Rezension Rezension (3/5*) zu Die Schneekönigin: Roman von Michael Cunningham.

Momo

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10. November 2014
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Kein Märchen

Anfangs bin ich nicht so gut in die Thematik reingekommen. Später war ich ein wenig gespalten, weil ich noch immer nicht wusste, was mir der Autor mit seinem Titel Die Schneekönigin sagen möchte ...

Auch mit den Romanfiguren konnte ich erst nicht richtig warm werden. Es hat ein wenig gebraucht, bis ich dahinterkommen konnte, woran es gelegen hat. Später durchlebte ich aber eine kleine Wende. In den letzten 150 Seiten entwickelte sich der Roman für mich dermaßen ergreifend, sodass ich von einer inneren Unruhe ergriffen wurde, und ich, am Ende der Geschichte angelangt, jede Menge Kaugummi-Leichen entsorgen musste :).

Dass der Buchtitel Die Schneekönigin nichts mit dem Märchen von Andersen zu tun hat, damit habe ich sehr wohl gerechnet. Ich wollte ja kein Märchen lesen. Ich war daher neugierig, welchen kreativen Weg der Autor mit dieser Schneekönigin wohl eingeschlagen haben mochte. Und diese neue Dame wollte ich kennenlernen.

Sie muss eine Metapher sein, wie auch die Schneeflocken metaphorisch gemeint sind. Mir kommt alles in dem Roman tatsächlich recht kühl vor und ich tippe, dass die schwerkranke Beth, siehe unten, mit der Schneekönigin gemeint ist, die den Schnee so sehr liebt, dass sie es bis in die Wohnung hineinschneien lässt ...

Die Romanfiguren habe ich alle ein wenig exzentrisch erlebt. Beth ist krebskrank und bettlägerig. Tyler, ihr Mann, ist drogenabhängig. Von Beruf ist er Musiker, der alles für seine kranke Frau tut, weil er sie abgöttisch liebt. Aber er schafft es nicht, ihr einen Song zu schreiben. Nicht, dass Beth dies von ihm verlangt, nein, er ist es selbst, der ihr diese Freude mit einem selbst gedichteten Lied bereiten möchte. Besonders erfolgreich ist er mit seiner Musik nicht.

Tylers jüngerer Bruder Barret schafft es nicht, einen eigenen Haushalt zu gründen und lebt bei Tyler und Beth in einer kleinen New Yorker Wohnung, weil er angeblich ein Außenseiter und vom Scheitern bedroht sein soll. Barret ist ein wenig adipös und homosexuell. Sämtliche Beziehungen scheitern und wird schlecht damit fertig. Außerdem hegt Barret jede Menge Vorurteile gegen Menschen bestimmter Nationen, ohne diese Menschen tatsächlich zu kennen.

Liz ist Beths beste Freundin und mit Andree zusammen. Sie ist Ende fünfzig und Andree sechsundzwanzig Jahre alt. ...
Da ich nicht zu viel verraten möchte, beschränke ich mich auf diese wenigen Personenbeschreibungen der ProtagonistInnen.

Nun möchte ich gerne beispielhaft eine Szene festhalten, die deutlich macht, womit ich meine Schwierigkeiten hatte:

Beth wird von ihrer Krebserkrankung wider Erwarten geheilt. Ihr Arzt spricht von einem Wunder. Selten gebraucht dieser Arzt, Naturwissenschaftler der Humanmedizin, diesen Ausdruck. Beth macht sich Gedanken über ihr zurückerworbenes Leben und glaubt, dem Universum nun etwas schuldig zu sein ...

Ein paar wenige Seiten später fängt eine neue Episode an. Fünf Monate später; man nimmt an einer Schifffahrt teil, an der Tyler, Barret und Liz beteiligt sind. Sie haben eine Dose in der Hand, die sie zu öffnen versuchen. Ich wusste ziemlich schnell, was das für eine Dose ist und was sich darin befindet. Es ist eine Urne und Beths Asche soll in die See verstreut werden.

Und damit hatte ich meine Schwierigkeit. Erst ist Beth geheilt und fünf Monate später ist Beth auf einmal tot, und zwar so tot, dass ihr Ableben sich schon in dieser Dose befindet. Mir war das zu abrupt, wobei die fünf Monate nicht in einem Inhalt verpackt wurden, sondern nur in ein paar Worten als eine Auskunft. Nach meinem Geschmack hat der Autor diesbezüglich zu oberflächlich gearbeitet. Mir hat der Prozess von dem einen Zustand in dem anderen gefehlt.

Ich habe als LeserIn nicht genügend Zeit bekommen, mich auf diese veränderten Szenen wirklich einzulassen, um mich an diese wichtigen Veränderungen gewöhnen zu können.

So richtig gut hat mir das Buch dann schließlich nach Beths Tod gefallen. Man hat viele zusätzliche Dinge über die ProtagonistInnen erfahren können und ich hegte den Verdacht, dass Beth erst sterben musste, um an gewisse Informationen ranzukommen.

Mein Fazit?
Es hat sich gelohnt, das Buch nicht vorzeitig abgebrochen zu haben. Schließlich fing es an, mir doch noch zu gefallen. Veränderte Lebenssituationen spielten sich bei allen ProtagonistInnen ab, die ich durchaus als lesenswert empfunden habe. Und speziell, was die außergewöhnliche sexuelle Beziehung zwischen Liz und Tylor betrifft.

Auch wenn ich im obigen Buch die Kurve wiedergekriegt habe, hat mir Cunninghams Buch Die Stunden deutlich besser gefallen. Dieses Buch hatte ich damals regelrecht verschlungen.

Aber ich könnte mir vorstellen, Die Schneekönigin in ein paar Jahren ein weiteres Mal zu lesen.