Rezension Rezension (5/5*) zu Alle meine Wünsche: Roman von Grégoire Delacourt.

Anjuta

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8. Januar 2016
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Buchinformationen und Rezensionen zu Alle meine Wünsche: Roman von Grégoire Delacourt
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Grégoire Delacourt: Alle meine Wünsche


Worum geht es:
Jocelyne hat sich in der nordfranzösischen Stadt Arras ein perfekt unperfektes Leben aufgebaut: sie weiß genau, dass sie nicht hübsch ist, hat einige Schicksalsschläge hinter sich, sie hat eine nicht immer ganz funktionierende Familie, sie führt einen vollkommen aus der Mode geratenen, wenig einbringenden Kurzwarenladen und – Aufhören für alle aktiven Blogger unter euch - sie schreibt einen Blog über das Handarbeiten, mit dem sie eine erstaunlich große und treue Lesergemeinschaft erreicht und sogar tief berührt.

[zitat]… und ich habe keine Antworten auf Ihre Fragen, es tut mir leid.
Da legt sie [eine Journalistin] ihr Heft, ihren Stift, ihre Tasche beiseite. Sie sieht mir tief in die Augen und sagt: Meine Mutter lebt seit zehn Jahren allein. Sie steht um sechs Uhr auf. Sie macht sich einen Kaffee. Sie gießt ihre Pflanzen. Sie hört die Nachrichten im Radio. Sie trinkt ihren Kaffee. Sie macht sich etwas frisch. Eine Stunde später, um sieben Uhr, ist ihr Tag zu Ende. Vor zwei Monaten hat ihr eine Nachbarin von Ihrem Blog erzählt, und sie hat mich gebeten, ihr so ein Ding zu kaufen – so ein Ding ist in ihrer Sprache ein Computer. Seither hat sie dank Ihren Posamenterien, Ihren Quasten und Ihren Raffhaltern die Lebenslust wiedergefunden. Also erzählen Sie mir nicht, dass Sie keine Antworten haben.[/zitat]

Und von der Wirkung Jocelyns und ihres Blogs auf andere ist der Leser von „Alle meine Wünsche“ alles andere als erstaunt, denn auch der Stil und Ton des Romans, aus dem man Jocelyn sprechen und denken zu hören meint, ist ungemein berührend und dazu angetan, gute Gefühle auszulösen.

[zitat]Ich bin glücklich mit Jo.
Es ist nicht das Leben, von dem die Worte in meinem Tagebuch aus der Zeit träumten, als Maman noch lebte. Mein Leben hat nicht die perfekte Anmut, die sie mir abends wünschte, wenn sie sich zu mir ans Bett setzte, wenn sie sanft mein Haar streichelte und flüsterte: Du hast Talent Jo, du bist intelligent, du wirst ein schönes Leben haben.
Sogar die Mütter lügen. Weil sie ebenfalls Angst haben.[/zitat]

Ein wichtiger Teil ihres Lebens ist das Wünschen; immer wieder aktualisiert in Form von Wunschlisten macht sie sich auf sehr pragmatische Art und Weise bewusst, woran ihre Sehnsüchte hängen. Regelmäßig verwirft sie Wünsche wieder oder stuft sie neu ein. Und dabei wird eines schon ganz deutlich: wichtig sind nicht eigentlich die Wünsche, und erst recht nicht deren Erfüllung, wichtig ist vielmehr das Wünschen selbst, das Ausdruck eines pragmatisch, positiven Lebensgefühls und des Nachdenkens über das Leben selbst ist.
Und dann eröffnet sich für Jocelyne urplötzlich die Möglichkeit zur Erfüllung vieler ihrer Wünsche – zumindest des Teils der mit Geld erfüllbaren. Und es wundert den Leser gar nicht, dass im Grunde nichts passiert. Dass sie sich der Erfüllung dieses Teils der Wünsche immer wieder entzieht und es ruhen lässt.
Und doch ändert diese neue Situation ihr Leben komplett. Wie – das soll hier nicht verraten werden.
Doch auch in der neuen Situation, herausgerissen aus ihrem zu Beginn perfekt unperfekten Leben, schafft sie es wieder, sich eine Welt der Herzenswärme und bewussten Zufriedenheit aufzubauen.

[zitat]Ich lächle Abends, manchmal, wenn wir nach Hause kommen, in die riesige, wunderbare Villa in Villefranche-sur-Mer, deren Kaufvertrag ich ganz lässig, deren Scheck ich mit Leichtigkeit unterschrieben habe; wenn ich Papa wiedersehe, der auf der Terrasse sitzt, seine Pflegerin neben sich, Papa, der aufs Meer schaut und mit seinen Kinderaugen in den Wolken Pareidolien sucht: Bären, Schatzkarten, Zeichnungen von Maman.
Ich lächle sechs Minuten lang, während ich für ihn in der Frische des Abends ein neues Leben erfinde.[/zitat]

Mein Fazit:
Muss ich wirklich noch sagen, dass ich das Buch uneingeschränkt empfehlen möchte? In diesen knapp 130 Seiten verlässt den Leser das sanfte Lächeln auf den Lippen eigentlich nie, jedenfalls nicht, wenn er sich auf diese herzensgute Jocelyne in ihrer kleinen Welt einlässt. Ich müsste eigentlich mal wieder ein Kurzwarengeschäft besuchen. War einer meiner Gedanken nach der Lektüre des vom Verlag auch sehr liebevoll mit Knopfsymbolen als Kapiteltrenner ausgestatteten Buchs.