Rezension (4/5*) zu Der Zeitentaucher - Mit Schiff, Charme und Kanonen von Tammy Lincoln

M

Mikka Liest

Gast

Mein erster Eindruck:
Das Titelbild versprach ein karibisches Piratenabenteuer mit Liebesgeschichte, vielleicht sogar ein bisschen Erotik. "Zeitentaucher", das klang nach Zeitreise, also einem Hauch Science Fiction. Und der Untertitel (eine Anspielung auf die alte Fernsehserie "Mit Schirm, Charme und Melone") ließ auf eine gute Prise Humor hoffen. Viel Anspruch habe ich mir von der Mischung ehrlich gesagt nicht erwartet, nur ein Gute-Laune-Buch für heiße Sommertage.

Aber beim Lesen war ich dann schnell positiv überrascht! Ja, es ist alles drin, was das Cover verspricht (nur, dass das Piratenabenteuer nicht in der Karibik spielt, sondern im nordaustralischen Korallenmeer), und dazu noch vieles mehr: ganz nebenher erfährt man einiges über Meeresbiologie, die Geschichte der Piraterie, die hawaiianische und chinesische Kultur, Astronomie, die Besiedlung Australiens - und, und, und... Die Französische Revolution findet ebenso Erwähnung wie das Tao der Liebe. Das Buch ist eine knallbunte Wundertüte der Allgemeinbildung! Eine sehr originelle, unterhaltsame Mischung.

Die Charaktere fand ich großartig. Besonders Olivia ist eine wunderbare Heldin: sie ist mutig, entschlossen und selbstbewusst. Sie kämpft und flucht wie ein Pirat, stolziert im o-beinigen Seemannsgang über das Deck, und wenn sie mal einen Mann braucht, dann schnappt sie sich halt einen. Dabei hat sie aber auch eine weiche, feminine Seite, die allerdings nur gelegentlich zum Vorschein kommt. Ihr Großvater war Deutscher, ihre Großmutter Hawaiianerin, und so kam sie zu dem merkwürdigen Namen Olivia Leilani Schmidt. Die ersten Jahre ihrer Kindheit wurde sie in der hawaiianischen Kultur großgezogen, danach in der Obhut christlicher Missionare, und so ist ihr Hintergrund ein ganz eigener Mischmasch der Kulturen. Aber im Grunde ist diese stolze Freibeuterin eine sehr spirituelle Frau - ein netter Kontrast.

An Robert hat mir gut gefallen, dass er nicht nur ein gutaussehender Mann ist, sondern auch ein gebildeter - und ich fand fantastisch, dass sich Olivia von seiner Intelligenz genauso angezogen fühlt wie von seinem knackigen Allerwertesten! Schnell stellt Robert, den es aus unserer Zeit ins Jahr 1852 verschlagen hat, fest, dass er die Hektik und den Technikwahn des 21. Jahrhunderts kaum vermisst. Ihm kommt das Leben im 19. Jahrhundert zwar gefährlicher (und unhygienischer!) vor, aber auch authentischer und lohnender. Über Robert lässt die Autorin immer mal wieder Themen wie Umweltverschmutzung und Überbevölkerung einfließen, was ich sehr interessant fand und was auch gegen Ende des Buches eine große Rolle spielt.

Auch die Nebencharaktere beschreibt Tammy Lincoln mit viel augenzwinkernder Sorgfalt - jeder steht mal im Rampenlicht, jeder darf ein Stückchen seiner Lebensgeschichte erzählen, jeder entpuppt sich hinter der Fassade des raubeinigen Piraten als echter Mensch mit echten Hoffnungen, Träumen und Ängsten. Die Crew der "Hinakua" stammt aus den verschiedensten Ländern und Kulturen und hat sich trotz aller Unterschiede zu einer Art Familie zusammengerauft - schrullig, aber liebenswert! Ich habe sie im Laufe des Buches sehr in mein Herz geschlossen.

Das Buch hat meist ein eher ruhiges Tempo. Es passiert zwar relativ viel - die Jagd nach einem verfluchten Schatz, die Flucht vor den chinesischen Brüdern Chang, den Schrecken der Weltmeere... Aber so richtig zur Höchstspannung schwingt sich das Buch meiner Meinung nach eher selten auf. Das war für mich allerdings gar kein Manko, denn viel von dem Zauber des Buches liegt ohnehin nicht in der Handlung, sondern in den detaillierten, farbenfrohen Beschreibungen, den vielen kleinen Einblicken in fremde Kulturen und längst vergangene Zeiten. Ich konnte die Blumen, die Vögel, die Palmen, die tropischen Fische geradezu vor mir sehen!

Der Schreibstil ist blumig, ausufernd, bunt, bildreich und vor allem vollgepackt mit dichter Atmosphäre. Für mich war es dadurch die perfekte Sommerlektüre! Einzig in den erotischen Szenen war er mir manchmal ein wenig ZU blumig, und dann musste ich laut lachen über die Schildungen des "Jadestabs" und Stellungen wie den "fliegenden weißen Tiger" - aber ich habe den Verdacht, dass die Autorin das durchaus beabsichtigt hat. Langweilig wurden die erotischen Szenen jedenfalls nie, und das ist schonmal ein dicker Pluspunkt!

Die Liebesgeschichte fand ich nicht schlecht, wenn auch gelegentlich ein bisschen zu kitschig, aber zu meiner eigenen Überraschung war sie nicht das, was mich in diesem Buch am meisten angesprochen hat - das waren tatsächlich die Schilderungen der Natur und die interessanten Charaktere! Ein wenig geseufzt habe ich über die Tatsache, dass scheinbar jeder Mann Olivia haben will, vom Schiffsnavigator bis zum Ersten Offizier... Andererseits: sie ist eine gutaussehende junge Frau auf einem Schiff voller Männer, die manchmal monatelang keine Frau sehen - da ist das vielleicht doch verständlich.

Fazit:
Eine nette Liebesgeschichte mit einer guten Prise Erotik, ein humorvolles Piratenabenteuer, Zeitreise und ökologische Themen - das Buch hat von allem etwas, und die Autorin spinnt ein buntes Seemannsgarn voller Humor und Atmosphäre. Dabei kann man sogar noch das ein oder andere über fremde Kulturen und exotische Flora und Fauna lernen!

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