Ich weiß schon, warum ich die Zusammenfassungen immer von Profis schreiben lasse und nicht selbst "Hand anlege" .Kapitel 1:
Der Roman beginnt mit dem Satz:[zitat]Der Tag, an dem Irgendwer McIrgendwas mir eine Waffe auf die Brust setzte, mich ein Flittchen nannte und drohte, mich zu erschießen, war auch der Tag, an dem der Milchmann starb.[/zitat]
Die Erzählerin ist 18 Jahre alt, der Milchmann war 41. Es hatte schon seit Monaten viel Gerede über ein Verhältnis der beiden gegeben. Vermutlich war Schwager 1 der Urheber, der die Erzählerin verbal bedrängt, sobald er mit ihr alleine ist. Er scheint ein Stinkstiefel zu sein.
Die Erzählerin berichtet rückblickend. Sie benutzt keine Namen. Geschwister und Schwäger numeriert sie durch, andere Personen werden in kurzen Attributen beschrieben, wie z.B. ihr "Vielleicht-Freund".
Frauen haben in dieser Gesellschaft eine untergeordnete Stellung, es gibt ein festes Rollenbild, sie müssen die männliche Überlegenheit anerkennen. Frauen, die Widerworte geben, sind im Grunde missraten. Die Erzählerin macht einen sehr selbstsicheren Eindruck und man kann sich schnell vorstellen, dass sie es in diesem Umfeld nicht leicht hat.
Sie liebt es zu Joggen und zu Spazieren, bei Letzterem hat sie oft ein Buch vor der Nase. Sie kommt mir wie eine Einzelgängerin vor, die ihre Umgebung aber sehr genau wahrnimmt. Vordergründig hält sie sich an die Regeln.
Der Milchmann begegnet ihr zum ersten Mal an der Straße. Er öffnet die Wagentür, er will sie nach Hause bringen. Die Erzählerin lehnt ab. Sie fühlt sich extrem unwohl. Man darf natürlich nicht zu einem Mann ins Auto steigen, sie will den Milchmann aber auch nicht brüskieren.
Beim Joggen im Park lauert ihr der Milchmann zum zweiten Mal auf und begleitet sie. Offensichtlich weiß er sehr viel von ihr, von ihren Gewohnheiten. Sie hat zwar Angst vor ihm, kann sich aber auch nicht erwehren. Erstens, weil es unschicklich wäre und zweitens, weil er keinen körperlichen Übertritt begeht.
[zitat]Wieso konnte man Opfer von etwas sein, was es gar nicht gab?Mit achtzehn wusste ich noch nicht, was unerwünschte Annäherung war. (S. 13)[/zitat]
Sie werden heimlich fotografiert, so etwas ist an der Tagesordnung. Er verschwindet so plötzlich wieder, wie er gekommen ist, lässt die Erzählerin völlig verwirrt zurück. Am Ende rutscht sie noch auf einem Pornoheft aus... (So etwas darf es bestimmt gar nicht geben).
Bereits in diesem ersten Kapitel geht vom Milchmann eine latente Bedrohung aus. Die junge Frau ist zwar tough, dennoch habe ich Angst, dass er Mittel und Wege findet, sie sich zu unterwerfen.
Was die Großartigkeit betrifft, bin ich bis jetzt völlig bei dir!Jetzt habe ich nur einen Bruchteil angesprochen...es steckt so viel in diesem Roman, den ich jetzt schon großartig finde.
...geniale Episode! So unglaublich anschaulich wird da beschrieben, wie etwas hochkocht. Wie aus etwas vermeintlich Kleinem etwas ganz Großes wird.der die (fehlende) Flagge zum Landesverrat hochstilisiert.
Ja, deine Erläuterungen machen absolut Sinn. Ich empfinde die Namenlosigkeit auch als entspannend; man muss nicht überlegen: wer war das nochmalIch halte sie aufgrund der dahintersteckenden Bedeutung für einen meisterhaften Kunstkniff:
Darauf bin ich noch gar nicht gekommen - genialer Gedanke aber, der absolut Sinn macht! Schön, dass man jetzt schon durch die Leserunde einen anderen Blickwinkel auf die Geschichte bekommt .Mir gefällt die Namenlosigkeit seit ich mir meine Erklärung dafür zurechtgelegt habe. Ich halte sie aufgrund der dahintersteckenden Bedeutung für einen meisterhaften Kunstkniff: in dieser angespannten und gefährlichen Situation im Nordirland der 70er Jahre, war es wichtig, unauffällig, unsichtbar, NAMENLOS, zu sein. Wurde man sichtbar, lief man Gefahr, als Verräter oder „übergeschnappt“ abgestempelt oder gar ermordet zu werden. Der Name macht einen zum Individuum. Zu einer Person. Zu einer Persönlichkeit. Es war sicherer, in der Masse unterzugehen, also keinen Namen zu haben.
Was die Autorin im Interview selbst dazu sagte, war für mich unbefriedigend, da zu schwammig. „Das Buch funktioniert nicht mit Namen“, sagt Burns. „Anfangs habe ich es ein paarmal mit Namen versucht, aber die Erzählung wurde dadurch schwer und leblos. Deshalb habe ich sie wieder herausgenommen.“
Worte, die m. E. nichts erklärt oder begründet haben.
Dabei halte ich sie für gar nicht unaufmerksam - auch wenn sie im gehen liest. Sie macht schon den Eindruck einer offenen, "mitdenkenden" Person, die ein bisschen zu viel grübelt, was aber auf Grund ihrer Geschichte nicht von ungefähr kommt .Was mich auch fesselte, war die Episode, in der die Erzählerin und ihr Schwager gemeinsam joggten. Dieses „Lesen im Gehen“ wird als einleuchtendes und anschauliches Beispiel dafür genommen, wie gefährlich es ist, unaufmerksam zu sein und wie wichtig es ist, wachsam und auf der Hut zu sein. Nicht nur, weil man angegriffen werden könnte, sondern weil man aufgrund von jeglicher Normabweichung, wofür das Lesen im Gehen hier steht, abgestempelt, geächtet, bestraft, ausgeschlossen bzw. als „übergeschnappt“ verurteilt werden kann.
Obwohl sich Namen leichter lesen lassen .Ja, deine Erläuterungen machen absolut Sinn. Ich empfinde die Namenlosigkeit auch als entspannend; man muss nicht überlegen: wer war das nochmal
Es drückt aber auch (gewollte) Distanz aus, reduziert die Individualität.
Es stimmt, die Erklärung der Autorin selbst war dürftig. Aber vielleicht will sie ihre Leser fordern.
Alle anderen deiner Überlegungen kann ich ebenfalls nur vollkommen unterstützen.
...Individualität ist hier ein großes Thema... Individuation, Individualität versus Anpassung, Unterwerfung, Konformität... dazu werden wir aber ja im nächsten Abschnitt bestimmt ausführlicher kommen, weil es da, finde ich, noch deutlicher wird.Ja, deine Erläuterungen machen absolut Sinn. Ich empfinde die Namenlosigkeit auch als entspannend; man muss nicht überlegen: wer war das nochmal
Es drückt aber auch (gewollte) Distanz aus, reduziert die Individualität.
Es stimmt, die Erklärung der Autorin selbst war dürftig. Aber vielleicht will sie ihre Leser fordern.
Alle anderen deiner Überlegungen kann ich ebenfalls nur vollkommen unterstützen.
... ja, ich erlebe sie auch als offen und neugierig. Aber gleichzeitig steckt sie in einem Korsett. Sie ahnt, dass es was hinter dem Tellerrand gibt. Sie beginnt zu hinterfragen, zu zweifeln... aber sie kämpft innerlich (noch)... darf ich in die Weite blicken oder muss ich mich mit dem begnügen, was ich sehe?Dabei halte ich sie für gar nicht unaufmerksam - auch wenn sie im gehen liest. Sie macht schon den Eindruck einer offenen, "mitdenkenden" Person, die ein bisschen zu viel grübelt, was aber auf Grund ihrer Geschichte nicht von ungefähr kommt .