Rezension Rezension (5/5*) zu Die Schwarze Victoria von Guido Krain.

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Die Gesellschaft kindlicher Neugier

In meinen Augen hat "Die Schwarze Victoria" vieles zu bieten: ein spannendes Abenteuer in einer alternativen Version unserer Realität, ungewöhnliche Liebesgeschichten, lebendige Charaktere und einen trockenen Humor. Wenn ich es einem Genre zuordnen müsste, würde ich mich für Steampunk entscheiden - allerdings eine sehr originelle Variante davon, mit vielen außergewöhnlichen Ideen.

Da der Autor dem Leser direkt zu Beginn des Buches übersichtlich erklärt, wie Feylon, die Welt des Buches, aufgebaut ist, werde ich hier nicht ins Detail gehen, nur soviel:

Die Helden der Geschichten kommen aus dem Kionischen Reich, das große Ähnlichkeiten mit unserem Viktorianischen Zeitalter hat, was die Gesellschaftsstruktur, die Rolle der Frau und die Freizeitbeschäftigungen betrifft, aber auch die Einstellung zur Kolonialisierung. Der größte Feind ist das alte Imperium Asgor, in dem Sitten und Gebräuche herrschen, die fremdartig und archaisch anmuten, besonders was die Behandlung von Frauen und Sklaven als Besitz angeht.

Meist ist es bei Steampunk ja so, dass der Unterschied zur realen Viktorianischen Zeit darin besteht, dass schon einige moderne Erfindungen vorweggenommen wurden, basierend auf Dampfkraft. Hier ist es aber so, dass die Naturgesetze leicht anders funktionieren als in unserer Realität und Dampfkraft dadurch tatsächlich nur schwer und eingeschränkt einsetzbar ist! Also - Steampunk ohne Steam? Dennoch gibt es erstaunlichen Fortschritt und großartige Erfindungen. In dieser Welt gibt es auch keine Elektrizität, dafür aber eine Energie namens "Ta", die aus einem Element namens "Nyrium" gewonnen wird.

Mir hat gut gefallen, dass der Autor einem Genre mit viel Potential seine eigene Handschrift aufdrückt! Die Geschichte hat mich direkt mit diesen ersten Zeilen schon gepackt:


"Wo bin ich denn hier gelandet?

Sie waren so unvorsichtig, die Seiten eines Buches aufzuschlagen. Und wie das mit dem Aufschlagen von Büchern so ist, zuweilen wartet gleich hinter dem Deckel eine andere Welt auf ihre Entdeckung. Auch das Buch, das sie gerade in den Händen halten, zählt zu dieser Kategorie."


Und auch der Rest des Buches hat mich überzeugt und alles andere als enttäuscht. Die Geschichte hat für mich Stimmung und Ambiente einer klassischen Abenteuergeschichte, wie zum Beispiel den Romanen von Jules Verne. Es gibt rasante Szenen voller Action, es gibt auch durchaus den ein oder anderen Toten, aber dennoch bewegen sich unsere Helden, allesamt Mitglieder der "Society of Childlike Curiousity" ("Gesellschaft kindlicher Neugier"), stets mit untadeligem Stil und gepflegten Manieren durch ihr Abenteuer - mit Ausnahme vielleicht von William Bedford, der als reicher Erbe dergleichen nicht unbedingt nötig hat.

Die Charaktere haben alle eine sehr prägnante, unverwechselbare Persönlichkeit, so dass ich sie sehr schnell problemlos auseinander halten konnte. Ob das jetzt Sir Arthur ist, der auf erstaunlichem, beinahe märchenhaftem Wege zu seinem Luftschiff, der "Schwarzen Victoria" kam, seine Vertraute und Butlerin Io (ein echter Skandal, eine Frau als Butler!), oder die sowohl schöne als auch hochintelligente Lady Catherine von Ashbury, deren scharfe Zunge eine gnadenlose Waffe ist... Ich würde sie alle gerne in einer Fortsetzung der Geschichte wiedersehen.

Zitat (Lady Catherine von Ashbury):
"Es gibt Menschen, die eine Kunst namens Lesen beherrschen", erklärte sie mit ätzender Freundlichkeit. "Und andere Menschen bedrucken Papier mit Texten, in denen sie die wichtigsten Neuigkeiten zusammenfassen. Man nennt so etwas Zeitung."

Es gibt Liebesgeschichten in diesem Buch, aber es sind nicht unbedingt die, die man erwarten würde! Mir gefiel das gut, denn so waren sie nicht vorhersehbar. So ganz allergisch sollte man gegen ein bisschen Kitsch nicht sein, aber ich fand die Romanzen wunderschön geschrieben - homophob sollte man allerdings ebenfalls nicht sein.

Der Schreibstil hat einen ganz wunderbaren "Klang", mit viel Liebe zum ausgeschmückten Detail und ausdrucksstarken Bildern. Er trifft genau den richtigen Tonfall für diese Mischung aus Viktorianischem Zeitalter, Science Fiction und Abenteuer. Auch der Humor traf genau meinen Geschmack - meist staubtrocken und eben irgendwie so, wie man sich das bei viktorianischen Gentleman-Abenteurern vorstellt.

Fazit:
Die edlen Herren und Damen der "Society of Childlike Curiousity" ziehen mit ihrem Luftschiff, der "Schwarzen Victoria" auf eine Rettungsmission - im vollen Bewusstsein, dass es sich dabei um eine Falle handeln könnte. Und natürlich ist das der Auftakt zu einem echten Abenteuer voller Gefahren, erstaunlicher Entdeckungen und heimtückischer Feinde.

Das Buch lässt sich dem Genre Steampunk zuordnen, aber ich denke, dass es auch Fans von Fantasy- und Abentuergeschichten ansprechen kann! Mir hat es rundum gut gefallen: es ist einfallsreich, originell und spannend, die Charaktere sind glaubhaft und komplex, und der Schreibstil hat einen wunderbaren Fluss und großartige Bilder und Metaphern.

 
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Sakuko

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27. Juni 2016
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Oh ja, das war ein tolles Buch. Schade, das Guido Krain nicht mehr Steampunk geschrieben hat, wobei seine Space Opera auch nicht schlecht ist.

Io und Lady Catherine waren meine Lieblingscharaktere, und das bisschen SM war genau die Richtige Menge Spice ohne gleich zu sehr ins erotische abzugleiten.:D

Das Ende war ein bisschen Deus Ex Machina und die Liebesgeschichte zwischen Arthur und Victoria fand ich eigentlich doch etwas Klischee, aber das hat dem Buch keinen Abbruch getan.
 
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