Rezension Rezension (5/5*) zu DUNKEL: Thriller von Ragnar Jónasson.

Mikka Liest

Bekanntes Mitglied
14. Februar 2015
1.513
2.403
49
Hilter am Teutoburger Wald
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Der erste Band, doch auch das Ende der Geschichte

Eine kurze Information vorneweg

Diese Trilogie wird achronologisch erzählt: Der erste Band “Dunkel” ist tatsächlich das Ende der Geschichte! Der nächste Band “Insel” spielt fünfzehn Jahre zuvor, und “Nebel” macht dann nochmal einen Satz rückwärts durch die Zeit.

Bisher habe ich nur “Dunkel” gelesen, mir aber sagen lassen, dass die Vorgeschichte durch einiges, was du in diesem ersten Band erfährst, rückwirkend nochmal eine ganz neue Dimension erhält. Ich bin gespannt!

Erfreulich: hier spielt mal eine ältere Frau die Hauptrolle!

Kommissarin Hulda Hermannsdóttir ist 64 Jahre alt und erwartet mit Schrecken ihre nahende Pensionierung bei der Polizei Reykjavík. All die Jahre hat sie sich in dieser männerdominierten Berufswelt behauptet, so gut es ging, ihr Job ist alles für sie – und jetzt droht ihr ganzer Lebensinhalt, wegzubrechen.

Eigentlich hat sie ja noch ein paar Monate, aber dann stellt sich heraus, dass sie schon in zwei Wochen durch einen jüngeren Kollegen ersetzt werden soll. Einen letzten Fall, einen Cold Case, kann sie ihrem Chef als Zugeständnis noch abtrotzen. Der stellt sich das eigentlich so vor, das sie sich ein paar Wochen mit irgendeiner Nichtigkeit beschäftigt, bevor sie sich dann zur Tür hinauskomplimentieren lässt – doch weitgefehlt, Hulda gibt alles.

Runter ins Kaninchenloch…

Hulda sucht sich den Fall der Asylbewerberin Elena aus: es geht um eine junge Russin, die ertrunken aufgefunden wurde, angeblich ein Suizid. Aber so ganz stimmig ist das nicht, wenn man die Umstände genauer betrachtet, es gibt eklatante Ungereimtheiten… Schnell stellt Hulda fest: hier wurde mächtig geschlampt oder absichtlich vertuscht, und so nach und nach ergibt sich ein ganz anderes Bild: Mord

Hulda macht sich mit ihren Ermittlungen keine Freunde. Es wird als Affront verstanden, dass sie die Arbeit des geschätzten männlichen Kollegen, der den Fall ursprünglich bearbeitet hat, kritisiert – und sich damit gegen die Hackordnung stellt. Sie ist allein auf weiter Flur, ohne nennenswerte Unterstützung, und vergräbt sich derart in den komplexen Fall, dass sie gar nicht merkt, wie sehr sie sich selber in Gefahr begibt

Drei Abschnitte. Drei Tage. Drei Nebenhandlungen.
Mehr und mehr tauchst du in Huldas Gedanken und ihr Leben ab, und das ist keineswegs immer eitel Sonnenschein. Beim Lesen musst du dein mentales Bild von ihr wiederholt korrigieren, denn obwohl sie durchaus sympathisch ist, tun sich da doch ein paar Abgründe auf.

Überhaupt sind die wichtigsten Charaktere in diesem Thriller nicht immer liebenswert, aber stets glaubhaft und vielschichtig, mit Facetten, die überraschen. Auch die angesprochenen Themen haben es in sich: Sexismus in den Reihen der Polizei, die gravierenden Probleme von Asylsuchenden in Island, Einsamkeit, Verlust und Trauer… Und immer wieder schwierige Mutter-Tochter-Beziehungen.

Der Schreibstil passt perfekt zum Inhalt.

Er liest sich schnell, flüssig und glasklar, Jónasson verliert kein Wort zu viel oder zu wenig. Die Atmosphäre ist dicht und von einer dunklen Schwermut geprägt, wie man das von einem isländischen Krimi fast schon erwartet – da kannst du beinahe in Melancholie verfallen, aber dennoch ist die Geschichte hochspannend und unterhaltsam.

Die Themen sind sowohl zeitlos als auch aktuell, die Art und Weise, wie sie geschildert werden, originell und in einem ganz eigenen Stil verfasst. Der Schreibstil trägt dich mühelos über die Seiten – auch in Passagen, in denen die Geschichte eher langsam und mit unterschwelliger Spannung verläuft.

Apropos Spannung.

Zwischendurch hatte ich fast das Gefühl, dass ich als Leser:in in diesem Fall gefangen war wie in einem Spinnennetz, mich immer mehr in Theorien verstrickte, und auf einmal ging dann alles sehr schnell und es war zu spät…

Ein Ende wie ein Paukenschlag.

Da hätte ich niemals mit gerechnet. Ich glaube, ich habe minutenlang mit offenem Mund auf die Seite gestarrt.

WAS? WIESO?! WIRKLICH?

Wow. Das muss man sich als Autor auch erstmal trauen. Und mehr sage ich dazu nicht – lass dich bloß nicht spoilern!

Fazit

Kommissarin Hulda Hermannsdóttir ist 64 Jahre alt und soll bei der Polizei Reykjavík in zwei Wochen durch einen jüngeren Kollegen ersetzt werden. Ein letzter Fall wird ihr noch zugestanden – ein vermeintlich langweiliger Cold Case, um sie ruhigzustellen. Aber der Fall hat es in sich und Hulda sticht in ein Hornissennest…

Hulda ist eine ganz andere Heldin, als man sie normalerweise in Krimis oder Thrillern findet, das fand ich schon mal großartig. Aber das Buch lässt sich auch sonst nicht lumpen: hochinteressante Themen, unerwartete Wendungen und Abgründe, ein stimmiger Schreibstil – und ein Ende, das einschlägt wie eine Bombe.

Habe ich schon erwähnt, dass die Trilogie RÜCKWÄRTS erzählt wird? Jetzt weiß ich also, wie alles endet, aber ich habe noch keine rechte Ahnung, warum… Aber ich will es wissen, daher werde ich die anderen beiden Bände auf jeden Fall noch lesen.


 
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Reaktionen: Die Häsin

Die Häsin

Bekanntes Mitglied
11. Dezember 2019
4.622
16.636
49
Rhönrand bei Fulda
Danke für die ausdrucksstarke Rezension - das ist eine Trilogie, die ich haben muss, am besten alle drei hintereinander. Mal sehen, wann ich das Zeitfenster dafür freikriege ...