Rezension Rezension (5/5*) zu Die Unschärfe der Welt: Roman von Iris Wolff.

ulrikerabe

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14. August 2017
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Wien
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Zu nahe kommt die Unschärfe

Eine Familiengeschichte, Schauplatz ist Rumänien - Siebenbürgen und das Banat. Erzählt in sieben anekdotischen Kapiteln. Über vier Generationen und fast ein Jahrhundert europäische Zeitgeschichte.

Da sind Florentine und Hannes, ihr Sohn Samuel, Hannes‘ Mutter Karline und später noch Samuels Tochter Liv.

Unter dem diktatorischen Regime des rumänischen Conducător Nicolae Ceaușescu sind das Land und die Menschen politisch ausgeblutet. Wie aus der Zeit gefallen wirkt das erste Kapitel, als Florentine ihren Sohn zur Welt bringt. Eine beschwerliche Reise für die werdende Mutter, von dem kleinen Ort, in dem sie lebt und ihr Mann Hannes seine erste Pfarrstelle angenommen hat , in die nächstgelegene Stadt, mit Kutsche sogar, dabei befinden wir uns schon in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

„Lass mir das Kind. Florentine dachte diesen Satz nicht, sie sprach ihn nicht aus. Sie überließ sich ihm. Er hatte sich ihr eingeschrieben, begleitete sie.“

Samuel ist ein sehr sensibles Kind, klug. Erst spät beginnt er zu sprechen. Und doch wird Samuel Dreh- und Angelpunkt in dem Roman „Die Unschärfe der Welt“ von Iris Wolff. Ganz zu Recht stand die deutsche Schriftstellerin mit diesem Werk auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2020.
Das Pfarrhaus ist Zufluchtsort für Nachbarn, Freunde, Besucher aus der damaligen DDR. Alles hängt zusammen, trotz vieler Jahre, die immer wieder übersprungen werden, stehen die Menschen und ihre Lebenswege miteinander in Beziehung.

„…als brauchte es diese Ferne, um jemanden sehen zu können. Näherte man sich einander an, nahmen Unsicherheit und Unschärfe zu.“

Iris Wolff erzählt von politischen Umbrüchen, vom Leben in einer Diktatur, von Spitzelei, Folter und Flucht. Aber auch von Revolution, Aufbrüchen, Neuanfängen, Zusammenhalt und Liebe. Ihre Sprache ist klar und fein und wie eine zarte Berührung.