Rezension (4/5*) zu Die Völkischen in Deutschland: Kaiserreich und Weimarer Republik von Stefan Br.

Matzbach

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31. Januar 2020
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OWL
Mit der Lektüre von Stefan

Mit der Lektüre von Stefan Breuers "Die Völkischen in Deutschland. Kaiserreich und Republik" habe ich mich ehrlich gesagt ein wenig gequält und sie mehrfach unterbrochen, um u.a Darstellungen über die römische Geschichte zu lesen, etwas, was mir als Student sicherlich so nie passiert wäre. Und das hat weniger mit einem Neigungswandel von Zeitgeschichte zu alter Geschichte zu tun als an enttäuschter Erwartungshaltung. Das Buch war lange ob seiner Thematik auf meiner Wunschliste, der zugegebenermaßen recht hohe Preis selbst für Mitglieder der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft hat aber abschreckend gewirkt, doch irgendwann war die versuchung zu groß. Doch wie so oft, zu große Vorfreude wird enttäuscht. Woran liegt es? Vielleicht daran, dass Breuer ein Soziologe ist, der einen andreren Zugruff auf historische Themen verfolgt als ein Historiker? An der von ihm nicht zu verantortenden Vielzahl völkischer Verbände und Verbändchen, die nahezu unüberschaubar aus dem Boden sprossen? Das gleiche gilt für die Vielzahl der Namen, die sich in dieser Szene tummelten (wie oft habe ich wikipedia zu Rate ziehen müssen, um zusätzliche Informationen zu erhalten?). Oder "einfach" nur daran, dass eine in sich schlüssige Definition für das, was unter "völkisch" zu verstehen ist, schlicht und einfach unmöglich ist? Sicher, Antisemitismus ist ein intergraler Bestandteil, aber dann hört es auch schon auf. Es gab Antifeminismus in diesen Kreisen, aber ebenso weibliche Vertreterinnen, die für wie auch immer geartete "völkische" Frauenrechte warben. Es gab Technikfeinde und Technikbefürworter, Anhänger einer germanischen Religion wie Nationalprotestanten. Also alles in Allem ein schier unübersichtliches Gebräu verschiedener Denkmuster, die letzendlich nur durch die Ablehnung von was auch immer (Staat, Demokratie, Internationalismus, Kapitalismus, Arbeiterbewegung etc.) geeint waren. Das führt dann bei Brauer zu Überlegungen, ob ein Mensch wie Alfred Hugenberg, dem neben vielen anderen unbestreitbar der Titel "Totengräber der Republik" zusteht, "Völkisch" oder nur "nationalistisch" eingestellt gewesen sei. Diese Frage mag akademisch berechtigt sein, aber ist sie nötig? Es mag, um eine Parallel zu heute aufzuzeigen, Unterschiede zwischen Gauland und Höcke geben, aber solange die beiden in einem Boot rudern braucht man keinen Unterschied zwischen ihnen zu machen. Wer derart fixiert denkt, dass das Braune zum Mund heraus kommt, verdient keine Abgewogenheit.

Nach der Lektüre stellt sich dem Leser allerdings die Frage, warum dieses Gedankengut auch heute noch oder wieder fröhliche Urständ feiert.