Auf dem verfallenen Landsitz der Adeligen erhält Inchbold von der Lady den Auftrag, ein sehr seltenes Exemplar aus der Bibliothek ihres Vaters für sie wiederzubeschaffen. Es handelt sich um ein 14-seitiges Pergament mit dem Titel "Das Labyrinth der Welt", ein Buch aus dem geheimnisumwitterten Opus Hermeticus. Der Auftrag ist nicht ungefährlich, Vater und Ehemann der Frau haben für dieses Buch bereits mit dem Leben bezahlt. Trotzdem unterschätzt Inchbold die Tragweite dieses Auftrags. Bereits kurze Zeit später ersteigert er auf einer inoffiziellen obskuren Buchauktion in einer verkommenen Londoner Spelunke ein ähnlich geheimnisvolles, verbotenes Buch. Im Katalog des Auktionators findet er dann tatsächlich das gesuchte Buch und scheint schon fast am Ziel. Doch dies ist erst der Anfang eines turbulenten Intrigenwirrwarrs, denn in der Zwischenzeit wurde sein Laden verwüstet, und eines Nachts entkommt er in seinen eigenen vier Wänden nur knapp einigen Männern, die ihn offensichtlich aufspüren wollen.
Die Suche nach dem geheimnisvollen Buch entpuppt sich als ein Wespenstich in eine Welt von Turbulenzen, die von Spionen und Spitzeln, Alchimisten und Gelehrten, Ketzern und Inquisitoren bevölkert ist. Das literarische Abenteuer hat den weltfremden Büchernarr, der sich zudem noch mit einem Klumpfuß herumquält, in ein politisches Ränkespiel verschlagen, und schon bald findet er sich zwischen den Fronten eines bibliomanen Verfolgungswahns, bei der die Inhalte von Büchern gefährliche politische Waffen darstellen.
Das Labyrinth der Welt ist ein Buch über sagenumwobene Bibliotheken, die wie unbekannte Länder beschworen werden, es herrscht die magische Stimmung von unbekanntem Wissen, das von abtrünnigen Mönchen, Hexenmeistern, wahnsinnigen Kabbalisten oder ganz einfach fortschrittlichen Rationalisten verfasst wurde, das allerdings weniger als okkulter Hokuspokus, sondern als Politikum beschrieben wird. Im Mittelpunkt stehen nämlich nur die Gerüchte um die Geheimnisse verbotener Bücher: So beschreibt das Corpus hermeticum ein "gesamtes Universum, einen magischen Ort, an dem sämtliche Bestandteile, [...], das Garn eines unaufhörlich strahlenden Gewebes bildeten, in dem jedes einzelne Atom mit jedem anderen Atom verbunden sei[...]. Diese erstaunlichen Einflüsse könnten mit Hilfe geheimer Zeichen [...] aufgespürt und genutzt werden". Diese wahnwitzig anmutenden Zauberkräfte mit Hilfe okkulten Wissens wird als politischer Machtpoker, vergleichbar dem Bestreben der Alchimisten, Gold zu gewinnen, beschrieben. So ist das Buch auch ein authentisches politisches Sittengemälde jener Zeit, denn mit einer Referenz auf erfundene oder authentische verbotene Schriften sind die Ereignisse um die politische Vorherrschaft zwischen Spanien und England kunstvoll verwoben, so dass man das Gefühl hat, die Hauptfigur würde einmal mehr längst bekannte Ereignisse rekapitulieren.
Das Labyrinth der Welt ist eine flüssig und schnörkellos geschriebene okkulte Kriminalgeschichte um verbotenes Wissen, das die machtbessessenen Intrigen hoch gestellter Politiker und Königsgetreuer offenbart. --Christoph StevenKaufen
Dieses Buch habe ich vor langer Zeit schon einmal gelesen, als Taschenbuch. Vor Kurzem konnte ich noch eine gebundene Ausgabe ergattern und habe mir das Vergnügen noch einmal angetan. Und eines weiß ich jetzt schon. In ein paar Jahren werde ich es auf jeden Fall noch einmal verschlingen.
London, 1660. Isaac Inchbold ist einer von sechs Buchhändlern auf der London Bridge.
[zitat]Da sich das Angebot dieser Läden nicht auf die Bedürfnisse von Vikaren, Anwälten oder sonstwem beschränkte, boten sie eine breitere Auswahl als diejenigen in den anderen Bezirken, daher konnte man in ihren Regalen so ziemlich alles finden, was jemals auf ein Stück Pergament gekritzelt oder gedruckt und zwischen zwei Buchdeckel gepreßt worden war. Das größte Angebot von allem barg die Buchhandlung im Nonsuch House, etwa auf halber Höhe der London Bridge gelegen, über deren grüner Tür und den beiden blankgeputzten Schaufensterscheiben ein Schild hing, dessen verwitterte Inschrift folgendes besagte:
Ankauf und Verkauf sämtlicher Titel
Isaac Inchbold, Inhaber
Isaac Inchbold erzählt hier seine Geschichte. 1635 ging er mit 14 Jahren in diesen seinen Buchladen in die Lehre, nachdem sein Vater bei einer Pestepidemie starb. Wegen der Schulden, die dieser der Familie hinterließ, nahm sich seine Mutter das Leben. Mit seinem Eintritt als "freier Bürger in die Zunft der Papierhändler" starb auch sein Lehrmeister an der Pest.
[zitat]Und so wurde ich an diesem folgenschweren Tag Eigentümer von Nonsuch Books, wo ich seither im Durcheinander mehrerer tausend in Saffianleder und Leinen gebundener Gefährten meine Zeit verbracht habe. [/zitat]
Isaac war ziemlich weltfremd, auch wenn er sich als Mensch der Großstadt bezeichnet. Eine enge Wohnung hatte er über seinem Buchladen und er verließ das Haus nur, wenn es unbedingt nötig war. Er war kurzsichtig, hatte Asthma und einen Klumpfuß.
Am liebsten hätte Isaac sein beschauliches Leben bis an sein Lebensende weitergeführt. Doch dann flatterte ihm eines Tages eine Einladung einer Lady Marchamont ins Haus. Sie bat um sein Kommen.
An dieser Einladung fiel Isaac etwas Eigenartiges auf. Das "ursprüngliche Wassersiegel schien abgepaust, aufgebrochen und später mittels eines gefälschten Stempels mit Schellack wieder verschlossen" worden zu sein.
Bei Lady Marchamont angekommen, ließ man ihn in einem ziemlich dunklen Zimmer warten.
[zitat]Als ich mich umdrehte, knarrte eine Diele unter meinem Stiefel. Dann stieß der Zeh meines verkrüppelten Fußes gegen ein Hindernis. Ich senkte den Blick [...]
Aber dann... etwas Vertrautes. Ich bemerkte, daß der Geruch nach etwas Altem den Raum durchzog, ein Geruch, den ich besser kannte und mehr liebte als jedes Parfüm. Ich drehte mich nochmals um, hob den Blick und sah eine Regalreihe voller Bücher neben der anderen, die augenscheinlich jeden Zoll der Wände bedeckten. Über der auf halber Höhe angebrachten, mit einem Geländer versehenen Galerie erstreckten sich weitere Bücherwände bis zur unsichtbaren Decke empor.
Eine Bibliothek... [/zitat]
Die Bibliothek, in der er sich befand, wird fünf Seiten lang beschrieben. Zu viel, um es hier als Zitat einzufügen.
Lady Marchamant erzählt Inchbold, wie es dazu kam, dass Pontifex Hall so heruntergekommen ist. Vor gut fünfzehn Jahren wurde der Besitz wegen verräterischer Aktivitäten gegen das Parlament beschlagnahmt. Viele Möbel wurden verbrannt, so einiges sicher auch verkauft.
Aber erst am nächsten Tag erfuhr er mehr über die Bibliothek und seinen Auftrag. Er soll ein bestimmtes Buch suchen: Das Labyrinth der Welt. Doch nicht irgendeine Ausgabe, sondern das mit dem Ex Libris von Lady Marchamants Vater.
Ich liebe ja nicht nur "Bücher über Bücher", sondern auch Geschichten, die in England, insbesondere in London spielen.
[zitat]Acht Uhr. Der Morgen kam in blaßrosafarbenen und perlgrauen Lichtadern über London gekrochen. Schon seit Stunden war die Stadt dröhnend, klappernd, rülpsend, lärmend, singend und seufzend auf den Beinen. Doch obwohl es Sommer war, hielt sich die Dunkelheit am Himmel. Knorrige Rauchsäulen stiegen hoch empor, um das Morgenlicht zu filtern und auseinanderzuzupfen, als hätten sich Dutzende orientalischer Geister aus ihren entkorkten Flaschen befreit und sich von Smithfield bis Ratcliff und soweit das Auge reichte entlang der Flußmündung verteilt. Dann kehrten sie zurück, um sich wie ein feines schwarzes Pulver, das alles ummantelte, beschmutzte und zerfraß, auf der Stadt niederzulassen, ein unaufhörliches Rieseln, vor dem es kein Entkommen gab. Die gräucherten Speckseiten, die auf dem Leadenhall Market aushingen, waren bereits vom schwarzen Rauhreif überzogen, ebenso jeder Kragen, jede Hutkrempe, jede Markise und jedes Fensterbrett in der ganzen Stadt. Und es würde noch schlimmer kommen, da schon diese frühe Morgenstunde unerträgliche Hitze versprach, und der Hitze folgte unweigerlich der Gestank. Nahe am Themseufer vermengte sich der muffige Geruch des Schlicks aus dem unausgehobenen Flußbett mit den süßlichen Ausdünstungen von Melasse, Zucker und Rum aus den verfallenden Lagerhäusern und Fabriken, die sich vom Kai heraufdrängten. Hinzu kam der beißende Gestank des Blasentangs und der Schnecken, die bei Ebbe bloßgelegt wurden. Der Wind wehte von Osten, was für diese Jahreszeit ungewöhnlich war, und schob so die faulig riechende Wolke flußaufwärts, durch das endlose Gewirr gepflasterter Straßen, lichtloser Innenhöfe, halboffener Einfahrten und Fenster, hinein in jede Nische und jeden Schlupfwinkel der Stadt.[/zitat]
Liest sich das nicht toll? Jedenfalls, wenn ich in meinem gemütlichen Lesesessel sitze