, in denen der Autor meist nur telefonisch auftaucht, zwar ein wenig schrullig, aber keinesfalls so weltabgewandt, wie man aus seiner Biografie herleiten könnte.

Interessant wie Joanna ihre ersten Schritte beschreibt, ihre Unsicherheiten der frühen Tage, wie sie langsam an Sicherheit gewinnt und über ihre Sekretärinnentätigkeit hinauswächst. Eine Zeit nach der Ausbildung während aus einer Jugendlichen langsam eine Erwachsene wird. Im Beruf die Frau zu stehen ist nicht alles, finanzielle Schwierigkeiten zu überwinden gehört dazu und auch die Erkenntnis, dass der Freund nicht immer ehrlich ist. Ein Jahr des Lernens, der Erkenntnisse, des Aufbruchs. Mit Herz und Mut geht Joanna an ihre Aufgabe, die sie für ihr weiteres Leben prägt und formt. Ein Sprungbrett in ein Leben in der Welt der Literatur, allerdings auch ein Sprungbrett aus einem melancholisch angestaubten Relikt der Vergangenheit in die schnelllebige Gegenwart.