Rezension Rezension (4/5*) zu Sunset. Roman von Klaus Modick.

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Emigration ist eine schwere Krankheit an sich

Klaus Modicks Roman „Sunset“ ist eine literarische Wanderung zwischen Fiktion und Realität, zwischen Dichtung und Wahrheit. Er berichtet von tatsächlichen Personen und stützt sich ganz wesentlich auf mündliche und schriftliche Überlieferungen von und über den/die auftretenden Personen.
An der amerikanischen Westküste ist auch noch Jahre nach dem Zusammenbruch der Nazidiktatur in Deutschland eine Kernzelle der deutschen Literatur verblieben. Kern und Zentrum dieser Autorenzelle ist Lion Feuchtwanger, der – angestoßen durch die Nachricht vom Tod Bertolt Brechts – über einige im Roman geschilderte einsame Stunden in eine intensive kritische Betrachtung über seine Situation verfällt. Der Roman schildert uns aus der Innensicht des Schriftstellers Lion Feuchtwanger seine innere Zerrissenheit und seine inneren Konflikte angesichts der politischen und wirtschaftlichen Lage im Heimat- und Fluchtland. Dabei tritt die Reflexion über die Rolle des deutschen Schriftstellers im Exil hervor. In Deutschland wird zu dieser Zeit am Aufbau zweier neuer Staaten gearbeitet. Einige seiner Kollegen sind wie selbstverständlich zurückgekehrt, haben sich auf eine der Seiten gestellt und helfen aktiv mit beim geistigen und organisatorischen Aufbau dieser Staaten nach der Katastrophe des Dritten Reiches, so wie Arnold Zweig. Andere versuchen weiterhin über ihre literarische Tätigkeit nicht nur zu überleben, sondern auch das geistige Klima im neuen Deutschland mitzuprägen, so wie Bert Brecht. Nur Lion Feuchtwanger verbleibt weiterhin in den USA, lebt in seiner schicken Villa in Pacific Palisades, dem damals so genannten „Weimar unter Palmen“, genießt seinen finanziellen Erfolg während des Exils und leidet unter den stärker werdenden Anfeindungen des amerikanischen Staates gegen alle vermeintlich links orientierten Personen. So lebt Feuchtwanger letztlich den Gegenentwurf zu dem Leben aller ihm bekannten und wichtigen Zeitgenossen in der deutschen Literatur. Er ist zerrissen zwischen Bürgerlichkeit und Radikalität und nutzt die Bürgerlichkeit eben auch als Fluchtpunkt aus dem Hexenkessel des politischen Statements.
<blockquote> „So schwieg auch Feuchtwanger oder wiegelte ab, wenn es um Stalins Untaten ging, schwieg, schwieg als es ihren japanischen Nachbarn an den Kragen ging. Lieber zeigte man den Werfels das herrliche, vom FBI observierte Schlösschen.“ </blockquote>
Sein kommerzieller Erfolg – sichtbar gemacht vor allem in seinem luxuriösen Anwesen – hebt ihn aus der Menge der zeitgenössischen, vom Naziregime verfolgten Autoren heraus und macht ihn gleichzeitig suspekt. So urteilte Thomas Mann über ihn ggü einem Kollegen:
„Haben Sie die Perfektion der Einrichtung bemerkt, die 18.000 ledergebundenen Bücher, alle von ihm nicht nur gelesen, sondern auch verstanden und im Gedächtnis behalten, die abwechslungsreichen Schreibtische, einer, um im Liegen zu schreiben, ein anderer, um sitzend zu schreiben, ein dritter zum Stehen, und die prächtigen Schreibutensilien […] und was kommt bei all der Vollkommenheit heraus? Reine Scheiße.“ Und diese Skepsis und Kritik erlebt Feuchtwanger nicht nur in der Außenwahrnehmung, sondern auch in der Innensicht über sich selbst. Er stellt sich die Frage: Darf ein linker, regimekritischer Autor überhaupt kommerziellen Erfolg haben? Oder macht ihn das nicht von vornherein unglaubwürdig und sein Werk fadenscheinig? Wie wird man seinem Verantwortungsgefühl für Deutschland gerecht? All diese existentiellen Fragen bewegen Feuchtwanger in dem kurzen Ausschnitt seines Lebens, in den Klaus Modick uns mit ihm eintauchen lässt. Ein ständiges Schuldgefühl ob der eigenen Rolle und Situation ist prägend für die Stimmungslage Feuchtwangers
<blockquote> „Ein Emigrant aber, der nicht heimkehrt, ist erst recht verdächtig. Er liebt sein Land nicht. Erst lässt er es im Stich, dann bleibt er ihm fern. Er ist der doppelte Verräter.“ </blockquote>
Liefert vielleicht das literarische Werk dann die Rechtfertigung für das gewählte Leben? Feuchtwanger beschäftigt sich zur Beantwortung dieser Frage auch eindringlich mit dem Wert und dem Charakter von Literatur:

<blockquote> „Wenn Schreiben mehr sein soll als Morgengymnastik, mehr als hoffnungsloser Kampf gegen den eigenen Verfall und das Nachlassen der Erinnerung, dann ist das Schreiben eine gefährliche Beschäftigung. Tendenziöses Schreiben, wie Brecht es betrieben hat und wie er selbst es betrieben hat, weil die Zeitläufe ihn dazu gezwungen haben, ist immer schon bedrohlich gewesen. Und die Bedrohung durch die Nazis und ihr Hass waren eine Bestätigung, dass die Tendenz notwendig war. Aber heute und hier im Schoß der großen Demokratie Amerika scheint es bereits gefährlich zu sein, Worte für den unwandelbaren Ozean zu finden oder in einem Stinktier ein Gleichnis für den Stand der Dinge, die eigene Lage zu sehen. Aber vielleicht ist Schreiben zu allen Zeiten, in allen Lagen, gefährlich gewesen und wird es immer sein, weil eine Persönlichkeit hinter den Worten steht, die sich gegen die Dummheit und Brutalität der Welt auflehnt.“ </blockquote>
Mein Fazit: Der Schriftsteller Feuchtwanger hat mich schon seit langer Zeit interessiert und angezogen. Das hat mich auch zur Lektüre dieses Romans animiert. Im Germanistikstudium habe ich genau die Skepsis gegenüber seinem Werk zu spüren bekommen, die Modick in „Sunset“ auf interessante Art schildert. „Ach, Feuchtwanger interessiert Sie? Ist das nicht Massenware? Warum beschäftigen Sie sich nicht eher mit dem großen Brecht, mit Mann oder Zweig?“ Die deutsche Literaturgeschichte hat sich genau die Skepsis gegenüber dem Werk zu eigen gemacht, in die sich Feuchtwanger in der fiktiven Handlung von Sunset hineingräbt. Und doch bleibt ein nicht nur mengenmäßig großes Werk zurück. Und so gebe ich nach Lektüre von „Sunset“ nicht nur gerne eine Leseempfehlung für diesen Roman von Klaus Modick für alle, die sich in dieses literaturgeschichtlich interessante Setting begeben wollen, sondern verbinde das auch mit einem Plädoyer für den unterschätzten und heute oft übersehenen Lion Feuchtwanger. Ich liebe insbesondere seine „Wartesaal-Trilogie“


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