Rezension Rezension (4/5*) zu Hamburg Rain 2084. Die Seuche: Dystopie (KNAUR eRIGINALS) von Andreas Geist.

parden

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13. April 2014
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49
Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Leider konnten wir zu diesem Buch keine Daten ermitteln.
Vom kleinen Steinchen zum apokalyptischen Mosaik...

Hamburg ist im Jahr 2084 im ewigen Regen nach einer Klimakatastrophe zum Moloch mit 22 Millionen Einwohnern herangewachsen. Bauwerke früherer Epochen sind zu einem einzigen Gebäude verschmolzen, das sich über eine gigantische Fläche erstreckt und weit in den Himmel ragt. Wie ein surreales Gebilde aus dem Traum eines Wahnsinnigen reckt es seinen Körper aus Stein, Glas und Stahl in die Wolken und unablässig fließt der Regen an seinen Milliarden Ecken und Kanten herab. Dieser gigantische Koloss ist in Ebenen unterteilt, die weit in die Höhe und tief unter die Oberfläche reichen. Das Leben ist streng hierarchsich organisiert: Je reicher, desto weiter oben; je ärmer, desto weiter unten. Während sich oben im wenigen Sonnenlicht die Reichen und Schönen vergnügen, leben die Armen in Dunkelheit und Müll. Nur die Mittelschicht bildet da mit ihren Träumen von einer besseren Wetl die Ausnahme. Und manchmal geschieht es, dass jemand den zugewiesenenLebensraum verlässt. Mit unvorhersehbaren Folgen. Davon handeln die Storys der dystopischen Science Fiction eBook-Serie 'Hamburg Rain 2084'.

'Die Seuche' ist der sechste und damit letzte Band der ersten Staffel des spannenden Future Fiction eSerials. Die Bände in der Reihenfolge ihres Erscheinens sind:

V2
Sundown
Rehab
Zerfall
Risse im Fundament
Die Seuche

Alle Bände sind unabhängig voneinander und in beliebiger Reihenfolge lesbar.


* * *


Andreas Melzers Vergangenheit ist ein Reich dunkler Schatten. Als Fallanalytiker für Cyberkriminalität der Kripo Hamburg geht er neue Wege, um komplexe kybernetische Zusammenhänge essentieller Sicherheitssysteme und ihre Schwachstellen aufzudecken. Aron Fuller ist Vorstand der bedeutendsten Sicherheitsfirma der Stadt. Sein Einfluss reicht in höchste Politikerkreise. Er engagiert Andreas Melzer, um den geisterhaften Joker, einen brillanten Hacker, der in die Hochsicherheitssysteme der Stadt eindringt, zur Strecke zu bringen. Die Suche nach dem Joker wird für Andreas Melzer und Aron Fuller zur Reise in die eigene Vergangenheit. Die drei Männer verbindet eine verlorene Stunde ihres Lebens, in der sich ein Abgrund auftut, der letztlich die ganze Stadt zu verschlingen droht...


"Wir haben unsere Umwelt so radikal verändert, dass wir uns jetzt selbst ändern mmüssen, um in dieser neuen Umwelt existieren zu können." (Norbert Wiener, 1894-1964, amerikanischer Mathematiker und Begründer der Kybernetik)


Was für ein verblüffendes Buch. Wechselnde Perspektiven sorgen zunächst für Verwirrung, bis man glaubt, Handlung und Personen allmählich fassen zu können - doch dann dreht der Autor einem eine lange Nase und führt einen in Abgründe hinein, die kaum vorstellbar scheinen, und doch...


"Alles war vorbestimmt und doch unvorhersehbar, denn die Chaostheorie beherrschte komplexe Systeme mit ihren Viel-Variablen-Problemen. Es gab keine Zufälle. Es war der Flügelschlag eines Insekts, der über Leben und Tod einer Zivilisation entschied (...) Alles folgte einem Plan, der sich über Jahrtausende aus einzelnen Steinchen zu einem apokalyptischen Mosaik zusammenfügte (...) Es hatte begonnen, und niemand würde es aufhalten."


Einer der Superreichen der obersten Etagen Hamburgs verstirbt, was im Grunde gar nicht möglich ist, weil mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln und den immensen Fortschritten der Technik wäre sogar der Tod käuflich. Und doch ist der Mann einer Infektion erlegen, was Andreas Melzer, den Cyberfachmann der Polizei, misstrauisch werden lässt. Dann tauchen plötzlich in den Tiefen des Internets versteckte Botschaften 'der Söhne Adams' auf, die damit drohen alles niederzubrennen und die Welt in eine Wüste zu verwandeln, damit alles von Neuem beginnen kann. Und schließlich taucht die Nachricht auf, dass der Untergang der Stadt begonnen habe.

Was soll Andreas Melzer davon halten? Das Werk von einigen Spinnern? Eine Sekte? Oder tatsächlich eine Bedrohung ungeahnten Ausmaßes? Als Aron Fuller, Vorstand der bedeutendsten Sicherheitsfirma der Stadt, sich an Melzer wendet, um gemeinsam mit ihm den Joker zu jagen, der diese Nachrichten zu verbreiten scheint, ahnt der Fallanalytiker für Cyberkriminalität, dass es sich hier um äußerst ernstzunehmende Vorgänge handeln muss...


Hamburg war ein kybernetisches Monster geworden, in dem die Macht über die Maschinen in den Händen der Ungerechten lag. Dieses Monster fraß seine unschuldigen Kinder. Dabei gab es eine Kybernetik höherer Ordnung. Es war so einfach: Er (...) würde den Maschinen Leben einhauchen. Weiter nichts. Ihre Maschinencodes hatten - wie vor Jahrmilliarden die genetischen Codes der Archäbakterien - die Schwelle des Lebendigen erreicht.


Ein spannendes Buch hat Andreas Geist hier geschaffen, das am Anfang so gar nicht zu erkennen gibt, wohin es den Leser letztendlich führen wird. Viele Begrifflichkeiten aus dem Bereich der Informations- und Datenverarbeitung, die mir gelegentlich den Kopf schwurbeln ließen, aus denen sich jedoch allmählich ein logisches Konstrukt herauszuschälen begann, dem ich fasziniert folgen konnte - Future Fiction vom Feinsten.


"Wer war er wirklich, und wem konnte er trauen?"


Nichts ist, was es zu sein scheint, und ebenso wie Andreas Melzer sollte der Leser nichts von dem glauben, was ihm da anfangs vor die Augen gerät. Die Charaktere bleiben bei gerade mal 188 Seiten eher an der Oberfläche, doch empfand ich das in diesem Fall nicht als störend - die Geschichte selbst, die Idee dahinter ist es, die hier im Vordergrund steht und auch stehen sollte. Dennoch baute Andreas Geist in die Erzählung einige liebevolle Details ein, die mich zwischenzeitlich schmunzeln ließen:


"...würde jeden Augenblick vom Abendessen aus dem Udo-Lindenberg-Restaurant zurück sein, das nach einem Musiker benannt war, der im alten Atlantic-Hotel viele Jahre gelebt haben sollte..."


Future Fiction, verankert in unserer Gegenwart und Vergangenheit - ein Konstrukt, das mir gut gefallen und mir unterhaltsame Lesestunden beschert hat.


© Parden