Dann fange ich mal an
Der Roman scheint auf zwei Zeitebenen einzusetzen. In der Gegenwart von 1970 sieht sich der Arzt Pavel gezwungen, sein Heimatland zu verlassen. Die politischen Verhältnisse sind prekär geworden. Pavel ist kein überzeugter Kommunist, ihm fehlt das richtige Parteibuch, das auch fachliche Kompetenz ersetzen kann. Wichtige Freiheiten wie Reisen ins Ausland hat man ihm bereits genommen. Die Kollegen spüren, dass er angezählt ist, insbesondere eine Frau D. Poloserova spekuliert auf seinen Posten...
Offiziell wird Pavel mit Frau, Tochter und Schwiegermutter nach Jugoslawien fliegen. Nur seine Frau ist informiert, deutsche Pässe liegen bereit. Ein waghalsiges Abenteuer, zumal die drei anderen kein Wort Deutsch sprechen.
Erwähnt wird der 21.08.68: An diesem Tag haben Truppen des Warschauer Paktes die Demokratisierungsbemühungen unter Alexander Dubcek gewaltsam niedergeschlagen, der sich "für einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz" einsetzte.
Am Abend vor der Abreise ist Pavels Familie hochnervös. Die Tochter will nicht ohne ihr Kuscheltier verreisen, die Großmutter will sich völlig ausklinken und stattdessen ihren Sohn besuchen, die Ehefrau dreht am Rad. Abends im Bett kann Pavel nicht schlafen und lässt seine Erinnerungen Revue passieren - sie setzen im März 1939 ein, als die deutsche Wehrmacht in Budweis einmarschiert war und das Protektorat Böhmen und Mähren gegründet wurde. Sehr anschaulich wird die Ambivalenz, wie das Volk die Nationalsozialisten wahrnimmt, offensichtlich ist es gespalten und die Nazis bemühen sich noch um eine gute Stimmung (Ausgabe von Gulaschsuppe). Man steht der Rassenlehre des Führers ungläubig gegenüber, will Nachrichten über Judenvergasungen späterhin keinen Glauben schenken....
Treffend empfand ich die Fabel des Lehrers mit der weißen Feder am schwarzen Raben. Das folgende Zitat beeindruckt mich:
[zitat]Wir suchen nach Gleichem, wollen uns anpassen und damit identifizieren. Wir lehnen im Unterbewusstsein all diejenigen ab, die anders sind als wir (S. 36)[/zitat]
Zunächst hatte ich dabei einen Nein-Reflex. Bei genauerem Hinschauen ist aber auch was Wahres dran. Im Grunde aber auch nicht allzu schlimm, solange man daran arbeitet und vor allem Toleranz übt...
Pavel muss feststellen, dass seine Freunde Herbert und Hans auf Seite der Nazis stehen, während andere völlig entsetzt über die deutsche Besatzung sind.
Von Pavels Eltern kann ich mir noch kein rechtes Bild machen: Die deutsche Mutter scheint eine Lebedame zu sein, der Vater ein zurückhaltender, unpolitischer tschechischer Offizier. Seit Jahren macht Pavel die Hausaufgaben für den kleinen Bruder - wo gibt es sowas?!
Der Lehrer Josef Stejskal wird erwähnt, der ihn stark geprägt hat. Bestimmt hören wir wieder von ihm.
Auf S. 54 taucht zum ersten Mal die Metapher vom hungrigen Krokodil auf, als Bild für die Besatzer, die kraftvoll im Hintergrund lauern.
Pavel möchte Arzt werden. Im Seziersaal verliebt er sich in die wunderschöne blonde Vera, die anschließend ungerührt Kuchen isst, während er selbst mit Übelkeit kämpft. Sein jüdischer Freund Arnost wird im November 39 das Studium verboten, er schenkt Pavel seine Lernknochen. Kurze Zeit später werden alle Universitäten im Protektorat für 3 Jahre geschlossen. Unglaublich! Oppositionelle Studenten wurden zuvor hingerichtet!
[zitat]Das Krokodil ist da! Es ist überall, sogar hier im Wohnzimmer (in Form seiner Tanten, die Hitler unverblümt in Schutz nehmen). Es verdaut die ermordeten Studenten, vertilgt jetzt Bücher und Bildung zum Dessert (S. 69)[/zitat]
Interessant, dass hier der Nationalsozialismus als lebendiger Organismus geschildert wird. In unserem letzten Buch von Dubois tauchten derartige Metaphern auch auf.
Ein größerer Zeitsprung führt nach Südböhmen 1942. Pavel zeltet mit Freund Master, dessen Bruder in Auschwitz gefangen ist. Von dort kommen die grausigen Berichte über brutale Morde an hunderten von Menschen. Der Bruder warnt die Familie. Master vermutet, dass ein achtbarer Reichstagsabgeordneter, der in seiner Familie zu Gast war, ein Verräter ist und vielleicht noch weitere Menschen in Gefahr bringen kann. Pavel glaubt nicht an die Bösartigkeit der Deutschen, liebt er doch seine eigene Familie zu sehr. Pavel hofft, dass die Universität wieder öffnet und er sein Studium fortsetzen kann.