Rezension Rezension (4/5*) zu Drei Sommer von Margarita Liberaki.

Literaturhexle

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2. April 2017
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Drei Schwestern an den Schaltstellen des Lebens

„Drei Sommer“ wurde in Griechenland bereits 1946 erstveröffentlicht und ein großer Erfolg. Albert Camus betrieb 1950 die Übersetzung ins Französische, der Arche Verlag ermöglicht nun auch den deutschen Lesern die Lektüre des Romans, der in einer haptisch wunderschönen Auflage vorliegt. Überraschend ist, dass man den Roman nicht eindeutig in einer bestimmten Zeit verorten kann. Politische Themen oder Kriege bleiben komplett außen vor. (Lediglich ein kleiner Hinweis legt nahe, dass die Handlung nach 1935 anzusiedeln ist.)

„Drei Sommer“ ist ein Roman über drei unterschiedliche Schwestern, deren Leben sich innerhalb der beschriebenen Sommer in verschiedene Richtungen entwickelt. Es ist ein Roman über das Erwachsenwerden. Zu Beginn der Geschichte ist Ich-Erzählerin Katerina 16, Infanta 18 und Maria 20 Jahre alt. Sie leben zusammen mit ihrer geschiedenen Mutter Anna, der unverheirateten Tante Tereza und ihrem Großvater auf einem Landgut in der Nähe von Athen. Man kann die Familie der gehobenen Gesellschaftsschicht zurechnen, niemand geht einer bezahlten Arbeit nach. Den Mädchen ist eine möglichst standesgemäße Heirat mit einem jungen Mann aus der Nachbarschaft vorbestimmt, abgesehen vom Schulbesuch wird in der Ausbildung lediglich auf Singen, Musizieren und Handarbeiten Wert gelegt.

Katerina ist die lebhafteste und emotionalste der Schwestern, sie hat eine blumig-romantische Fantasie und liest ständig Romane, die diese beflügeln. Von der gefühlsarmen Mutter wird sie oft als überspannt bezeichnet und gerne mit der verschollenen Großmutter verglichen, die ihre kleinen Töchter einst für einen Musiker verließ. Im Verlauf lernen wir die Eigenschaften und Vorlieben der Familienmitglieder kennen. Als Chronistin besitzt Katerina dabei eine feine, genaue Beobachtungsgabe, die zu gründlichen Charakterstudien der Menschen in und rund um das Landgut führt. Sie schildert, was sie sieht. Dazu kommen Begebenheiten, Dialoge sowie eigene altersgemäß stimmige Schlussfolgerungen – mit denen sie nicht immer richtig liegen muss. Ergänzt wird Katerinas Perspektive durch die eines allwissenden Erzählers, der immer einspringt, wenn Katerina in bestimmten Szenen (z.B. in der Vergangenheit) nicht zugegen war oder etwas nicht wissen kann. Auf diese Weise ergibt sich für den Leser ein umfassendes, sehr dezidiertes Bild. Die Figuren werden einem immer vertrauter. Nicht alles ist idyllisch. In fast jeder Familie gibt es Brüche oder Besonderheiten.

Der Roman lebt von seinen bildreichen Beschreibungen, dem engen Bezug zur Tier- und Pflanzenwelt. Stimmungen werden durch Lichtspiele, Landschaften oder Wetterkapriolen unterstrichen. Man kann die unvergleichliche Landschaft mit allen Sinnen erfassen: „Eines Morgens stand unser Lavendel plötzlich in voller Blüte. Am Abend zuvor hatten wir noch die grünen, harten Knospen gestreichelt und uns gewünscht, sie mögen über Nacht aufgehen. Am nächsten Tag erblickten wir sechs Reihen mit lilafarbenen, im Sonnenlicht flirrenden Lavendelbüschen, umflattert von Hunderten frisch entpuppter weißer Schmetterlinge, die einander hinterherjagten und sich paarten, um am selben Abend noch zu sterben.“ (S. 64)

Die Mädchen genießen die unbeschwerte Jugend, sie träumen und treffen sich mit ihren Verehrern und Freunden. Sie gehen auf Parties, flanieren im Städtchen, besuchen ihren Vater, der in einer Athener Bank beschäftigt ist. Auch Mutter und Tante empfangen Besucher. Man bekommt ein umfassendes Portrait dieser Familie und ihres Umfelds, das Sommerfeeling ist wunderbar eingefangen. Natürlich gibt es Konflikte, auch die Konstellation der Schwestern untereinander unterliegt Veränderungen. Maria als die Älteste probiert sich und die Liebe aus, sie flirtet gern und scheint leidenschaftlich zu sein. Infanta indessen wird sehr von der Tante geprägt, die als junge Verlobte vergewaltigt wurde und entsprechend einen Hass auf Männer kultiviert. Dieser Einfluss macht Infanta skeptisch und fast unnahbar, man hat Angst, dass sie dadurch ihr Lebensglück verpassen könnte. Katerina ist noch hin- und hergerissen. Sie schwankt, ist sprunghaft, hat mehr damit zu tun, ihre Schwestern zu beobachten, als sich um sich selbst zu kümmern. Im Lauf der drei Sommer wird aber auch sie ruhiger und empfindet schließlich die Faszination der ersten Verliebtheit. Die weiblichen Rollenbilder wirken allerdings ziemlich eingeschränkt. Allzu viele Möglichkeiten scheinen junge Frauen in der gezeigten Gesellschaftsschicht nicht zu haben. Der Roman bietet viel Lokal- und Zeitkolorit, interessant sind auch die Einblicke in den Alltag der kinderreichen, einfachen Bauernfamilien, die ganz andere Sorgen und Nöte haben.

Der Roman besticht durch seinen detaillierten, teilweise poetischen Schreibstil. Man begleitet die Schwestern durch die Sommer. Die Handlung fließt ruhig dahin, nennenswerte Spannungsbögen gibt es nicht. Trotzdem hat das Buch seine Reize. Man sollte es vorzugsweise im Sonnenschein lesen und sich von den wunderschönen Bildern forttragen lassen. Ich persönlich habe insbesondere im Mittelteil kleine Längen empfunden und war auch mit dem Ende nicht ganz im Reinen, was einen Stern gekostet hat.

Insgesamt aber auf alle Fälle ein lesenswerter, zeitloser Klassiker.

 
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