3. Leseabschnitt: Teil 2 - Kapitel 1 bis 3 (S. 85 bis S. 135)

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Ich beziehe mein Unverständnis was Giovanni angeht nicht nur auf die Homosexualität. Ich konnte ihn als Gesamtfigur nicht verstehen. Oder zumindest habe ich ihn als zwiespältig in jeder Hinsicht empfunden:
Mal ist er homosexuell, mal ist er hetero.
Mal ist er der Starke, mal ist er der Schwache.
Mal liebt er David, mal hasst er ihn.
Mal wirkt er sensibel, dann wieder brutal.
Ein anstrengender Mensch, bei dem man sich nie sicher sein konnte, wie er reagieren wird. Und im schlimmsten Fall bringt er jemanden um.
Pscht!
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Irritiert hat mich hier der Abschnitt , als Giovanni und David sich über Frauen unterhalten. Giovanni äußert sich hier sehr frauenverachtend. Eigentlich war er bisher für mich die sympathischere Figur. Er steht immerhin zu seiner Homosexualität ( wobei ich das auch nicht in Verbindung bringen kann mit den zahllosen Affären, die er hatte.) Ich kann verstehen bzw. kenne das aus meinem Umfeld, dass ein Mann erst heiratet und ein normales Familienleben führt, bevor er zu seiner sexuellen Orientierung stehen kann.
Ich hatte schon überlegt, ob Giovanni WIRKLICH Affären mit Frauen hatte oder ob er David herausfordern will...
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Inhaltlich passiert nicht wirklich viel in diesem Abschnitt, trotzdem ist er sehr aussagekräftig bezüglich der Ambivalenz der Charaktere, ihrer (eigenen) Gefühle und sich selbst gegenüber bzw ihrer Beziehung. Sehr intensiv fand ich die Szene, als David sich vorstellt, wie es Giovanni im Gefängnis geht. Die Story um Sue fand ich dagegen irgendwie Banane, auch wenn es nur ein Zwischenstück auf dem Weg zurück zu Giovanni ist. Interessant fand ich auch die beiden Briefe von David's Vater und von Hella. Für mich steht fest, dass ich in jedem Fall weitere Bücher von Baldwin lese. Ähnlich wie @SuPro gefällt mir das Buch absolut gut! :cool:
 

MRO1975

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11. August 2018
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Die Story um Sue fand ich dagegen irgendwie Banane, auch wenn es nur ein Zwischenstück auf dem Weg zurück zu Giovanni ist.
Diese Szene fand ich abstoßend. David wollte sich damit nur beweisen, dass er ein ganzer Kerl ist. Ziemlich wenig, was so einen ganzen Kerl ausmacht.

Außerdem wurde mir bei dieser Szene überdeutlich, dass David kaum Empathie für andere empfindet. Allenfalls bemerkt er, dass es jemandem schlecht geht oder sogar sein Verhalten dem anderen weh tut - es juckt ihn aber nicht wirklich. Erst recht zieht er daraus keine Konsequenzen.
 

SuPro

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28. Oktober 2019
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Zunächst möchte ich wieder erst meine Gedanken loswerden, bevor ich Eure Kommentare lese...
Davids innere Ambivalenz ist nach wie vor da und wird nach wie vor unglaublich nachvollziehbar und eindrücklich beschrieben.
Sie drückt sich auch aus in den gegensätzlichen Gefühlen zu Giovanni. Er hasst ihn und er liebt ihn. Er hasst ihn, weil er „das Tier in ihm geweckt hatte, dass sich nie wieder schlafen legen würde“. (Seite 96)
David fühlt sich in seiner ganzen Ambivalenz völlig ausgeliefert und das Bild, mit dem Baldwin das beschreibt ist wieder wunderbar: „...Giovannis Hände, die die Macht hatten, mich zu zermalmen und wieder heil zu machen“ (Seite 102)

Meine Begeisterung hält an, auch wenn ich die Protagonisten zunehmend weniger mag...
 

SuPro

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Wie ging‘s Euch mit der Affäre/dem one night stand mit Sue?

Wird uns Sue nicht sympathisch, sobald sie sagt:„Ich frag mich oft, was ich machen würde, wenn es auf der Welt keine Bücher gäbe.“ (Seite 114)

Der One night stand mit Sue (S. 113ff.) liest sich für mich grauenvoll. Also inhaltlich, meine ich. Geschildert wird er bravourös...
Dieses Benutzen, dieses Unechte, diese Kälte, so völlig ohne Leidenschaft und Genuss...
 

SuPro

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Welch’ schöne Formulierung: „Ich strömte zu ihm hin wie ein vom Eis befreiter Fluss.“ (Seite 96)
Ich liebe Baldwins Metaphern und Vergleiche...

Und welch’ poetischer, zum Innehalten und Nachdenken anregender Gedanke: „Vielleicht ist zu Hause gar kein Ort, sondern ein unwiderrufliche Zustand.“ (Seite 105)
 

SuPro

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Äußerst interessant finde ich die beiden Bruefe:

Welch‘ aussagekräftiger Brief (Seite 104) des Vaters: klar, besorgt und sehnsüchtig aber gleichzeitig vorsichtig und respektvoll.
Dadurch erhält man noch einmal eine andere Sichtweise auf David. Die Sichtweise des Vaters.

Hellas Brief wirkt auf David zunächst wie eine Erlösung. In ihrem Brief (S. 108), in dem sie ihm mitteilt, dass sie zu ihm zurückkommt, sieht er die Entscheidung, was seine innere Ambivalenz anbelangt. Eine Entscheidung, die err er nicht treffen musste. Sie kommt zurück, also wird das mit Giovanni enden.
Aber ich befürchte, dass ihm das nur kurzzeitig Entlastung verschafft. Denn eine wirkliche Entscheidung kann ja nur er selbst treffen. aber die kurzzeitige Entlastung sei ihm gegönnt...
 

SuPro

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Giovannis und Davids Frauenbild gefällt mir so überhaupt nicht..

Giovannis Ansicht über Frauen und die Unnötigkeit und Unmöglichkeit der Emanzipation ist empörend.

Aber auch Davids Einstellung zu Frauen gefällt mir nicht viel besser. Schon allein der Satz „ich brauchte eine Frau, irgendeine junge Frau.“ (Seite 109) ist empörend, weil er Frauen zu Nutzobjekten degradiert.

...und dazu lassen sich einige Beispiele finden...also so recht warm werde ich mit den beiden jungen Herren nicht ;-)

Zumal da ja auch immer wieder die schwer zu beantwortende und verstörende Frage auftaucht, warum David nicht arbeitet!!!
Warum arbeitet David nicht? Er schnorrt bei Jaques und seinem Vater… Und auch bei Giovanni, der ihn bei sich wohnen/schlafen lässt und aushält... zumindest so lange er seinen Job hat...
 

SuPro

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Er liebt ihn zwar, kann sich aber zu seiner Homosexualität nicht bekennen.
...da bin ich mir nicht sicher. Und ich glaube David ist sich da auch nicht sicher. Also, was seine Liebe zu G. anbelangt. mir ging auch immer wieder durch den Sinn, dass beide wahrscheinlich gar nicht eindeutig homosexuell sind. Sondern BIsexuell.
 
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Welche Gefühle hat David überhaupt für Giovanni? Er behauptet, dass er ihn liebt, um im nächsten Augenblick einem jungen Mann hinterherzuschauen, für den er die gleiche Empfindung hat. Er spricht von einem Tier, das Giovanni in ihm geweckt hat und hasst ihn dafür.
Ist David überhaupt fähig, jemanden zu lieben?
„Tier“ impliziert Triebe... das ist es wohl am ehesten. Was die Liebe anbelangt, erkenne ich von Seiten David nur Ambivalenz. Giovanni scheint da klar zu sein.
Mir geht es da genauso wie dir. Giovanni war mir zunächst recht sympathisch… Bis dann diese frauenverachtende Seite zu Tage trat…
 

Literaturhexle

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Der One night stand mit Sue (S. 113ff.) liest sich für mich grauenvoll. Also inhaltlich, meine ich. Geschildert wird er bravourös...
Dieses Benutzen, dieses Unechte, diese Kälte, so völlig ohne Leidenschaft und Genuss...
Genau! Spätestens an diesem Akt hat David meine Symathien verloren. Ich fand es regelrecht gemein, wie er sich gezielt eine junge Frau gesucht hat, um seine Potenz zu testen. Noch dazu hat er ziemlich schlecht über sie und ihr Aussehen gedacht. Das war sehr despektierlich und entwürdigend.
 

ulrikerabe

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Irritiert hat mich hier der Abschnitt , als Giovanni und David sich über Frauen unterhalten. Giovanni äußert sich hier sehr frauenverachtend. .
Ich fand das auch ungemein interessant. Dass Giovanni dieses chauvinistische Denken intus hatte über "die absurden Weibsbilder..mit ihren Flausen und dem ganzen Unsinn, dass sie Männern ebenbürtig seien...gehören windelweich geprügelt, damit sie begreifen wer die Welt regiert" Will er dadurch männlicher erscheinen, dem Rollenbild "Mann" entsprechen. Ist es eine Grundangst, dass David, sich nach wie vor zu Fraue hingezogen fühlt?
 

ulrikerabe

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Er liebt ihn NICHT.
David erkennt zwar, dass er homosexuell veranlagt ist (das Tier wurde geweckt) und dass es nicht nur "das Fleisch" ist - aber von Liebe ist er weit entfernt. Möglicherweise ist er bisexuell. Er überprüft diese Möglichkeit mit Sue. Auch das würde er nicht tun, wenn er Giovanni lieben würde. Ja, klar, es sind Gefühle im Spiel, aber sie sind immer nur temporär vorhanden und schnell wieder weg.
Ich denke auch, dass David Sue deswegen aufreußt, weil er sich beweisen will, dass er ein Mann ist und kein Sonntagsschulprediger. Er hat dieses Bild durch seinen Vater verinnerlicht. Da kann Tante Ellen noch so viel über Mann ist nicht gleich Stier reden. Sie ist ja schließlich auch nur eine Frau...
 

ulrikerabe

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Äußerst interessant finde ich die beiden Bruefe:

Welch‘ aussagekräftiger Brief (Seite 104) des Vaters: klar, besorgt und sehnsüchtig aber gleichzeitig vorsichtig und respektvoll.
Dadurch erhält man noch einmal eine andere Sichtweise auf David. Die Sichtweise des Vaters.
Ich finde aber auch, dass hier ein ganz anderes Bild von Davids Vater gezeichnet wurde, als zu Anfang des Buches.