Nach zwei Dritteln kann ich sagen: Chapeau, Herr Poschenrieder. Kaleidoskopartig erzählt der Autor scheinbar von leichter Hand geschrieben - und doch ist jedes einzelne Wort wohlgesetzt - von Geschehnissen kurz vor Beginn sowie kurz nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Eine Vielfalt von Themen steht hier gleichberechtigt nebeneinander, man bekommt ein eindringliches Bild vermittelt von den Zuständen zu dieser Zeit. Ein junger Kunsthistoriker wird von Berlin nach Rom versetzt, unternimmt von dort aus gemeinsam mit einem Gehilfen Exkursionen nach Apulien, auf den Spuren des Stauferkaisers Friedrich II. Ausführlich wird von den Erlebnissen in Unteritalien sowie in Rom berichtet - allerdings in Rückblenden. Denn eigentlich sitzt der Kunsthistoriker gerade in Berlin und wird von einem erfahrenen Polizeibeamten vernommen. Wegen auffälligen Verhaltens: der junge Mann ist durch die Straßen der Stadt gelaufen und hat alle paar Meter ein Säckchen Sand aus seinen Taschen geholt und mit Berliner Sand vermischt, dabei irgend etwas vor sich hingemurmelt. Grund genug in diesen misstrauischen Zeiten, dass ein Polizist ihn in Gewahrsam genommen hat. Das eigentliche Thema hinter all dem ist aber die Homosexualität, zu der Zeit gesetztlich streng verboten und strafbar. Und eben dieser junge Kunsthistoriker ist homosexuell und versucht, wie andere auch, diese Tatsache unter allen Umständen zu verbergen, ist selbst im liberaleren Ausland äußerst vorsichtig im Umgang mit seiner Neigung. Der ihn vernehmende Polizeibeamte versucht nun hinter das Geheimnis zu kommen - man darf gespannt sein auf den Ausgang.
Poschenrieder gelingt es, einen historischen Roman, einen Kriminalroman, einen Roman über gesellschaftliche (In-)Toleranz, aber auch über die Liebe zu schreiben und bei all dem auch eine (Anti-)Kriegsgeschichte zu erzählen. Dabei wirkt das Buch keineswegs überfrachtet, die Elemente und Zeitebenen greifen gekonnt und passend ineinander wie das feingewirkte Innenleben einer komplexen Uhr - und der Schreibstil ist so leicht wie passend, authentisch zum gewählten Zeitalter, und dabei kein bisschen übertrieben. Ich bin echt begeistert.