Rezension Rezension (3/5*) zu Maestra: Roman von L.S. Hilton.

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Abstieg in Dekadenz und Gewalt

"Maestra" wird oft verglichen mit so unterschiedlichen Büchern wie "Gone Girl" von Gillian Flynn, "Fifty Shades of Grey" von E.L. James oder der "Millennium"-Trilogie von Stieg Larsson, und dabei polarisiert das Buch ungemein. Man muss sich nur die internationale Resonanz anschauen: für jede begeisterte 5-Sterne-Bewertung gibt es mindestens einen totalen Verriss. Das hat mich sehr neugierig gemacht! Ich wollte mir meine eigene Meinung bilden - und das habe ich jetzt auch getan.

Um das Buch mal kurz und knapp zusammenzufassen:

Eine junge Frau aus der untersten Unterschicht erkämpft sich eine gute Schulbildung und einen Universitätsabschluss, wird als Kunstexpertin in einem renommierten Auktionshaus angestellt, vom korrupten Chef rausgeschmissen, weil der, von ihr ungestört, Geldwäsche per Kunstbetrug durchziehen will, beginnt daraufhin eine Gratwanderung zwischen Escort-Service und Nobel-Prostitution und bringt schließlich aus Versehen jemanden um. Danach brennen alle Sicherungen durch und sie beginnt einen gnadenlosen (und gelegentlich blutigen) Feldzug, um sich die Macht, das Geld und das Ansehen zu holen, die ihr ihrer Meinung nach zustehen.

Diese Grundidee finde ich immer noch grandios, sehr originell und mit enormem Spannungspotential. Die Umsetzung hat mich nicht vollends überzeugt, aber einfallsreich ist das Ganze auf jeden Fall.

Originell ist auch die Protagonistin, denn die passt in keine Schublade. Mit den (Anti-)Heldinnen von Flynn und Larsson hat Judith gemein, dass sie sich aggressiv nimmt, was sie will, und sich nicht im Geringsten daran anpasst, was die Gesellschaft von einer Frau erwartet. Sex ist ihr sehr wichtig, hat für sie aber fast nie etwas mit Liebe zu tun; sie geht regelmäßig auf luxuriöse Swingerparties und mag es dabei so hart, dass "Fifty Shades of Grey" sich dagegen liest wie eine schnulzige Liebesgeschichte aus BILD der Frau.

Ich liebe starke Frauen in der Literatur, aber Judith konnte ich dennoch nicht lieben. Zwar habe ich ihre Selbstdisziplin, ihr Durchhaltevermögen und ihre Entschlossenheit bewundert, konnte auch nachvollziehen, dass sie sich ein besseres Leben aufbauen will als das, aus dem sie kommt - aber davon abgesehen fand ich sie oberflächlich, egozentrisch und skrupellos. Manchmal kam sie mir geradezu fremdartig vor, fast so, als sei sie gar kein Mensch, sondern ein seltsames Wesen, das sich als Mensch verkleidet.

Sie hat immer im Blick, was etwas kostet und wie viel Prestige es bringt. Das ganze Buch über werden unzählige Markennamen aufgelistet, und Judith zeigt mehr Emotionen beim Kauf einer Designertasche als beim Ermorden eines Menschen. Sie setzt Menschen ein wie Schachfiguren, und opfert sie auch eiskalt, wenn es sein muss. Manchmal sogar, wenn es nicht hätte sein müssen... Auch sich selbst gegenüber ist sie unnachgiebig: wenn sie, um ihre Ziele zu erreichen, Sex mit einem schmierigen, widerlichen alten Mann haben muss, vor dem sie sich ekelt, dann tut sie das und schluckt auch brav.

Interessant fand ich sie auf jeden Fall, aber sie weckte in mir beinahe ausschließlich negative Emotionen - da liegt für mich der Unterschied zu den Protagonistinnen von Gillian Flynn, denn mit denen konnte ich immer auf verquere Art mitfühlen, irgendwie.

Ein paar Worte zu den Erotikszenen: diese sind zahlreich, werden ausführlich und detailliert beschrieben und überschreiten in meinen Augen oft die Grenze zwischen erotisch und ordinär. Zum Teil habe ich mich sogar ein wenig geekelt (wie z.B. bei besagter Szene mit dem widerlichen Sugardaddy). Die Swingerparties, die Judith besucht, strahlen zwar eine Art eleganter und dabei üppiger Dekadenz aus, aber auch hier gab es Szenen, die mich eher abgestoßen haben - das ist jedoch sicher auch eine Frage der persönlichen Präferenz.

Manchmal hätte ich das Buch beinahe endgültig zugeklappt, aber obwohl ich Judith nicht mochte, obwohl ich die Erotikszenen meist unerotisch fand, wollte ich dennoch wissen, wie es weitergeht. Man schaut Judith dabei zu, wie sie sich Schicht für Schicht ihrer Menschlichkeit entledigt, und das ist auf verstörende Art und Weise spannend. Ich zögere, das Buch unterhaltsam zu nennen - es war für mich mehr eine widerwillige Sogwirkung.

Der Schreibstil hat mir an sich ganz gut gefallen, nur die vielen Erwähnungen von Markennamen und die immer gleichen Bezeichnungen für Geschlechtsorgane fand ich ermüdend. In vielen Szenen habe ich mir aber gedacht, dass das Buch vom Schreibstil her viel mehr Potential hat, als es tatsächlich ausnutzt...

Fazit:
Eine wütende, skrupellose Frau, die von ihrem Chef rausgeschmissen wurde, um sein Verbrechen zu vertuschen, holt sich mit Gewalt, was ihr zusteht - und nebenher hat sie jede Menge Sex. Was auch gelegentlich mit Gewalt zu tun hat.

Ich fand die Hauptfigur interessant, aber zutiefst unsympathisch, die Erotikszenen explizit, aber oft überhaupt nicht erotisch... (Was natürlich Geschmacksache ist.) Trotzdem kann ich erahnen, warum manche Leser von diesem Buch so fasziniert sind; es hat etwas an sich, was einen nicht mehr loslässt - die Frage ist nur, ob man am Schluss das Gefühl hat, dass es sich gelohnt hat.

Leider konnte mich das Buch schlussendlich nicht begeistern.


 

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