Welch gruselige Kapitelüberschrift: Die tote Hand, es scheint die Mr. Casaubons zu sein, der auch noch nach seinem Tod Dorothea fest im Griff haben möchte und unbedingten Gehorsam fordert.
Der Reihe nach:
1. Dorothea trifft zum ersten Mal bewusst auf Rosamond und ist erstaunt, Will bei ihr zu finden. Beide haben gemeinsam musiziert und diese Begegnung löst bei Will schlimmste Befürchtungen aus:
" Ein Mann mit gröberen Sinnen hätte nicht so wie er gespürt, dass zum ersten Mal in Dorothea das Gefühl geweckt worden war, ein vollkommen freier Umgang mit ihm sei ungebührlich, und dass ihr Schweigen, als er sie zum Wagen begleitete, etwas Frostiges an sich hatte." (578)
2. Dorothea erkundigt sich bei Lydgate nach seinem Gespräch mit ihrem Mannes, die Anzeichen mehren sich, dass er selbst glaubt, er habe nicht mehr lange zu leben. Die Distanz des Paares nimmt meines Erachtens noch zu.
"Er misstraute ihrer Zuneigung; und was macht Einsamkeit einsamer als Misstrauen?" (586)
3. Wir erfahren von den Vorbehalten gegenüber Lydgate, wie es ihm einerseits gelingt, sich als Arzt zu etablieren, andererseits wird er jedoch auch Opfer von Verleumdungen. Dass Mr. Bulstrode ihn unterstützt, entzieht ihm von anderer Seite Sympathie. Zumindest Dorothea ist gewillt sein Krankenhaus finanziell zu unterstützen. Der kurze Einblick in die Ehe zwischen Tertius und Rosy zeigt, dass sie kein echtes Verständnis füreinander aufbringen, sich aber durchaus mögen, vielleicht sogar lieben (?).
4. In diesem Abschnitt nimmt die geplante Parlamentsreform großen Raum ein sowie die Kandidatur Mr. Brookes, der von Will unterstützt wird, da Ladislaw seine "Agitator" ist, seine Reden schreibt und ihn vorbereitet - ein hartes Stück Arbeit, wenn man an den wankelmütigen Aufschneider denkt
Wie erwartet scheitert er, die Bloßstellung bei seiner Rede (Kapitel 51) führt dazu, dass er aufgibt und Will entlässt.
5. Lydgate und Will scheinen Freunde geworden zu sein, denn Will verkehrt häufig im Haus des Arztes, der seinen ersten Mahnbrief wegen der angeschafften Möbel erhält. Ich bin sicher, das wird noch eine Rolle spielen. Will hingegen überschreitet die Grenzen, da er in der Dorfkirche auftaucht, die auch Doro und Mr. Casaubon aufsuchen. Wie erwartet kommt es zu keiner Aussöhnung und eventuell führt diese Begegnung zu der Bedingung, die Casaubon in seinem Testament aufnimmt.
6. Am Vorabend seines Todes bittet Casaubon Doro:
"dass du wohlbedacht mich wissen lässt, ob du im Falle meins Todes meine Wünsche erfüllen wirst: ob du alles vermeiden wirst, was ich verurteilen würde, und dich all dem widmen wirst, was ich mir wünschen würde." (634)
Sie bittet sich Bedenkzeit aus, da er nicht konkret benennt, was er von ihr erwartet. Sie glaubt, sie solle seine Arbeit fortführen, wobei sie inzwischen berechtigte Zweifel hegt, dass deren Fortsetzung noch einen Sinn ergibt. Die ganze Nacht ringt sie mit sich und ist dann doch zu schwach, ihm einen harten Schlag zu versetzen. Doch als sie ihm ihre Entscheidung mitteilt, ist er bereits tot.
Anmerkung: Sein Tod liegt ungefähr in der Mitte des Romans, scheint als ein entscheidender Wendepunkt zu sein. Wir werden sehen.
7. Ganz langsam erfahren die Leser*innen, worin der letzte Wunsch Mr. Casaubons besteht. Das Gespräch zwischen Sir James, der mir immer sympathischer wird, und Mr. Brooke, der erneut verantwortungslos und auch egoistisch handelt, deutet darauf hin, dass es etwas mit Will zu tun hat und Doro beleidigen wird. Erst Celia klärt Dorothea letztlich auf:
"Nun, er hat seinem Testament ein Kodizill angehängt, nach dem du den ganzen Besitz verliersen sollst, wenn du heiraten solltest - ich meine - (...) Nur, wenn du Will Ladislaw heiratest, keinen anderen" (651)
Das Schlimmste für Dorothea ist, dass diese Verfügung einen neuen Blick auf ihre vergangene Ehe wirft. Jetzt erst wird sie sich der Eifersucht und Missgunst ihres Ehemanns bewusst, sieht die Gespräche in neuem Licht und jetzt erst empfindet sie ein "plötzliches heißes Herzesverlangen nach Will Ladislaw." (652)
Genau das, was ihr Mann verhindern will, tritt nun ein...
8. Mr. Farebrother wird als Nachfolger von Casaubon in Lowick, eine glückliche Fügung für den Kartenspieler, der nun entsprechend entlohnt werden wird. Lydgate hat sich für ihn eingesetzt - "denn er sah hier eine Möglichkeit, sein Verhalten damals bei der Wahl, bei der er mit schlechtem Gewissen das Zünglein an der Waage gespielt hatte, wieder wettzumachen." (657)
9. Fred sucht Mr. Farebrother auf, um ihn um Rat zu bitten, ob er ein Amt in der Kirche - sein Examen hat er inzwischen bestanden - annehmen soll. Er will dies jedoch zuvor noch Marys Meinung dazu hören. Würde sie ihn heiraten, hätte er ein Kirchenamt inne? Farebrother soll für ihn bei ihr vorsprechen, das insofern prekär, da auch Farebrother Gefallen an Mary hat und seine Schwester sie als mögliche Gattin ins Spiel bringt. Doch er zeigt sich loyal und pflichtbewusst - vor allem entlastet er Marys Gewissen bzgl. des Testaments, nachdem sie ihm ihre Antwort gegeben hat: Einerseits wird sie ihn nicht heiraten, wenn er ein Kirchenamt bekleidet, weil er sich dabei lächerlich machen würde. Andererseits liebt sie ihn so sehr, dass sie sich nicht vorstellen kann, ihn für einen anderen aufzugeben.
Doch die Ehe knüpft sie weiterhin an die Bedingung, dass er "jedermanns Achtung verdiente." (688)
10. Das letzte Kapitel fällt erneut etwas aus der Handlung der Liebesbeziehungen heraus. Es geht erneut um Stone Court und den Brief, den der Stiefvater Joshua Riggs - Mr. Raffle- zufällig mitgenommen hat. Es stellt sich heraus, dass er Mr. Bulstrode, der jetzt Besitzer von Stone Court ist, kennt, er ihn aufgrund des Briefes ausfindig gemacht hat und ihn nun mit einem dunklen Fleck in seiner Vergangenheit konfrontiert. Offenkundig hat er eine reiche ältere Dame geehelicht, die dann verstorben ist und die eine Tochter hatte - Sarah Ladislaw. Das ist eine echte Überraschung - ist sie Wills Mutter. Da scheint noch einiges an Verwicklungen auf uns zuzukommen.
Nebenbei, der Erzähler tritt nicht nur als fiktives Ich, sondern sogar als fiktives Wir auf: "Unsere Aufgabe ist es" (692) - das verleiht dem Erzähler zusätzliche Autorität