Rezension Rezension (5/5*) zu Metropol von Eugen Ruge.

Anjuta

Bekanntes Mitglied
8. Januar 2016
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4.771
49
62
Essen
Warten in vordergründigem Luxus

Bei seiner Arbeit zu dem Erfolgsroman „In Zeiten des abnehmenden Lichts“ ist Eugen Ruge auf eine Episode im Leben seiner Großmutter aufmerksam geworden, die ihn seitdem nicht losgelassen hat und die er zu einem weiteren Roman zu seiner Familiengeschichte verarbeitet hat. Es handelt sich dabei um den Roman „Metropol“, in dem seine Großmutter mit ihrem Partner auf der Flucht vor den Nazis in der jungen Sowjetunion untergekommen ist und ins Räderwerk der Verfolgungen des Stalin-Regimes gerät. Für ca. eineinhalb Jahre wohnt sie dabei im luxuriösen Hotel Metropol, immer in Warteposition, was weiter mit ihr und ihrem Partner, beides verdiente kommunistische Aktivisten, geschehen wird, und umgeben von Schicksalsgenossen, die nach und nach alle irgendwie abgeholt werden und verschwinden.
Mit diesem Buch war ich in diesem Jahr schon zum zweiten Mal lesend intensiv in diesem zentralen, historischen Gebäude in Moskau unterwegs, in dem auch „Ein Gentleman in Moskau“ (aus dem Roman von Amor Towles) vom Sowjetregime an die Seite geschoben jahrelang ausharren musste. Die erneute Lektürereise in dieses Haus brachte sehr erhellende zusätzliche Aspekte zur Geschichte eines Hausarrests, die ich in dem ersten Buch deutlich vermisst habe. Denn Angst und Sorge um die Zukunft spielte bei Towles für mich erstaunlicherweise gar keine Rolle, wo doch in unmittelbarer Nähe um den „Gentleman“ herum und zu Millionen in der Sowjetunion unter Stalin Menschen in Lager und den Tod geschickt wurden. Angst und Sorge sind dafür dann in „Metropol“ zentrale Gefühlslagen der Menschen, die die luxuriösen Flure des Hotels bevölkern (historisch zeitgleich mit dem „Gentleman“), für diese Art von Luxus aber so gar nichts übrighaben. Wonach sie streben, ist eine für sie sinnvolle Arbeit/Aufgabe und staatliche Anerkennung ihrer Rolle beim Aufbau eines revolutionär neuen Staates und einer ebensolchen Gesellschaft.
Eugen Ruge schildert das permanente Warten und die tiefe Verunsicherung darüber, was und wer falsch oder richtig ist in diesen Zeiten, an was und wen kann man sich halten?, um was und wen macht man besser einen riesenhaften Bogen? auf sehr ruhige, unaufgeregte, dabei aber auch sehr ergreifende Art. Die dem Naziregime entkommenen Flüchtlinge finden sich hier in einer anderen Art von Verfolgungsstaat wieder, der vorgibt, ganz den von den Geflüchteten aufopferungsvoll verfolgten Idealen zu dienen. Ein entnervender, nervenzerreißender Widerspruch der einfach nicht aufzulösen ist.
Charlotte, Ruges Großmutter, überlebt diese Situation und Zeit weil sie – genauso unverständlich wie andere in sibirische Arbeitslager gebracht wurden – eine Ausreise nach Paris erhält. Warum gerade sie? Warum gerade Frankreich? Ruge kann dazu nach langen Recherchen im Roman genauso wenig eine Antwort geben, wie sie wohl auch seine Großmutter finden konnte, die auch nach Rückkehr in die DDR zeitlebens über diese Phase ihres Lebens nicht zu sprechen bereit war.
Ein Lebensschicksal, dem Eugen Ruge mit diesem Buch ein für mich überzeugendes Denkmal gesetzt hat. Ich gebe dafür gern 5 Sterne.


 

Wandablue

Bekanntes Mitglied
18. September 2019
9.371
21.149
49
Brandenburg
Auf der Flucht vor den Nazis ... so wie ich es verstanden habe, waren die beiden Spione und haben auch Leute umgebracht. Ich habe dieses Buch nicht mit so großem Verständnis gelesen, muss ich zugeben. Aber deine Rezension ist natürlich wunderbar!