Ich bin ja wahrlich nicht so der Typ Spannungsleser, aber dieser Roman hat mich ziemlich schnell gefangen. Er spielt auf zwei Zeitebenen: Da ist einmal 1939. Wir wissen, dass der Krieg vor der Tür steht, dass Deutschland aufgepeitscht ist, dass Minderheiten schamlos unterdrückt werden etc. In dieser Situation lernen wir nun die kleine, 10-jährige Lotte kennen. Sie möchte dazu gehören und zu ihrem Glück fehlen ihr zwei Mark für eine blaue Mütze. Leider gerät sie an den Falschen: einen seriös aussehenden Geschäftsmann und vermutlich Parteimitglied. Er hat unsittliche Gedanken, verführt das Kind, mit ihm zu kommen...., am Ende ist es tot.
Zeitsprung ins Jahr 1965. Auch hier hat ein junger Mensch einen sehnlichen Wunsch: Thomas möchte Kriminalkommissar werden. Der "Onkel" hilft ihm dabei. (Ich bin Jahrgang 1969: manches erkennt man aber wieder. So waren sämtliche Freunde, Bekannte im Alter meiner Eltern als Onkel... und Tante... anzureden. So gesehen war man mit fast jedem im Ort "verwandt".) Thomas ist fleißig und ehrgeizig, aber auch ein Einzelgänger. Er erreicht aber sein Ziel und landet in der Kripo Düsseldorf.
Sein erster Mordfall ist gleich sehr interessant: Vertreter Frenzel wird tot in einer Zigeunersiedlung gefunden. Zunächst werden die Zigeuner verdächtigt. Dann stellt sich heraus, dass es Selbstmord gewesen sein könnte. Ein anderer Polizist namens Drezko äußert Zweifel daran: er geht weiterhin von Mord aus und fordert sich die Akte an. Er ermittelt in einer Soko für Nazi-Verbrechen. Der getötete Frenzel war sein Zeuge und er hatte am Ende der Woche einen Termin mit ihm.... Welche Verdachtsmomente er konkret hat, bleibt im Moment allerdings offen. Man spürt allerdings, dass er Feinde im Büro hat, dass es noch immer Anhänger der Nazis gibt.
Für den Mord an der kleinen Lotte will man schnell einen Täter präsentieren. Ziemlich perfide werden die normalen Ermittlungen der Kripo von der Gestapo übernommen, die schnell einen homosexuellen Jugendlichen der Tat bezichtigen. Er sitzt zusammen mit seinem Freund in einer psychiatrischen Klinik ein. Beide sind vor zwei Tagen kastriert worden
. Ein Vorgang, der für uns heute unvorstellbar ist. Trotzdem wird einer der Jungen verhaftet, sein Arzt massiv unter Druck gesetzt. Die Ungerechtigkeit schreit mich förmlich an und erinnert an die Vorkommnisse unter Stalin im letzten Buch. Der wahre Täter, offensichtlich ein Parteigenosse mit seltenem Wagen, geht möglicherweise straffrei aus.
Beide Zeitebenen werden abgewechselt. Die Spannung steigt. Jeweils ein Mord, der nicht klar ist und an dem möglicherweise manipuliert wird.
Sehr gut gefällt mir das Zeitkolorit im Jahr 1965: Der Vater hatte in der Familie das Sagen, Vertreter kamen noch regelmäßig zu den Leuten nach Hause, die Zustände in den "Klapsen" waren furchbar, die Patienten mussten noch Anstaltskleidung tragen usw.
Erstes Fazit: Spannender, sprachlich ansprechender Roman! Ich bin froh, noch "aufgesprungen" zu sein