Und der dritte Teil ist nochmal anders. Jetzt wird der Roman zu einem Justizroman. Wir sind mitten drin in der Gerichtsverhandlung. Erfahren einiges Neues, Geheimgehaltenes, hören die Geschichte und Argumente aus verschiedenen Perspektiven und fragen uns immer wieder: wer hat denn nun Recht? Bis jetzt (noch bin ich nicht ganz fertig) weiß ich es nicht, aber glaube auch eher, dass das hier eine so vertrackte Situation ist, in der es nicht die reine Wahrheit und das reine Falsche gibt. Ich melde mich nochmal nach Abschluss des Romaans. Kann aber jetzt schon mal sagen:
Ich hatte eine sehr tolle Osterlektüre!!!
Ich habe Mitleid mit Michel, ganz großes Mitleid. All die Jahre mit einer Schuld zu leben. Aber es ist nicht Aufgabe des Gerichts, Mitleid zu haben. Michel steht vor Gericht, weil er versucht hat einen Menschen zu töten. Es mag Gründe geben, die schuldmindernd sind. Die muss das Gericht würdigen. Dazu gibt es einen Sachverständigen. Der behauptet, Michel ist kein Fall für die Psychiatrie sondern fürs Gefängnis. Der Richter verhandelt nicht das Unrecht, dass die Bergbaugesellschaft an ihren Arbeitern begangen hat. Der Richter verhandelt einen Mordversuch. Und so wie der Staatsanwalt sagt, selbst wenn Michels Geschichte die richtige gewesen wäre, hätte dieser kein Recht darauf, Dravelle oder sonst einen zu richten.Ich mag Justizromane (wie übrigens auch Filme) kein bisschen. Doch dem Teil hier könnte ich dennoch vieles abgewinnen.
Es geht nach meinem Dafürhalten weniger um Recht oder Unrecht im Fall Michel sondern vordergründig darum, was den Menschen der Region im Norden Frankreichs durch die Bergwerksgesellschaften angetan wurde, und zwar allen Menschen und das Jahrhundertelang.
Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft weist zwar eindeutig, wie zuvor auch schon die Ermittlungen, mit dem Zeigefinger auf Michel Flavent als Schuldigen, aber das wird so mühelos mit ganz wenigen Sätzen von Michels Anwältin demontiert, die Menschlichkeit statt Verbitterung, Güte statt hartes Rechtsdenken vermitteln, und die vor allem die Scheuklappen eingeschränkter Sichtweise abnehmen, allen im Gerichtssaal.
Absolut korrekt, so sehe ich das auch. Vermutlich wäre er völlig anders mit der Sache umgegangen, wenn Jojo den Ehrenplatz bekommen hätte, der ihm nach Meinung von Michel und auch von seiner Anwältin zusteht, nämlich als Opfer der Zeche.Und so wie der Staatsanwalt sagt, selbst wenn Michels Geschichte die richtige gewesen wäre, hätte dieser kein Recht darauf, Dravelle oder sonst einen zu richten.
Das hatte ich schon vermutet, und du hast recht, ich bin da wirklich bei dir.Ich bin Juristin, ich kann das gar nicht anders sehen.
Sehr klar auf den Punkt und großartig ausgedrückt. Genau darum geht es.Der Autor kann das, er kann für Menschlichkeit plädieren, kann die Schuld der Ausbeuter anprangern, kann Mitleid mit Michel haben und dieses beim Leser erzeugen.
Schuld, Recht, Rache, Gerechtigkeit, Verdrängung. Ein großartiges Buch um diese ganz großen Fragen.
Trotzdem hat mir das Plädoyer des Staatsanwalts sehr gut gefallen. Denn er fasst die Sichtweise der "Anderen" zusammen und argumentiert für mich absolut nachvollziehbar. Michel hat den "Anderen" gegenüber nicht viel von sich preisgegeben. Und Aufgabe des Staatsanwaltes ist nun mal, die Fakten zu bewerten. Und Fakt ist, dass Michel die Absicht hatte, jemanden umzubringen.Das Plädoyer der Staatsanwaltschaft weist zwar eindeutig, wie zuvor auch schon die Ermittlungen, mit dem Zeigefinger auf Michel Flavent als Schuldigen, aber das wird so mühelos mit ganz wenigen Sätzen von Michels Anwältin demontiert, die Menschlichkeit statt Verbitterung, Güte statt hartes Rechtsdenken vermitteln, und die vor allem die Scheuklappen eingeschränkter Sichtweise abnehmen, allen im Gerichtssaal.
Das stimmt, und gefallen hat es mir auch, zumal es die Rechtslage den Emotionen nochmal ganz deutlich gegenüber stellt. Es ist eigentlich ein ganz klarer Fall, rechtlich gesehen. Aber moralisch eben nicht. Für die rechtliche Seite, die Sichtweise des Staates und der Behörden dient dieses Plädoyer, wie du schon geschrieben hast.Trotzdem hat mir das Plädoyer des Staatsanwalts sehr gut gefallen. Denn er fasst die Sichtweise der "Anderen" zusammen und argumentiert für mich absolut nachvollziehbar. Michel hat den "Anderen" gegenüber nicht viel von sich preisgegeben. Und Aufgabe des Staatsanwaltes ist nun mal, die Fakten zu bewerten. Und Fakt ist, dass Michel die Absicht hatte, jemanden umzubringen.
Das war toll: die Unterschiedlichen Sichtweisen würden noch einmal komprimiert auf den Punkt gebracht. Recht versus Moral.Das stimmt, und gefallen hat es mir auch, zumal es die Rechtslage den Emotionen nochmal ganz deutlich gegenüber stellt. Es ist eigentlich ein ganz klarer Fall, rechtlich gesehen. Aber moralisch eben nicht. Für die rechtliche Seite, die Sichtweise des Staates und der Behörden dient dieses Plädoyer, wie du schon geschrieben hast.
Schön geschrieben, dass auch die Anwältin eine Leiche im Keller hat...Das war toll: die Unterschiedlichen Sichtweisen würden noch einmal komprimiert auf den Punkt gebracht. Recht versus Moral.
Man hat ja zuvor gespürt, dass Anwältin und Dravelle ihre Leichen im Keller haben Hier bekamen wir Gewissheit.
Tatsächlich kommt auch noch einmal DAS Schicksal zum Tragen:" Diese Tragödie hat nichts mit Schicksal zu tun." auf S.276
Es war für mich auch klar, dass Michel ins Gefängnis muss. Wie lange, ist letztlich nicht relevant.
Ich gebe Dir da vollkommen Recht. Es fällt schwer, hier Recht und Unrecht für sich zu definieren. In der Gerichtsverhandlung hat jede der Seiten ihre guten Argumente und man ist als Leser hin und her gerissen. Wie oft im richtigen Leben und immer wieder ein Grund, warum ich froh bin, keine Juristin zu sein, sondern Geisteswissenschaftlerin.Ich bin Juristin, ich kann das gar nicht anders sehen.
Der Autor kann das, er kann für Menschlichkeit plädieren, kann die Schuld der Ausbeuter anprangern, kann Mitleid mit Michel haben und dieses beim Leser erzeugen.
Schuld, Recht, Rache, Gerechtigkeit, Verdrängung. Ein großartiges Buch um diese ganz großen Fragen.
Von Demontage würde ich hier wirklich nicht reden. Nein, von seinem Standpunkt aus gesehen, ist das Plädoyer des Staatsanwalts seeehr stark! Und ich kann es auch bei der weiteren Lektüre nie wegwischen!aber das wird so mühelos mit ganz wenigen Sätzen von Michels Anwältin demontiert,
Stimmt, der Begriff Demontage ist hier nicht gut. Es stehen sich zwei Grundsätzlichkeiten gegenüber, Recht und Menschlichkeit (wobei letztere ja durchaus auch zur rechtlichen Seite des Falles passt, denn wie Ulrike schrieb hat Michel kein Recht, Dravelle umzubringen, egal warum)Von Demontage würde ich hier wirklich nicht reden. Nein, von seinem Standpunkt aus gesehen, ist das Plädoyer des Staatsanwalts seeehr stark! Und ich kann es auch bei der weiteren Lektüre nie wegwischen!
Genau, so sehe ich es auch. Beide Seiten legen ihren Standpunkt wunderbar klar. Das hat mir gefallen.Es stehen sich zwei Grundsätzlichkeiten gegenüber, Recht und Menschlichkeit
Weder aus rechtlichen noch aus moralischen Gründen ist ein Mordversuch zu rechtfertigen. Er muss bestraft werden. Aber ich denke es gibt auch vor Gericht den Versuch, das Motiv einer Tat zu verstehen und dies in die Schwere des Urteils einfließen zu lassen.Aber es ist nicht Aufgabe des Gerichts, Mitleid zu haben.
Das ging mir auch so und ich muss sagen, dass mir das an dem Roman besonders gut gefällt.Je länger ich darüber nachdenke, umso verstrickter (das meine ich äußerst positiv) erscheint alles.
Das hat er wirklich großartig hinbekommen: Kritik am System zu äußern, Fehler aufzuzeigen und gleichzeitig eine wirklich spannende, vielschichtige Geschichte zu erzählen, die zum eigenen Denken anregt.Hier glaube ich auch den Autor zu hören: er will den sozialen Druck darstellen, unter dem alle Bergwergarbeiter auf allen Hierarchiestufen standen.
Mit Sicherheit ist er das: er hatte den Bruder ja sogar noch übermütig gekitzelt. Doch das ist so schwer nachzuweisen. Hätte Michel das Ganze erzählt, hätten ihm vielleicht nicht einmal die eigenen Eltern geglaubt, so wie sie gestrickt waren. Furchtbar, mit einer solchen, nicht verarbeiteten Schuld aufzuwachsen.Aus meiner Sicht ist Michel nicht eindeutig Schuld am Tod seines Bruders.
Nein, hast du nicht. Aber es spielt wirklich keine Rolle.Oder habe ich da was überlesen?
Auf Seite 194 gesteht er es im Traum. Da war ich skeptisch geworden.Dass Joseph schon am Abend vor dem Unglück mit dem Motorrad verunglückt ist, das hätte ich nicht gedacht.