2. Leseabschnitt Kapitel 11 bis 20 (S. 77-147)

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Der Roman liest sich aufgrund der kurzen Kapitel und der wechselnden Erzählstränge sehr flüssig und zügig (muss mich etwas bremsen ;) ).

Einige offene Fragen aus dem ersten Leseabschnitt werden beantwortet, neue Figuren kommen jedoch nicht mehr hinzu.
Sehr gut gefallen hat mir die Beschreibung Holts aus der Sicht Lyles ( da tauchen auch die Computer auf, S.77). Die Perspektive wechselt dann zu dessen Sohn John Wesley, dem es in der Kleinstadt überhaupt nicht gefällt, bis ihn ein älteres Mädchen verführt, in die er sich verliebt. Er klagt ihr sein Leid, worauf sie antwortet:
„Du wirst noch alles kaputtmachen, merkst du das nicht? Du siehst ja nicht mal, was du vor der Nase hast. (...) Du träumst rückwärts.“. (80)
Eine interessante Wendung, die zeigt, wie sehr John in der Vergangenheit verhaftet ist und dass er sich nicht auf Holt einlassen will.
Im weiteren Verlauf der Handlung prügelt er sich mit zwei Jungen, die sein Mädchen diskreditieren. Ob sie Recht mit ihrer Meinung haben?
Religiöser Bezug:“Mein Blut, das für dich vergossen wurde.“ (115)
Die beiden Johnsons „leihen“ sich Alice aus, Alene hätte sicherlich gern eigene Kinder gehabt und Willa eine Enkelin. Gemeinsam besuchen sie auch die Feier zum 4.Juli, da wird der Krieg in der Wüste erwähnt.
Dad Lewis trifft sich mit seinen Angestellten und bereitet sie darauf vor, dass Lorraine beim nächsten Gespräch anwesend ist. Hat sie schon zugestimmt?
Die Frage, wie es zum Bruch zwischen Frank und seinem Vater gekommen ist, klärt sich im Rückblick Dads. Den eigenen Sohn in Mädchenkleidern zu erwischen, muss ein Schock gewesen sein, wenn man eine solch konservativ-puritanische Einstellung wie Dad Lewis hat. Sein Schlag hat ihm Leid getan, gerade in dieser Szene beweist Haruf wieder Empathie und wertet nicht, wie Dad handelt, sondern stellt es schonungslos dar. Im Anschluss führt Dad ein Gespräch mit dem Reverend über Frank - noch scheint er unversöhnlich zu sein.
Ein weiterer Faden in Dads Leben wird aufgenommen, er hat der Tanya, der Frau des entlassenen Angestellten geholfen - doch ein schlechtes Gewissen, bzw. kann sie nichts für den Betrug und den Selbstmord ihres Mannes. In dieser Situation erweist er sich als sehr großzügig.
Eine Rückkehr in die vorherigen Romane erleben wir auf Dads Erinnerungsfahrt - da ist die Farm der beiden Brüder McPheron, beide inzwischen verstorben und wir erfahren, dass das Baby Victorias (?) inzwischen groß ist.
Lorraine hingegen hat ihre Tochter verloren, sie ist überfahren worden. Sie fährt nach Denver, um Richard zu besuchen, ihren derzeitigen Lebensgefährten. Sind sie glücklich?
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Eine Rückkehr in die vorherigen Romane erleben wir auf Dads Erinnerungsfahrt - da ist die Farm der beiden Brüder McPheron, beide inzwischen verstorben und wir erfahren, dass das Baby Victorias (?) inzwischen groß ist.
Ich habe mich richtig gefreut, von den alten Bekannten zu hören. Außerdem kann man so den neuen Roman zeitlich verorten.
 

Literaturhexle

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Das Abschiedsthema bereitet Haruf großartig auf! Er kann sich hervorragend in den sterbenden Dad hineinversetzen, der den Wunsch hat, sich zu verabschieden und die Dinge geordnet zu hinterlassen. Dabei gibt es einige sehr rührende (aber nicht kitschige!) Szenen.

Dad beweist Rückgrat, als er zu Tanya geht um ihr zu helfen. Jene muss aber schon ein Früchtchen sein, denn gleich bietet sie sich wieder für Sex an. Dass Dad dermaßen großzügig sein KANN, hat mich überrascht. Er hatte damals sicherlich sehr resolut und hartherzig gehandelt. Jedoch war der Missetäter selbst an seinem Schicksal schuld. Auch Tanya zeigt wenig Eigeninitiative - sie kümmert sich weder um ihr Kinder noch um das dreckige Geschirr...

Die Geschichte um Frank macht mich immer neugieriger. Ständig kriegen wir wieder ein Bröckchen hingeworfen. Da kommt noch was!

Ein wunderbares Buch zum Eintauchen :)
 

kingofmusic

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Mein Gott, da können einem beim lesen glatt selbst die Tränen kommen - so berührend geschrieben. Großartig.
Das einzige, was mich in diesem Abschnitt gestört hat, war das patriotische Gelaber zum 4. Juli - sorry, das geht echt gar nicht. Zum Glück war es nur kurz.
 

RuLeka

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Tränen kommen - so berührend geschrieben. Großartig.
Das einzige, was mich in diesem Abschnitt gestört hat, war das patriotische Gelaber zum 4. Juli - sorry, das geht echt gar nicht. Zum Glück war es nur kurz.
Ich denke aber, dass der Autor hier sehr nahe an der Realität ist. So ticken die Amerikaner im Mittleren Westen. Für mich hat hier das Buch eine gesellschaftspolitische Dimension.
 

Bibliomarie

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Ich merke, dass mich die Geschichten nicht so berühren, wie es bei den früheren Büchern der Fall war. Vielleicht fehlen mir Charaktere, wie die Brüder McPheron, die mir so gut gefallen haben.
Dad Lewis ist gradlinig, eigentlich stur. Auch wenn er jetzt am Ende seines Lebens über seine Handlungen nachdenkt und vielleicht auch bereut.
Wie er sich bei Frank verhalten hat, kann ich nur aus den Lebensumständen erklären. Das war kein Verhalten, dass er als normal für seinen Jungen ansehen konnte.
Dazu passt es, dass der kleine Ort 4 Kirchen hat!!
Bei der Frau seines Ex-Angestellten zeigt er sich unglaublich großzügig, obwohl er keine Verpflichtung hatte. Schließlich hätte er ihn auch anzeigen können. Wie Tanya sich gehen ließ, fand ich abstoßend. Aus ihrer Bemerkung, er könnte auch jetzt noch Sex mit ihr haben, sie wäre noch gesund, schließe ich, dass sie als Gelegenheitsprostituierte sich Geld verdient. Aber wenigstens hat sie die Chance ergriffen.

Ansonsten gibt es viel Einsamkeit, Alene, die mit der kleinen Alice ein wenig Kindersatz sucht, blickt auf ein verpasstes Leben zurück und auch bei Lorraine gibt es nicht viel.

Mir ging es wie @kingofmusic, der dicke Patriotismus zum Nationfeiertag störte mich.

Schön war allerdings die Fahrt, die Dad noch einmal machen wollte, zu all den Orten, die ihm etwas bedeuteten. Es war ein Abschied nehmen und die Szene vor seinem Geschäft war anrührend.
 

Bibliomarie

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„Du wirst noch alles kaputtmachen, merkst du das nicht? Du siehst ja nicht mal, was du vor der Nase hast. (...) Du träumst rückwärts.“. (80)

Der Satz fiel mir auch auf. Die arme Larsen, gibt sich den Jungs ab, wahrscheinlich nur um der Leere dieses Ortes zu entgehen. Wobei es bei der amerikanischen Prüderie nicht viel braucht, um diesen Ruf zu bekommen.
 

Literaturhexle

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Ich merke, dass mich die Geschichten nicht so berühren, wie es bei den früheren Büchern der Fall war.
Schade. Ich war wieder ganz ganz schnell gefangen von den neuen Charakteren, dass ich die alten nicht vermisst habe. Die Stelle, als Dad seine Familie zur Farm der MacPheron-Brüder führt, fand ich auch beeindruckend: ein Brückenschlag zum bisherigen Werk :)
Was den Umgang mit der Homosexualität betrifft, muss man sich wirklich vergegenwärtigen, dass der Roman in den 90ern und dann noch im ländlichen Mittelwesten angesiedelt ist. Da steckte man noch in den Kinderschuhen, was sexuelle Gleichberechtigung betraf. Ein paar Jahre zuvor wurde AIDS noch als "Strafe Gottes " angesehen....
 

Literaturhexle

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Da stecken die USA glaube ich immer noch drin...:rolleyes:
Ja, und zudem sind die Regelungen/Ansichten auch regional sehr unterschiedlich.
Selbst wenn du bei uns die ältere Generation fragst oder die weniger Aufgeschlossenen....o_O, da lege ich meine Hände auch nicht ins Feuer für.
Man darf nicht von sich auf andere schließen.
 

RuLeka

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Ich merke, dass mich die Geschichten nicht so berühren, wie es bei den früheren Büchern der Fall war. Vielleicht fehlen mir Charaktere, wie die Brüder McPheron, die mir so gut gefallen haben.
Mir geht es nicht so. Mich berühren die Geschichten sehr wohl. Vielleicht liegt es daran, dass wir es hier nicht mit so eindeutig positiven Figuren zu tun haben. Das ist sicher kein einfacher Charakter, aber je mehr ich über ihn erfahren habe, desto näher kommt er mir. Lies einfach weiter, dann wachsen Dir die Figuren auch ans Herz.
 

RuLeka

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Wie er sich bei Frank verhalten hat, kann ich nur aus den Lebensumständen erklären. Das war kein Verhalten, dass er als normal für seinen Jungen ansehen konnte.
Sein Verhalten bei Frank muss man auch aus der Zeit heraus verstehen. Homosexualität ist erst in den letzten Jahren als Normalität gesehen worden, und das nicht bei jedem und überall. Zitat: „Frank riss sich los, und Dad traf ihn außer sich vor Wut ins Gesicht, warf dann jäh die Zügel weg und packte den Jungen, umarmte ihn, drückte ihn an sich und schluchzte. O mein Gott, o mein Gott, o mein Gott.“ ( S. 100 )
An dieser Szene sieht man, wie sehr Dad unter der Situation und seinem eigenen Verhalten leidet. Würde er seinen Sohn nur verabscheuen, hätte er ihn nicht umarmt. Ich versuche nicht, seine Reaktion zu entschuldigen, nur zu verstehen.
 

RuLeka

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Der Priester ist für mich auch eine interessante Figur. Mal sehen, wo der Grund lag für seine Versetzung. Andeutungen wurden ja schon gemacht. Lyle wirkt auf mich aufgeschlossen und eher unkonventionell. Der Besuch bei Dad ist hier bezeichnend. Er weiß, dass Dad mit Religion nicht so viel am Hut hat und redet deshalb mit ihm über die Veränderungen am Ort. So bringt er Dad zum Reden und erfährt gleichzeitig einiges über seine neue Gemeinde. Seine Antwort auf Dad‘s Bemerkung, dass früher die Messe eine lange und ernsthafte Angelegenheit war, ohne die Störungen von heute, wie tobende Kinder und zu segnende Hunde: „ Klingt nach einer guten Gelegenheit für ein Nickerchen,..“ ( s.S. 106 ) zeugt von Humor. Trotzdem spricht er den Wunden Punkt bei Dad an, bei der Frage nach seinem Sohn Frank.
Unter welchem Druck die Familie eines Pfarrers steht, wird auch gezeigt. Frau und Sohn sind z.B. nicht begeistert von der Versetzung Lyles. Außerdem steht die Familie eines Pfarrers auch verstärkt unter Beobachtung. Das weiß der Pfarrerssohn Haruf auch eigener Erfahrung.
 

kingofmusic

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Lyle wirkt auf mich aufgeschlossen und eher unkonventionell.
So etwas wird nicht gerne gesehen bei den Obersten der Kirchen - denen täte ein bisschen mehr Weltoffenheit gut...
Er weiß, dass Dad mit Religion nicht so viel am Hut hat und redet deshalb mit ihm über die Veränderungen am Ort. So bringt er Dad zum Reden und erfährt gleichzeitig einiges über seine neue Gemeinde.
Ein genialer Schachzug :D.
 

Barbara62

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19. März 2020
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mit-büchern-um-die-welt.de
Wie habe ich mich gefreut, Rose Tayler wiederzutreffen! Ich fand sie so besonders sympathisch in "Abendrot". Und wie schade, dass es über sie heißt: "Sie wird nie über ihn hinwegkommen" (S. 87), gemeint ist einer der beiden Brüder. Auch über die Sätze über sie, über Victoria und über ihr Kind habe ich mich gefreut.

Zwei Söhne, die in der Pubertät mit ihren Vätern aneinandergeraten: Frank und John, allerdings aus ganz unterschiedlichen Gründen.

Dad kann nicht schlafen, weil er "viele Jahre seines Lebens Revue passieren lässt". Der Ausflug ist herzzerreißend, seine Liebe zu seinem Eisenwarenladen auch. So rührend und doch überhaupt nicht kitschig. Unwillkürlich habe ich darüber nachgedacht, was ich in seiner Situation noch würde sehen wollen und was ich noch gerne in Ordnung gebracht hätte.

Willa, Alene und Lorraine sind sehr einsame Frauen. Alice dagegen verkörpert die Zukunft, vielleicht die Zukunft von Holt. Sie begreift, trotz ihres jungen Alters, dass die Frauen sie brauchen. Und sie spielt mit.

Die Feier zum 4. Juli erscheint mir sehr fremd. Ich bin froh, dass wir so in Deutschland nicht feiern.
 

Querleserin

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30. Dezember 2015
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Mein Gott, da können einem beim lesen glatt selbst die Tränen kommen - so berührend geschrieben. Großartig.
Das einzige, was mich in diesem Abschnitt gestört hat, war das patriotische Gelaber zum 4. Juli - sorry, das geht echt gar nicht. Zum Glück war es nur kurz.
Haruf stellt wie so oft, die Einstellung der Menschen dar - ohne zu werten und überlässt es uns, uns dazu eine Meinung zu bilden. Ich finde diesen Patriotismus auch abstoßend, aber diese Einstellung ist Realität. Leider.
Ich bin wie die meisten von euch direkt im Roman drin gewesen - gerade weil,die Figuren Ecken und Kanten haben, sind sie mir sympathisch. Haruf beschreibt das Leben, wie es ist...