Rezension Rezension (4/5*) zu Angels Fall von Susanne Leuders.

Mikka Liest

Bekanntes Mitglied
14. Februar 2015
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49
Hilter am Teutoburger Wald
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Ungebremst im emotionalen Sturzflug

Mit ♥lichem Dank an den Verlag für das Rezensionsexemplar!

"Jugendthriller" steht auf dem Cover, und auch die Handlung klingt überaus spannend. Das, gepaart mit der Tatsache, dass Susanne Leuders eine meiner Lieblingsautorinnen ist, hat mich natürlich direkt mehr als neugierig auf das Buch gemacht!

Hat "Angels Fall" mich also überzeugt?

Das ist gar nicht so einfach zu beantworten. Denn ich hadere ein bisschen damit, das Buch wirklich dem Genre Thriller zuzuordnen - für mich ist es eher ein Jugendroman, dessen Spannung sich vor allem aus den Charakteren ergibt, die alle aus unterschiedlichen Gründen mit ihren eigenen Ängsten, ihrer Wut, ihrem Hass und ihrer Verletzlichkeit zu kämpfen haben. Das tödliche Spiel lief für mich da tatsächlich eher nebenher...

Damit will ich aber keineswegs sagen, dass das Buch langweilig ist! Das ist es nämlich auf keinen Fall.

Amelie (genannt Amy oder Angel), ist eine zwiegespaltene junge Frau. Seit ihr Bruder Ben gestorben ist, treibt sie haltlos durch ihr Leben, und ihre Eltern lassen sie dabei kläglich im Stich. Ihre Mutter hat nur noch Raum für ihre eigene Trauer, und der Vater klinkt sich total aus dem Familienleben aus. Amelie kleidet sich provozierend, läuft nachts alleine durch gefährliche Gegenden, besäuft sich und lässt sich von Wildfremden abschleppen... Ein Hilfeschrei, den keiner hören will. Sie ist patzig, aggressiv, leichtsinnig, und dennoch wollte ich sie einfach nur in den Arm nehmen.

Striker wirkt auf den ersten Blick arrogant und selbstsicher, aber auch er hat sich von traumatischen Ereignissen in seiner Vergangenheit nie wirklich erholt und verrennt sich in gefährliche Entscheidungen.

Die beiden verstehen sich ohne Worte, müssen sich nichts erklären. Sie finden in einander ein bisschen Wärme, Trost, Freundschaft und... Ja, was? Liebe? Bei aller Vertrautheit stehen sie zaudernd vor dieser unsichtbaren Grenze, denn sie wollen nicht verlieren, was sie haben. Ich konnte diesen Zwiespalt, diese Zerrissenheit, zwar einerseits nachvollziehen, aber andererseits wurde mir das Hadern der beiden manchmal einfach zu viel.

Amy und Striker machten es mir beim Lesen wirklich nicht leicht, denn sie treffen oft katastrophale Entscheidungen. Ich habe dennoch immer mit ihnen mitgefiebert - gerade weil ich so dringend wollte, dass sie endlich erkennen, was in ihrem Leben falsch läuft und was sie daran ändern können. Ich fand ihr Verhalten zwar nicht immer gut, aber aufgrund ihrer Vergangenheit durchaus realistisch und verzeihlich.

Ihre zaudernde Beziehung hat manchmal eine herzzerreißende Romantik, und das ist es in meinen Augen auch, um was das Buch sich wirklich dreht. Das, und die tiefe Verwundbarkeit aller wichtigen Charaktere (auch der "Bösen"), die aus jeder Seite spricht...

Nur manchmal klangen einzelne Sätze für mich ein wenig umständlich, aber ansonsten schreibt die Autorin flüssig, mit dichter Atmosphäre und bittersüßen Formulierungen. Die Erzählstruktur ist ungewöhnlich: Geschehnisse werden öfters zeitlich übersprungen und erst im Rückblick erläutert, so dass man die Folgen vor der Ursache sieht. Nachdem ich mich daran aber gewöhnt hatte, fand ich es für die Geschichte aber sehr passend!

Das Buch wirft im Prinzip zwei Fragen auf: Wer steckt hinter dem Spiel, und werden Amy und Striker ihr Leben in den Griff bekommen und zueinander finden? Beides wird am Schluss (zumindest im Ansatz) beantwortet. Eines dieser Enden war für mich keine große Überraschung, das andere hat mich bestürzt und sogar schockiert. Welches davon welches war, das lasse ich lieber offen.

Ehrlich gesagt kein Ende, wie ich es mir gewünscht hätte - und dennoch eines, mit dem ich mich nach etwas Nachdenken noch angefreundet habe. Allerdings hätte ich mir bei den Charakteren noch mehr Selbsterkenntnis und Wachstum gewünscht!

Ja, wie ist das denn nun... Hat das Buch mich überzeugt? Als Thriller: jein. Als dramatisches Jugendbuch rund um zwei verlorene Seelen: ja, denn trotz leichter Kritikpunkte fand ich die Geschichte spannend, bewegend und unterhaltsam.

Fazit:
Für mich ist "Angels Fall" eher ein Jugendroman über die fatalen Auswirkungen, die emotionale Wunden, Trauer und zerrüttete Familien auf Jugendliche haben können, als ein Jugendthriller. Das Buch entzieht sich den Genregrenzen - oder setzt sich einfach darüber hinweg. Dramatik, Romantik, Spannung, das alles verbindet sich zu einem Buch, das mich nicht mehr losgelassen und mich nachdenklich zurückgelassen hat. Aber im Mittelpunkt sehen für mich nicht Täter und Tat, sondern zwei jugendliche Außenseiter, die nicht wissen, wie sie ihrer Freundschaft und Liebe vertrauen sollen.