Rezension Rezension (3/5*) zu Die Farbe des Nordwinds: Roman von Klara Jahn.

parden

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13. April 2014
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Niederrhein
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Der Mensch und das Meer...

Schon immer hat Ellen sich wie eine Besucherin in ihrem eigenen Leben gefühlt. Außer einmal, als Kind, als sie mit ihrer Mutter kurz auf den Halligen lebte. Abreisen wollte sie damals nicht, doch sie hatte keine Wahl. Nun kehrt sie zurück auf dieses merkwürdig vertraute Fleckchen Marschland. Und zu Liske, die damals wie eine Schwester für sie war. Ihre Annäherung wühlt alte Konflikte wieder auf, doch Ellen lässt sich nicht entmutigen. Denn sie weiß: Dies ist ihre Seelenheimat.



Erster Satz: „Die alten Friesen glaubten, dass die Kinder aus der Tiefe des Meeres kommen und die Eltern sie aus den Fluten ziehen.“ (S. 7)



Der Klappentext weist nur auf einen Teil des Romans hin, der in Wirklichkeit in zwei Zeitebenen erzählt wird. Der Erzählstrang um Ellen spielt in der Gegenwart, zu Beginn des 19. Jahrhunderts der andere, beide jedoch auf derselben Hallig. Dabei werden die Unterschiede des Lebens damals und heute auf dem kleinen Fleckchen Marschland deutlich, aber auch die Gemeinsamkeiten. Die Natur war, ist und bleibt das Element, an dem sich der Mensch zu messen hat – allen voran der Wind und das Meer.

Von der Vergangenheit erfahren wir durch die Eintragungen in eine Chronik, in der von dem Leben von Arjen berichtet wird. Durch die Fürsprache des Pfarrers hat er die Chance, die Hallig zu verlassen und auf dem Festland die Schule zu besuchen, als heller Kopf, der er ist. Jahre später kehrt er zurück auf die Hallig, wird von den anderen jedoch nicht willkommen geheißen, auch und gerade nicht von seinem jüngeren Bruder Hendrik. Doch Arjen lässt sich nicht entmutigen. Er unterrichtet künftig nicht nur die Kinder auf der Hallig, sondern versucht auch den Erwachsenen zu verdeutlichen, dass dringend am Deichschutz gearbeitet werden muss. Bei einem Menschenschlag, der beharrlich an Traditionen festhält, kein leichtes Unterfangen…

Auch Ellen ist eine Rückkehrerin. Als Jugendliche lebte sie bereits für einige Zeit auf der Hallig, als ihre Mutter beschloss, dort bei einem der Bauern einzuziehen. Ellen war es gewohnt, ständig ihre Zelte wieder abbrechen zu müssen, weil es ihre Mutter immer weiter trieb, aber auf der Hallig fühlte sie sich erstmals zu Hause. Als sie schließlich doch wieder wegzogen, schwor sich Ellen, eines Tages wiederzukehren. Und dies setzt sie nun endlich in die Tat um. Doch auch sie muss erfahren, dass sie nicht von allen willkommen geheißen wird und muss sich ihren Platz auf der Insel erst erkämpfen.

Aufgrund des flüssigen Schreibstils lässt sich der Roman gut lesen, und gerade die bildhaften und manchmal fast schon poetischen Naturbeschreibungen stellen hier etwas Besonderes dar. Der Erzählton ist dabei gerade in der Vergangenheit meist sehr düster und drückend, in der Gegenwart häufig leicht melancholisch. Das hatte ich ehrlich gesagt in dieser Konsequenz nicht so erwartet, und so empfand ich auch das Lesen nicht nur als Vergnügen.

Die akribische Recherche der Autorin (bei Klara Jahn handelt es sich um ein Pseudonym) bezüglich alles Wissenswertem rund um die Halligen damals und heute ist im Grunde jeder Zeile anzumerken. Mir scheint, dass die Autorin ein wenig wie die Protagonistin Ellen ist: sie hat einfach ALLES zu den Halligen gelesen und streut dieses Wissen in ihrem Roman breit gefächert aus, was auf der einen Seite zu einer sehr authentischen und differenzierten Schilderung des Lebens (damals und heute) auf einer Hallig führt, auf der anderen Seite aber die Handlung an sich ausbremst. So war ich beim Lesen häufig zwiegespalten – es gab da eine Faszination für die realistischen und bildhaften Naturbeschreibungen einerseits, aber auch einiges an Ungeduld angesichts so mancher langatmigen Passagen andererseits. Spannung blieb häufig Mangelware, und lediglich der Wechsel der Damals-Kapitel mit dem Geschehen in der heutigen Zeit sorgte für etwas Dynamik.

Leider blieb der anfängliche Eindruck bestehen, dass das breit gefächerte Wissen (Geschichte, Politik, Natur, Ökologie, Kultur usw.) rund um die Halligen in Historie und Gegenwart hier irgendwie in eine Romanform gepresst wurde. Sowohl die Handlung als auch die Darstellung der Charaktere blieben der oft überladen wirkenden Wissensvermittlung gegenüber für mein Empfinden untergeordnet. Arjen wie auch Ellen blieben für mich eher eindimensional und blass, und zu beiden konnte ich keine rechte Verbindung aufnehmen. Die Nebencharaktere wurden zudem noch recht klischeehaft gezeichnet, und insgesamt ließ mich das gesamte Personal eher gleichgültig und kalt.

Vordergründig geht es in dem Roman um Lebensträume und die Möglichkeiten bzw. Hindernisse, diese zu verwirklichen. Im eigentlichen Fokus jedoch steht das Leben auf einer Hallig an sich mit all seinen Besonderheiten und den dafür wichtigen Themen (Deichschutz, Naturschutz, Naturkatastrophen, Tourismus, Bildung und Perspektiven für die Jugend u.a.m.). Wer jemals romantisierende Gedanken über das Leben auf einer Hallig hatte, wird hier definitiv eines Besseren belehrt…

Ein Roman, der für mich nicht ganz hielt, was ich mir davon versprochen hatte. Interessant, lehrreich, informativ auf der einen Seite, untermalt von bildhaften und authentischen Naturbeschreibungen, aber geschwächt durch eine über lange Passagen vor sich hin plätschernde Handlung und blasse Charaktere auf der anderen Seite. Weniger Detailwissen und eine komprimiertere Handlung hätte dem Ganzen m.E. gut getan.

Ans Meer würde ich jetzt jedoch trotzdem gerne fahren. Sofort.


© Parden

 
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