Rezension Rezension (3/5*) zu Scherbenseele: Psychothriller (Sund: Die Kronoberg-Reihe, Band 1) von Erik Axl.

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Wadern
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Rezension zu "Scherbenseele" von Erik Axl Sund

Inhalt

"David ist siebzehn und hat mit dem Leben abgeschlossen." (S.177)

Diese Aussage bringt die Thematik des Thrillers auf den Punkt. In Schweden kursiert eine Selbstmordserie unter verzweifelten Jugendlichen, die keinen anderen Ausweg mehr als den Tod sehen. Sie haben eine "Scherbenseele" - sind verzweifelt, hoffnungslos, kommen aus sozial zerrütteten Familien. Gemeinsamer Nenner ist die Freude an der Selbstzerstörung, fast alle Jugendlichen "ritzen" sich, fügen sich Schmerzen zu, konsumieren Alkohol oder Drogen. Genau wie ihr großes Vorbild, der Musiker "Hunger", der sich öffentlich auf der Bühne verletzt und zur Kultfigur avanciert. Dabei verkauft er seine Musik nicht kommerziell, sondern verschickt sie an jene, die in den Tod gehen wollen. Sie erhalten von "Hunger" eine eigens zusammengestellte individuelle "Musik" mit entsprechendem Text, die er auf Kassetten mit einem Walkman verschickt.

Kommissar Jens Hurtig, dessen Schwester auch Selbstmord begangen hat, wird mit dem Fall betraut. Im Laufe der Ermittlungen stellt sich heraus, dass der Mord an drei Männern, die sich untereinander gekannt haben, mit den Selbstmorden in Verbindung steht. Die Ermittler vermuten, dass "Hunger" ein perfides Spiel treibt und auch für die Morde verantwortlich ist.


Aufbau

Der Roman ist in vier Phasen unterteilt: Phase I: Schock.

Die ersten Selbstmorde geschehen und die einzelnen Protagonisten des Romans werden vorgestellt. Dabei wird jeweils ein kurzes Kapitel aus der personalen Erzählperspektive einer Figur erzählt.

In den Kapiteln, die mit "Fahr zur Hölle" überschrieben sind, kommen die Selbstmordofper kurz vor ihrem Freitod zu Wort und erlauben einen Einblick in ihre Scherbenseele.

"Schwarze Melancholie" sind die Kapitel überschrieben, in denen "Hunger" selbst zu Wort kommt, es sind die einzigen, in denen eine Ich-Perspektive eingenommen wird. Begründet scheint sein Verhalten in seiner traumatischen Kindheit zu sein, die in Rückblenden immer wieder angedeutet wird.

Neben Jens Hurtig spielen der Pathologe Ivo sowie Simon, ein junger Mann, der ebenfalls mit dem Gedanken spielt, sich zu töten sowie dessen Nachbarin Aiman Chernikova, die in der Lilja - einen Zentrum für Jugendliche - arbeitet, eine Rolle. Im Mittelpunkt steht die Jugendliche Vanja, die bei Adoptiveltern lebt und ebenfalls mit dem Gedanken spielt, sich umzubringen.

Es stellt sich in Phase II: Reaktion die Frage, wie das alles zusammenhängt. Der tote Künstler Ingo, einer der Ermordeten, hat Vanjas Adoptiveltern Edith und Paul gekannt und auch Holger, der Paul finanziell unterstützt. Auch Isaak, ebenfalls ein Künstler und Freund Jens Hurtig ist auf der Beerdigung und hat mit Aiman zusammen gearbeitet. Aber wie hängen alle diese Fäden zusammen? Das wird ansatzweise am Ende des Abschnittes aufgedeckt. Da erfährt man als Leser, wer sich hinter dem Musiker "Hunger" verbirgt.

In Phase III: Verarbeitung kristallisiert sich heraus, dass erst die halbe Wahrheit ans Licht gekommen ist.

Diesen Teil fand ich am schwächsten, da ich bereits geahnt habe, dass es neben "Hunger" noch eine weitere Person geben muss, die sich hinter "Schwarzer Melancholie" versteckt. Und an diesem Punkt liegt meines Erachtens auch der Schwachpunkts des Thrillers. Zwar werden in der letzten Phase IV: Neuorientierung die letzten losen Fäden aufgenommen und alle Geschichten zu Ende geführt und entsprechende Erklärungsversuche unternommen, warum die Figuren in den Situationen so gehandelt haben. Während es eine psychologische Erklärung und entsprechende Motive für die Morde gibt, bleibt die Verhaltensähderung des Mörders nicht nachvollziehbar. Umgekehrt wird die Ursache für das destruktive Verhalten "Hungers" zwar deutlich - aber die Frage nach dem Motiv, andere zum Selbstmord zu animieren, nur unbefriedigend beantwortet. Außerdem hatte ich am Ende den Eindruck, dass die Fülle an negativen und zerstörerischen Einflüssen auf "Schwarze Melancholie" letztlich übertrieben ist. Nervenkranke Mutter, religiöser, tyrannischer Vater, Lügen, sexueller Missbrauch, Selbstmord im nahen Umfeld, Krebs....Etwas weniger hätte es auch getan.


Bewertung

Die ersten beiden Teile fand ich unglaublich stark - dieses düstere Bild, das da gezeichnet wurde, wie die Verzweiflung der jungen Menschen eingefangen wurde, das hat mich wirklich berührt. Gleichzeitig ist der Roman unglaublich spannend und interessant, gerade weil aus so unterschiedlichen Blickwinkeln das Geschehen dargestellt wird. Ab Phase III wird er zunehmend schwächer, während die Auflösung der noch offen gebliebenen Fragen am Ende nochmals teilweise versöhnt - bis auf das letzte Kapitel, das zwar realistisch, aber doch sehr traurig ist.


Es ist ein gut gemachter Thriller, der mich v.a. auch sprachlich überzeugt hat. Ganz begeistert bin ich nicht, werde wohl trotzdem noch weitere Thriller des Autorenduos lesen.