Rezension (4/5*) zu Insel der blauen Gletscher: Norwegenroman von Christine Kabus

M

Mikka Liest

Gast

Sehr gut gefallen hat mir, dass wir die Geschichte auf zwei Zeitebenen aus Sicht zweier sehr unterschiedlicher Frauen erzählt bekommen, die beide auf ihre ganz eigene Art und Weise stark und entschlossen sind. Beide machen spannende Entwicklungen durch, und ich fand besonders interessant, wie man als Leser die fremdartige Welt der Arktis durch ihre Augen sieht.

Im Jahr 2013 folgen wir der Geschichte aus Sicht von Hanna. Hanna hat sich einen Großteil ihres Lebens um andere gekümmert und ihre eigenen Bedürfnisse hintenangestellt. Jetzt bricht ihr Leben plötzlich rund um sie herum zusammen, und statt sich im Selbstmitleid zu suhlen, krempelt sie die Ärmel hoch und macht sich tatkräftig daran, sich ein neues Leben als Reisejournalistin aufzubauen. Ich fand sehr bewundernswert, wie mutig, einfallsreich und positiv sie die Dinge angeht.

Im Jahr 1907 wird die Geschichte dagegen aus Sicht von Emily beschrieben. Sie ist eine selbstbewusste junge Frau, die mehr von ihrem Leben erwartet, als den gesellschaftlichen Konventionen ihrer Zeit entspricht. Sie will nicht nur den Mann heiraten, den ihre Eltern für sie aussuchen, und dann den Rest ihres Lebens mit Dingen verbringen, die als schicklich erachtet werden, wie Handarbeiten und Hausmusik. Als sich ihr unverhofft die Chance bietet, anstelle ihres Bruders, als junger Mann verkleidet, eine Forschungsreise anzutreten, ergreift sie diese mit beiden Händen.

Es erfordert schon eine ganz besondere Art von Stärke, in dieser Zeit auch nur darüber nachzudenken, als junge Frau eine Forschungsreise in die Arktis anzutreten! Sie ist also quasi eine Vorreiterin der Emanzipation, und ich habe ihren Teil der Geschichte mit besonderem Vergnügen gelesen. Was für ein unglaubliches, spannendes Abenteuer!

Nur manchmal war Emily für mich zu sehr die talentierte Superfrau, die alles kann: Im Schießen ist sie ein wahres Naturtalent. Sie packt kräftig auf dem Schiff mit an und tut dabei als untrainierte junge Frau Dinge, die einem körperlich durchtrainierten Seemann schwer fallen würden. Sie erinnert sich scheinbar an alles, was sie je gehört oder gelesen hat - so wird z.B. erwähnt, wie sehr die endlosen Vorträge ihres älteren Bruders über Waffen und Technik sie langweilen, aber sie kann dennoch fehlerfrei und detailliert daraus zitieren, um die Männer auf dem Schiff mit ihrem Wissen zu beeindrucken. Und so weiter und so fort...

Aber dennoch war Emily ein Charakter, den ich schnell lieb gewonnen und über den ich gerne gelesen habe.

Auch die Nebencharaktere sind bunt und lebendig beschrieben. Auf dem Schiff, mit dem Emily reist, treiben sich z.B. richtige Unikate rum, und man weiß als Leser bei keinem so richtig, welche Ziele er eigentlich verfolgt - auf jeden Fall sind nicht alle der Forschung wegen dort...

Die Liebesgeschichte zwischen Hanna und Kåre ist herzerwärmend und romantisch, und ich habe direkt mit beiden mitgefühlt und mir gewünscht, dass es für sie ein Happy End geben wird.

Die Liebesgeschichte in Emilies Teil der Geschichte hat mich etwas weniger überzeugt - ich will hier noch nicht zu viel verraten, aber die Auflösung erschien mir ein wenig zu konstruiert und unglaubwürdig.

Das Buch ist unglaublich informativ: Bergbau, Landschaft, Flora, Fauna, wissenschaftliche Forschung, Geschichte, Geographie... Alles ist wahnsinnig gut recherchiert und dabei unterhaltsam geschrieben, so dass es auch Laien mit Vergnügen lesen können! Wenn man schon einmal in der Arktis war, erkennt man viele kleine, liebevolle Details wieder - ich war immer wieder sehr überrascht, Dinge in der Geschichte wiederzufinden, die ich schon halbwegs vergessen hatte. Und wenn man noch nie dort war, dann könnte ich mir vorstellen, dass man das nach der Lektüre dieses Buches nachholen möchte!

Alles ist so wunderbar beschrieben, dass man es bildlich vor sich sehen und beinahe schon hören, riechen und schmecken kann. Und das ist sicher nicht nur für Arktisfans ein Lesevergnügen. Aber wer sein Herz ohnehin schon an die Arktis verloren hat, für den ist das Buch einfach ein Muss.

Die Auflösung des Ganzen hat mir im Prinzip gut gefallen. In meinen Augen ein kleines Manko: am Ende der Geschichte wird nicht wirklich aufgeklärt, was mit einem der wichtigsten Menschen in Emilies Leben geschieht; das hätte ich als Leser doch gerne noch gewusst.

Fazit:
Für Arktisfans ein Muss, aber auch für Fans gut geschriebener Gegenwartsliteratur ein lohnendes Buch. Der Leser folgt zwei Frauen, die in den Jahren 1907 und 2013 aus ganz unterschiedlichen Gründen in die Arktis reisen und dabei nicht nur sich selber finden, sondern auch die Liebe.

Eine spannende, originelle Mischung aus historischen Ereignissen, informativem Reisebericht und persönlicher Entwicklung zweier grundverschiedener Frauen - meines Erachtens lesen sich die 622 Seiten mühelos und unterhaltsam runter.

Mikka Liest

Zum Buch... (evtl. mit weiteren Rezensionen)
 
H

HoldenCaulfield

Gast
Ich freue mich schon sehr auf Christine Kabus neuen Roman und bin gespannt! Ich finde sie hat sich ja schon von ihrem ersten Roman auf den zweiten deutlich gesteigert. Außerdem schreibt sie so lebendig das ich immer das Gefühl habe mitten in Norwegen zu sein.