Muss es unbedingt ein Wal sein?

Helmut Pöll

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Ein Wal als Protagonist ist sowas von esoterisch. Und dieser Kapitän Ahab erst, dieser Sonderling. Könnte man den mit Hinblick auf die jüngere Leserschaft nicht etwas verwegener und interessanter darstellen, zum Beispiel mit einer ausgeprägten Vorliebe für sinnliche Mädchen?

Was wie eine Persiflage klingt, ist Realität. Mit den obigen Worten lehnte der Londoner Verlag Bentley Publishing Mitte des vorletzten Jahrhunderts Hermann Melvilles Manuskript zu "Moby Dick" ab. Heute gilt das Werk als Klassiker der Weltliteratur.

Die Verlags- und Literaturgeschichte ist voll von solchen Beispielen und Fehlentscheidungen. Ob Astrid Lindgrens "Pippi Langstrumpf", Umberto Ecos "Der Name der Rose", Margret Mitchells "Vom Winde verweht" oder Robert Schneiders "Schlafes Bruder", all diesen Büchern ist eines gemeinsam: Verlage wollten sie erstmal nicht. Heute kennen Millionen Leser auf der ganzen Welt diese Werke nur, weil sich ihre Schöpfer nicht haben entmutigen lassen.

"Schlafes Bruder" kassierte zwei Dutzend Absagen von Verlagen - und ist heute in 25 Sprachen übersetzt. Umberto Eco toppt das noch. Er brachte sein Manuskript "Der Name der Rose" erst nach 27 Absagen unter. Unerreicht in der Zahl seiner Absagen und seiner Hartnäckigkeit ist der Autor Erich Maria Remarque. Sein Kriegsdrama "Im Westen nichts Neues" brachte es auf rekordverdächtige 120 Absageschreiben. Dennoch wurde Remarques Hartnäckigkeit belohnt. Nachdem es von Verlag 121 schließlich doch verlegt wurde entwickelte sich "Im Westen nichts Neues" zum erfolgreichsten Buch der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Wer nun denkt, diese Irrtümer sind Relikte einer fernen Vergangenheit, der liegt völlig falsch. Die wohl teuerste Fehleinschätzung der Literaturgeschichte liegt kaum 20 Jahre zurück. Einer gewissen J.K.Rowling wurde geraten sie solle sich besser einen Job suchen, denn mit dem Verfassen von Kindergeschichten könne man unmöglich seinen Lebensunterhalt verdienen. Zauberergeschichten interessieren im Grunde niemanden, außer ein paar verkorkste Sonderlinge. Ein Dutzend Verlage lehnte "Harry Potter" ab, bis sich der kleine Verlag Bloomsbury erbarmte. Der Rest ist Geschichte.

Eine weitere amüsante Anekdote aus dem Verlagswesen verdanken wir dem britischen Autor David Lassman. Er schickte seine Manuskripte unter Pseudonym an renommierte Verlage. Der Clou dabei: Lassman schickte keine Werke aus eigener Feder. Er tippte Weltbestseller ab - und wurde abgelehnt.

Mehr Infos:
www.sueddeutsche.de: Absage für Robert Galbraith – So haben Verlage das Manuskript von J.K. Rowling abgelehnt
www.andreaseschbach.de: Trostliste
Rejecting Jane - Wikipedia, the free encyclopedia
www.telegraph.co.uk: The rejection letters: how publishers snubbed 11 great authors
 
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Tiram

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Ist ja Wahnsinn. Trotz des berühmtesten ersten Satzes von Jane Austen und überhaupt.
 

Helmut Pöll

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Prousts Recherche zählte auch dazu, außerdem Kerouac On the Road und Das Parfüm von Süskind, wie man in "Was geschah mit Schillers Schädel" nachlesen kann.
"Das Parfüm" auch, @Atalante ? Dann ist Süskind ja in bester Gesellschaft.

Wladimir Nabokovs "Lolita" wurde u.a. mit der Begründung "Überwältigend ekelhaft" abgelehnt - und erschien später erstmals in Frankreich.
 
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Marley

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Melbourne
@Helmut Pöll Ja, das verstehe ich bis zu einem gewissen Grad. Ist vermutlich so wie mit Lotto spielen - ähem - etwas hinkendes Beispiel vielleicht. Für mich ist die Frage: Ab wann gibt man (sich) auf? Was wäre aus diesen Autoren geworden, wenn sie dann nicht doch einen Verlag gefunden hätten? An sich zu glauben ist eine Sache, andere Leute dazu zu bringen, eine andere Sache.
 

Klara Bellis

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Solche Geschichten bestätigen mich darin, mich erst gar nicht auf Verlagssuche zu begeben. Im Grunde ist es wirklich großes Glück, das man haben muss, um zur richtigen Zeit auf den richtigen Menschen zu treffen. Und der oder die muss dann auch noch in der richtigen Stimmung sein, um sich auf den Text einlassen zu können.
Jemand wie ich wäre nach 20 Absagen völlig entmutigt und am Boden zerstört. Da ich aber für das Schreiben so brenne, wie ich noch nie für irgendwas gebrannt habe im Leben ;), will ich mir das erst gar nicht durch Expertenmeinungen kaputtmachen lassen. („Leider sehen wir in unserem Verlag keine Möglichkeit ...“ :cool:) Um veröffentlichen zu können, gehe ich da vermutlich einen viel zu bequemen Weg. Trotzdem macht es Spaß, diesen Weg zu gehen, auch wenn mir keiner vom Fach jemals sagen wird, dass meine Schreibe ganz toll sei. :D
 

Klara Bellis

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@Helmut Pöll : Wie gesagt. Da tickt sicher jeder anders. Bei meinem nicht vorhandenen Mut wäre ich sehr schnell entmutigt. Ich würde definitiv nicht jahrelang für meine fixen Ideen kämpfen, wenn mir wieder und wieder von (vermeintlich) berufener Stelle gesagt würde, dass ich es nicht drauf hätte. ;)

@PHakenjos : „Wir haben keine Chance, doch wir nutzen sie.“ Genau da ist meine Einstellung zum Selfpublishing. :D

Wobei jetzt gerade zu einem ähnlichen Thema ein Film in die Kinos kommt „Eddie the eagle“ – immer weiter für seine Idee kämpfen, auch wenn es absolut aussichtslos zu sein scheint. Bewundernswert. Aber leider nicht mein Ding. Zumindest im Fall des Bücherschreibens und Veröffentlichens, wo es derzeit – zum Glück – auch andere Wege gib. :cool:
 
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Helmut Pöll

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... ach @Helmut Pöll, veröffentlichen tun wir ja trotzdem. Und ich werde wieder Verlage anschreiben - im Wissen, dass da eine spätpubertierende, unbezahlte Literaturstudentin im vierten Semester hockt, die nur die Aufgabe hat, Absagen zu schreiben und unverlangt eingesandte Manuskripte zu entsorgen. Ich spiele ja auch Lotto und kenne die Wahrscheinlichkeit, einen Treffer zu landen :)
Du siehst das ja ziemlich negativ, @PHakenjos . Meinst Du wirklich, dass es so schlimm ist.
 

Helmut Pöll

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IIm Westen nichts Neues, wurde von mehr als 100 Verlagen abgelehnt. Gibt es denn immer noch 120 Verlage in Deutschland?
Ja, sogar deutlich merh, @alfee. Im ersten Moment fallen einem vermutlich nur die großen Namen ein. Aber es gibt hunderte Verlage in Deutschland, immer noch. Mir ist vor allem bei meinen ersten Buchmessebesuchen aufgefallen, wie viele es sind.
 

R. Bote

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Ich hab's einmal mit Verlagen versucht. War ein Testballon, ernsthaft mit einem Erfolg gerechnet hab ich nicht, weil ich um die Situation der Verlage wusste. Außerdem lassen Aussagen wie "Wir verschicken keine Ablehnungen. Wenn Sie in zehn(!!) Monaten keine Antwort erhalten haben, dann betrachten Sie das bitte als Ablehnung" auch relativ wenig Zweifel an den Erfolgsaussichten. Das betreffende Buch kommt demnächst im Selfpublishing raus.
Ich muss gestehen, dass es mir inzwischen auch viel zu viel Spaß macht, mich da in verschiedene Aufgaben einzuarbeiten, die mir sonst der Verlag abnimmt, Rückschläge hin, geringe (und ich meine geringe!) Verkaufszahlen her.

Einen Verlag erlaube ich mir allerdings positiv hervorzuheben, und das ist Athesia in Bozen. Die haben das Manuskript zwar auch abgelehnt, aber ich hatte da einen sehr netten Kontakt, habe auch eine ausführliche Begründung bekommen, und die Antwort hat weniger als zwei Wochen auf sich warten lassen. Das fand ich wirklich klasse.
 
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Helmut Pöll

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Da kommen natürlich immer mehrere Faktoren zusammen. Ich kenne auch ein paar Lektoren und Verlagsmitarbeiter privat, auch aus größeren Häusern. Da sind zum einen die vielen Tätigkeiten von Lektoren, die erstmal gar nichts mit Lesen zu tun haben und die der Betriebswirtschaft geschuldet sind. Einen Lektor kenne ich, der hat den Beruf gewechselt, weil er immer weniger die Bücher verwirklichen konnte, die ihm gefielen. Zu oft wurden einfach Übersetzungen eingekauft.

Dann macht natürlich das Praktikantenunwesen auch nicht halt vor den Verlagen. Mit Unwesen meine ich, wenn Praktikanten nicht da sind um in einen Beruf reinzuschnuppern, sondern im Grunde eine Vollzeitstelle besetzen, nur eben ohne Bezahlung. Für die Stelle fehlt natürlich oft die Erfahrung. Und ganz desaströs wird es, wenn so jemand dann ins Lektorat gesetzt wird oder in die Vorauswahl. Sitzt da dann jemand, der sein Leben lang nur Fantasie oder Romance gelesen hat - was natürlich grundsätzlich legitim ist - dann wird man sich vermutlich nicht leicht für etwas anderes erwärmen können. So ärgerlich das dann vielleicht ist, die Verantwortung für diese Situation fällt anderen zu.
 

Klara Bellis

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@PHakenjos : Übernehmen die Funktion des Vorlektorats nicht inzwischen die Literturagenten, die sich in den letzten Jahren zwischen Autoren und Verlage geschaltet haben und ohne die wohl kaum noch was laufen soll?