Rezension Rezension (5/5*) zu Kim Jiyoung, geboren 1982: Roman von Nam-Joo Cho.

RuLeka

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30. Januar 2018
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Wichtiges und notwendiges Debattenbuch

Der Roman „ Kim Jiyoung, Geboren 1982“ ist in Korea schon 2016 erschienen und wurde innerhalb kurzer Zeit ein Riesenerfolg. Das Buch löste heftige Debatten aus; koreanische Politiker verweisen darauf, wenn es um Gesetze zur Gleichstellung geht. Keine drei Jahre später kam die Verfilmung in die Kinos und weltweit hat sich der Roman mehr als 2 Mio. Mal verkauft.
Dabei schildert die Autorin Cho Nam - Joo darin lediglich die Geschichte einer durchschnittlichen Südkoreanerin.
Kim Jiyoung ist 1982 in Seoul geboren, der Vater ist Beamter, die Mutter Hausfrau. Sie wächst mit einer älteren Schwester und einem jüngeren Bruder auf. Für ihre Mutter war schon die Geburt der ersten Tochter eine Enttäuschung. Als sich dann mit Jiyoung wieder nicht der ersehnte Sohn einstellt, fühlt sie sich als Versagerin und hat Schuldgefühle gegenüber ihrem Mann und ihrer Schwiegermutter. Die dritte Schwangerschaft endet mit einem Abbruch; schmerzhaft für die Mutter, aber noch ein Mädchen wäre untragbar für sie gewesen. Endlich kommt der ersehnte Sohn und die Schwestern spüren früh, dass sie weniger gelten als dieser. Wie selbstverständlich erhält er beim Essen die größere Portion, darf spielen, wenn die Mädchen der Mutter helfen und bekommt ein eigenes Zimmer.
Die Diskrimierungen setzen sich in der Schule fort. Auch hier werden die Jungs bevorzugt behandelt („ Während Jungs sich ganz natürlich als Erste in die Schlange stellten, als Erste ihr Referat halten durften und ihre Hausaufgaben als Erstes kontrolliert wurden, warteten Mädchen still darauf, an die Reihe zu kommen,...“), ihr Fehlverhalten von den Lehrern entschuldigt. Die Mädchen müssen sich von klein auf daran gewöhnen, belästigt zu werden, von Mitschülern, von Lehrern, von Männern im Bus.
Trotz Schwierigkeiten schafft es Jiyoung an die Universität. Diese Zeit wird von ihr zuerst als Befreiung erlebt. Sie schließt Freundschaften, auch engere Beziehungen zu Männern. Doch bald muss sie auch hier erkennen, dass für Männer und Frauen andere Regeln gelten. Abfällig wird über die Frauen geredet, die eine Beziehung hinter sich haben. „ Wer will schon einen Kaugummi, den ein anderer ausgespuckt hat?“
Nach erfolgreichem Studium erweist sich die Jobsuche als weitere Hürde. Jede Menge Bewerbungen bleiben unbeantwortet, bei Vorstellungsgesprächen muss sie „ anzügliche Sprüche und lüsterne Blicke“ in Kauf nehmen. „ So korrigierte Jiyoung ihre Ansprüche immer weiter nach unten, während sie unermüdlich eine Bewerbung nach der anderen schrieb.“
Endlich in einer Firma angenommen, gibt es weitere Barrieren. Die Frauen bekommen ungeliebte Aufträge zugeschoben und Männer werden auf Posten gehoben, die den beruflichen Aufstieg garantieren.
Nach ihrer Heirat wird neuer Druck spürbar. Alle, Eltern, Schwiegereltern, Bekannte, warten gespannt auf die „gute Nachricht“. Jiyoung erfüllt auch hier die Erwartungen von außen. Doch als das Kind da ist, „ flüchtet“ die junge Frau in eine Psychose.
Damit verrate ich nicht das Ende der Geschichte, denn genau mit den ersten Anzeichen einer psychischen Auffälligkeit beginnt der Roman und rollt dann chronologisch das Leben der Protagonistin auf. Wer hier schreibt, erfährt der Leser erst im letzten Abschnitt.
Cho Nam-Joo zeigt exemplarisch an ihrer fiktiven Allerweltsfrau die strukturelle Diskriminierung, der Frauen in Südkorea ( und nicht nur dort) ausgesetzt sind. Es ist die kontinuierliche Abfolge von Benachteiligung und Frustration, die letztendlich zu Resignation und hier in den Wahn führt . Frauen stehen oft vor der Alternative, sich zur Wehr zu setzen und danach mit den harten Konsequenzen ( Jobverlust usw.) zu leben oder sich still zu arrangieren. Manchmal gibt es auch gar keine Wahl. „ Jiyoung fühlte sich wie in der Mitte eines Labyrinths. Fleißig und gewissenhaft arbeitend, hatte sie nach einem Ausgang gesucht, den es, wie sie nun erkannte, von Anfang an nicht gegeben hatte.“
Doch die Autorin belässt es nicht ganz bei dieser negativen Sicht. Zwischendurch gibt es immer wieder mal kleine Revolten und Solidarität unter den Frauen. Außerdem zeigt das Buch auch kleine Veränderungen im gesellschaftlichen Denken. Beispielhaft dafür ist die Figur der Mutter. Sie selbst musste als junge Frau hinter ihren Brüdern zurückstehen und auf ihre beruflichen Pläne verzichten. Deshalb unterstützt sie ihre Töchter und schafft immer wieder Freiräume für sie. Auch wenn die Mutter anfangs noch stark im patriarchalen Denken verfangen war, so emanzipiert sie sich im Laufe ihres Lebens. Sie ist gezwungen, zum Unterhalt der Familie beizutragen, entwickelt dabei einigen Geschäftssinn, so dass es die Familie zu einem gewissen Wohlstand schafft. Das lässt sie selbstbewusster ihrem Mann gegenüber auftreten.
Obwohl der Roman in einem sehr nüchternen Ton geschrieben ist, lässt er den Leser nicht kalt. Im Gegenteil: Er macht wütend!
Die distanzierte und emotionslose Sprache passt hier sehr gut zum Thema ( und ist dem eigentlichen Erzähler geschuldet). Das Buch ist mehr Bericht als Roman. Dazu gehören auch die für einen fiktionalen Text ungewöhnlichen Fußnoten, in denen die Autorin zusätzliche Erklärungen, Fakten und Statistiken nachliefert. Damit untermauert sie ihre Botschaft, dass diese Lebensgeschichte weniger erfunden ist, sondern der Realität entspricht.
Auch der westliche Leser entdeckt einige Parallelen zu unserer Lebenswelt. Korea mag zwar noch mehr in traditionellen Denkstrukturen verhaftet sein als wir, doch die Missstände in der Arbeitswelt ähneln denen von uns. Viele Frauen bei uns dürften ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie Jiyoung.
„ Kim Jiyoung, Geboren 1982“ ist ein wichtiges Buch, das notwendige Debatten anstößt und uns gleichzeitig einen spannenden Einblick gibt in ein Land zwischen Moderne und Tradition.
Ein lesenswertes Werk feministischer Literatur.






 

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