Rezension Rezension (3/5*) zu Der ehemalige Sohn von Sasha Filipenko.

kingofmusic

Bekanntes Mitglied
30. Oktober 2018
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Ein Land erwacht

Sasha Filipenko war mir vor einiger Zeit mit seinem Roman „Rote Kreuze“ durchaus positiv aufgefallen. So freute ich mich, als ich die Gelegenheit bekam, auch seinen Debüt-Roman „Der ehemalige Sohn“ lesen zu dürfen.

Nun – um mein (persönliches!) Fazit einmal vorweg zu nehmen: das Potenzial war damals schon vorhanden, allerdings noch nicht ganz „ausgereift“. Aber es gelingt wohl auch nur wenigen Debütanten, einen wirklichen „Hit“ als erstes Buch zu landen. Wenn doch, sind die Erwartungen anschließend umso höher und der Druck steigt. Dann lieber eine kontinuierliche Steigerung in der Qualität. Und trotzdem hat Sasha Filipenko schon mit seinem Debüt einen Literaturpreis erhalten; den „Russkaja Premija“. Es sei ihm von Herzen gegönnt.

Well, let´s go: „Der ehemalige Sohn“ Franzisk ist ein „typischer“ Teenager im belarussischen Minsk, der lieber mit seinen Freunden Fußball spielt als Cello zu üben (hm, ich würde es eher umgedreht machen *g* - egal).

Während einer Massenpanik in einer U-Bahn-Station (Gedanken an die Katastrophe der Loveparade werden während dieser sehr bildlich beschriebenen Szene automatisch „hochgespült“) wird Franzisk schwer verletzt und fällt in der Folge ins Koma. Alle geben ihn auf: die Ärzte, die eigene Mutter, zu der es sowieso ein recht schwieriges Verhältnis gibt, seine Freundin…Einzig seine geliebte Großmutter Elvira glaubt an das Erwachen von Franzisk – und sie soll Recht behalten.

Die Zeit des 10-jährigen Komas von Franzisk wird in stakkatohaften, teils elend langen, jedoch auch teilweise äußerst interessanten Monologen recht ausführlich abgehandelt. Interessant wird es z. B. immer dann, wenn es in die „politische“ Richtung geht. Sätze wie „Es war ja auch nicht ein Mensch gestorben, sondern ein politischer Widersacher.“ (S. 135) lassen der geneigten Leserschaft (zumindest mir) einen Schauer über den Rücken jagen, wenn man sich die Ereignisse in Belarus in den vergangenen Jahren anguckt. Wahrhaft prophetisch (das Buch wurde 2014 erstveröffentlicht) …Hingegen fand ich einiges, was sich im Krankenzimmer abgespielt hat, äußerst fragwürdig; ich spare mir jetzt Details.

Die erstaunlich schnell voranschreitende Genesung von Franzisk (Zisk) nach seinem Koma kann ich nicht so ganz für voll nehmen. Klar muss man (muss man?) auch hier den erzähltechnischen bzw. dramaturgischen Zeitturbo anschmeißen und ja, ein Roman darf sarkastisch, überspitzt etc. sein, aber – ach ich weiß auch nicht. Es hinterlässt irgendwie einen bitteren Geschmack. Aber nicht nur Zisk wacht auf, sondern auch das Land. Die Menschen gehen auf die Straßen, bieten der Regierung Paroli – und werden blutig niedergeschlagen. Same procedure im realen Leben…

Versteht mich nicht falsch: das Buch hat seine guten Seiten, aber das letzte Quäntchen fehlt mir in dem Roman. Aber wie ich schon weiter oben schrieb…

Ich verfolge die Entwicklung von Sasha Filipenko gerne weiter; für den Moment kann ich aber für seinen Debüt-Roman nur 3* vergeben. Der „test of time“ wird zeigen, ob die Bewertung zu einem späteren Zeitpunkt evtl. noch nach oben korrigiert werden kann.

©kingofmusic


 

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