Eine Weile geht das gut, bis -- ja: bis die braune Vergangenheit in Gestalt einiger Neonazis und Ausländerfeinde in die Gegenwart hinüberschwappt. Und als dann auch noch Bahn-Reformen den Arbeitsplatz eines Kollegen bedrohen, erkennt Neff, dass man "manchmal auch zuschlagen" muss. Bis dahin aber ist viel geruhsame Erzählzeit verflossen, die den liebenswerten Helden mit allerlei Lebensschicksalen und Handlungssträngen (darunter auch kriminalistischen) konfrontiert: "An jeder Fundsache hängt etwas", heißt es im Roman, "du glaubst nicht, was da manchmal zum Vorschein kommt." Beizeiten entwickelt Neff sogar ganz eigenwillige Methoden, um rechtmäßige von unrechtmäßigen Besitzern zu scheiden. So lässt er eine Aktrice aus dem verlorenen Textbuch rezitieren. Und als ein Mann behauptet, jener Messerwerfer zu sein, dem das gefundene Wurfset aus Toledo im Regal gehöre, stellt Neff sich kurzerhand an die Tür und lässt den Artisten seine Kunst beweisen. An solchen zweischneidig-komischen Stellen (immerhin droht dem Erprober bei Falschaussage akuter Daseinsverlust) ist Lenz' neuer Roman vollkommen geglückt.
So erzählt Lenz vom Leid des Verlierens, aber auch vom beglückenden "Mysterium des Wiederfindens" in einer hektischen Gesellschaft, in der das Fundbüro (zumindest hin und wieder) als insularer Ruhepol der Glückseeligen erscheint. Auch wenn sich wohl niemand in dem bisweilen leider etwas langatmigen Schmöker und seiner einfachen Sprache verlieren wird, so gibt es doch so manches literarisch wertvolle Kleinod im skurrilen Fundsachen-Repertoire des Autors zu entdecken. Wer Muße hat und auf der Suche ist nach gut erzählter Literatur ohne komplexe Schnörkel, der wird hier eine ganze Menge davon wiederfinden. --Thomas KösterKaufen
Wer nicht ohnehin ein großer Fan von Horst Evers ist, wird sich mit Für Eile fehlt mir die Zeit zunächst etwas schwertun. Denn das Buch braucht eine Weile, um in Schwung zu kommen. Aber dann wird es von Seite zu Seite immer besser – und literarischer. Dass man am Schluss der Erzählung Das Paar im Zug zum Beispiel nicht mehr weiß, ob es wirklich noch das Alter Ego Evers’ ist, das schreibt, oder nicht doch der aufdringliche weibliche Pärchenpart, der einen Klobesuch des Erzählers nutzt, um an dessen Laptop die Geschichte zu beenden, ist schon wirklich hübsch.
Am schönsten in Für Eile fehlt mir die Zeit ist vielleicht die Erzählung Wenn Mücken twittern könnten, die von einem neuen Nachbarn mit dem schönen Namen „Herr Riechmann“ berichtet, der zum Twittern kein Internet braucht sondern seine Kurznachrichten – „Boah, hab ich Hunger!!!“ oder „Jetzt mach ich gerade mal überhaupt nichts!!!“ – einfach durchs geöffnete Fenster in den Hof brüllt. Da klingt es zwar vom Duktus her an manchen Stellen so, als hätte Evers von Wolf Haas abgeschrieben, aber das will man ihm gern verzeihen. -- Thomas KösterKaufen