Vierter Teil: In Shaston

Literaturhexle

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Dieser Teil scheint mir eine Schlüsselrolle einzunehmen. Sue weiß einfach nicht, was sie will. Sie ist nun mit dem Schulmeister verheiratet, sehnt sich aber nach Jude, der auch treu immer wieder zu ihr kommt. Ist er dann da, hat die Gnädige ein schlechtes Gewissen. Sie weiß einfach selbst nicht, was sie will, hat keine Klarheit über ihre Gefühle.

Eines scheint sie allerdings zu wissen: sie will keinen Sex. Auch mit Zärtlichkeiten ist sie zurückhaltend- vielleicht aus Angst, mehr Verlangen beim anderen zu erzeugen?

Auf Seite 308 beschreibt sie sich selbst als prüde. Sie mag auch ihren Mann, kann ihm nichts Schlechtes nachsagen, erträgt aber die Sexualität nicht. (Später im Abschnitt zeigt sich, dass es ihr mit Jude ähnlich ergeht).
Im Grunde kann man ihr das bei den derzeitigen Moralvorstellungen nicht verübeln. Wahrscheinlich findet Sex schnell im Dunklen statt, ist etwas Schlechtes und dient allein der männlichen Befriedigung.

Ihr Ehemann stellt sich als sehr liberal heraus: er duldet ihren Auszug aus dem Schlafzimmer und gibt sie später sogar völlig frei, indem er sie zu ihrem Geliebten (?) ziehen lässt. Ein Schritt, der sogar ihm persönlich zur Falle wird, weil seine Vorgesetzten ihn als eine Gefahr für die Jugend sehen und ihn aus dem Schuldienst entlassen. Interessant dabei die Dialoge mit seinem Freund Gillingham, in denen er unter anderem sagt:[zitat]Ich verstehe nicht, wie Handeln aus natürlicher Nächstenliebe gegen die Moral verstoßen kann.[/zitat]
Hier prallen beide Vorstellungen aufeinander und man kann nicht verstehen, warum die Freigabe der Ehefrau ihm den Arbeitsplatz und Lebensunterhalt kosten soll.

Als es Phillotson schlecht geht, kommt Sue ihn besuchen: [zitat]Da ich weiß, dass es für dich auch andere Gefühle geben kann zwischen Mann und Frau als Begierde, bin ich gekommen.[/zitat]

Sue scheint im Grunde auf der Suche zu sein nach reiner Freundschaft. Das hatte sie ihrem Cousin gegenüber auch früher schon erwähnt. Andererseits ist sie auch furchtbar eifersüchtig, als sie von Arabellas Liebesnacht mit Jude erfährt.
Ich bin gespannt, wie sich diese komplizierte Beziehung noch entwickeln wird!
 

MRO1975

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11. August 2018
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Ja, dieser Abschnitt hat es in sich. Ich hätte nicht gedacht, dass Sue es über sich bringt, P um die Trennung zu bitten und dieser sie auch noch gehen lässt. Das war wirklich sehr großherzig von ihm. Am schönsten fand ich seine Aussage, dass er nicht ihr Kerkermeister sein will....

Bedauernswert fand ich, dass Sue sich ihrer Gefühle immer noch nicht klar ist. Sie scheint nur zu wissen, was sie nicht will. Dass Jude enttäuscht war, als er akzeptieren sollte, dass Sue keine Liebesbeziehung wünschte, kann ich mir gut vorstellen.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Ich hätte sowohl Sue als auch Jude gerne schütteln mögen in diesem Abschnitt :rolleyes::D. Dieses ewige Hin und Her und "Ach ja, aber..." ging mir etwas auf den Zwirn. Aber egal.
Ich glaube, der "auslösende" Skandal zu diesem Buch ist die sehr liberale und selbstlose Haltung von Phillitson, Sue gehen zu lassen und keinerlei Ansprüche an sie zu stellen.
 

Literaturhexle

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Ich glaube, der "auslösende" Skandal zu diesem Buch ist die sehr liberale und selbstlose Haltung von Phillitson
Ich bin sicher, da kommt noch mehr! Der Klappentext deutet ja auf die neue Lebensgemeinschaft zwischen Jude und Sue. Auch das wird die Gesellschaft nicht akzeptieren können...
Dieses ewige Hin und Her und "Ach ja, aber..." ging mir etwas auf den Zwirn. Aber egal.
Absolut! Doch ich glaube fast, das war der Stil der Zeit. Bei Madame Bovary zum Beispiel fiel mir das auch auf. Diese latente Unzufriedenheit mit nichts...
 

kingofmusic

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Absolut! Doch ich glaube fast, das war der Stil der Zeit. Bei Madame Bovary zum Beispiel fiel mir das auch auf. Diese latente Unzufriedenheit mit nichts...
Ich hatte bisher gedacht, dass es (trotz der gleichen Zeit) einen Unterschied zwischen französischen und britischen Autoren gibt - scheinbar doch nicht *g*.
 

Literaturhexle

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Ich hatte bisher gedacht, dass es (trotz der gleichen Zeit) einen Unterschied zwischen französischen und britischen Autoren gibt - scheinbar doch nicht *g*.
Ich bin kein Spezialist- Gott bewahre! Aber dieses Hin in Her, dieses Mikroskopieren der Gefühlslage, die Wiederholungen...
Vielleicht wirklich nur Zufall.
 
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Dieser Teil scheint mir eine Schlüsselrolle einzunehmen. Sue weiß einfach nicht, was sie will. Sie ist nun mit dem Schulmeister verheiratet, sehnt sich aber nach Jude, der auch treu immer wieder zu ihr kommt. Ist er dann da, hat die Gnädige ein schlechtes Gewissen. Sie weiß einfach selbst nicht, was sie will, hat keine Klarheit über ihre Gefühle.

Eines scheint sie allerdings zu wissen: sie will keinen Sex. Auch mit Zärtlichkeiten ist sie zurückhaltend- vielleicht aus Angst, mehr Verlangen beim anderen zu erzeugen?

Auf Seite 308 beschreibt sie sich selbst als prüde. Sie mag auch ihren Mann, kann ihm nichts Schlechtes nachsagen, erträgt aber die Sexualität nicht. (Später im Abschnitt zeigt sich, dass es ihr mit Jude ähnlich ergeht).
Im Grunde kann man ihr das bei den derzeitigen Moralvorstellungen nicht verübeln. Wahrscheinlich findet Sex schnell im Dunklen statt, ist etwas Schlechtes und dient allein der männlichen Befriedigung.
Dieses nicht wissen wollen, was sie will, dieses hin und her, dieses teilweise sehr theatralische Gehabe, Sue nervt mich mehr und mehr! Da springt sie einfach aus dem Fenster, weil ihr Mann rein kommt. Hä … Sie hat ja keinen gewalttätigen Ehemann oder irgendein Monster zu haus. Das wirkt schon etwas überzogen. Dann wieder kann sie ganz überzeugend nachfragen, ob sie ihr Mann gehen lassen kann, dies wieder ganz ohne Angst. Hier passt auch in meinen Augen einiges nicht zusammen. Als sie im Gasthof in Aldbrickham erfährt, dass Jude mit Arabella hier war, zieht sie meiner Meinung nach wieder alle theatralischen Register. Gut, so etwas ist sicher nicht schön. Und in einer prüden Zeit hat dies sicher auch eventuelle Folgen. Aber die Folgen für ihren Ehemann interessieren sie irgendwie gar nicht. Und da sie belesen ist, nicht vollkommen dumm daherkommt, müsste sie sich dies denken können. Sue wirkt auf mich immer mehr sehr egoistisch. Ich glaube wir werden keine Freunde!
 
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Ihr Ehemann stellt sich als sehr liberal heraus: er duldet ihren Auszug aus dem Schlafzimmer und gibt sie später sogar völlig frei, indem er sie zu ihrem Geliebten (?) ziehen lässt. Ein Schritt, der sogar ihm persönlich zur Falle wird, weil seine Vorgesetzten ihn als eine Gefahr für die Jugend sehen und ihn aus dem Schuldienst entlassen. Interessant dabei die Dialoge mit seinem Freund Gillingham, in denen er unter anderem sagt:[zitat]Ich verstehe nicht, wie Handeln aus natürlicher Nächstenliebe gegen die Moral verstoßen kann.[/zitat]
Hier prallen beide Vorstellungen aufeinander und man kann nicht verstehen, warum die Freigabe der Ehefrau ihm den Arbeitsplatz und Lebensunterhalt kosten soll.

Als es Phillotson schlecht geht, kommt Sue ihn besuchen: [zitat]Da ich weiß, dass es für dich auch andere Gefühle geben kann zwischen Mann und Frau als Begierde, bin ich gekommen.[/zitat]
Dieses Verhalten von Phillotson hat mich auch verwundert, erst der Freigabe seiner Frau abgeneigt, dann sich ihres Kummers und ihrer Lage derart bewusst, dass er sie schlussendlich gehen lässt. Ohne sich über die eventuellen Folgen klar zu sein. Hhhmm? Ich weiß nicht. Wirkt dies nicht auch irgendwie überzeichnet? Hätte ein Mann in der damaligen Zeit seine Stellung aufs Spiel gesetzt um seiner Frau zu helfen? Kommt mir nicht so nachvollziehbar vor. Natürlich im Roman um dem lesenden Publikum einen bestimmten Sachverhalt zu vermitteln erscheint dies schon schlüssig und stimmig. Aber real wirkt dies in meinen Augen nicht.
 
G

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Die nächste Schlüsselszene im Roman erscheint mir ebenso von herausragender Bedeutung und wird ebenso in der damaligen Zeit für viel Naserümpfen und negative Kommentare gesorgt haben. Jude verbrennt seine Bücher über die Theologie und die Ethik, weil er im Verhalten seiner Mitmenschen die Diskrepanz dazu entdeckt und er nicht mehr ein Teil davon sein will. Er wird weiterhin seinen Glauben haben, aber kein Heuchler sein. Hui! Harter Tobak. Dies wird Viele gegen Hardy aufgebracht haben
 
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Im Übrigen vertrete ich hier langsam die Auffassung, dass ein männlicher Autor hier die Männerwelt in einer etwas besseren Art beschreibt, als dass reale Leben sie hervorbringt und zeigt. Was an sich nicht schlecht ist, aber irgendwie nachdenklich werden lässt.
 
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Ich hätte sowohl Sue als auch Jude gerne schütteln mögen in diesem Abschnitt :rolleyes::D. Dieses ewige Hin und Her und "Ach ja, aber..." ging mir etwas auf den Zwirn. Aber egal.
Ich glaube, der "auslösende" Skandal zu diesem Buch ist die sehr liberale und selbstlose Haltung von Phillitson, Sue gehen zu lassen und keinerlei Ansprüche an sie zu stellen.
Jaa, Sue möchte ich ständig schütteln. :mad:
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Hätte ein Mann in der damaligen Zeit seine Stellung aufs Spiel gesetzt um seiner Frau zu helfen?
Wohl kaum. Das finde ich für sie Geschichte aber durchaus interessant: P. handelt eben anders, viel liberaler, als man es erwarten sollte. Dadurch wird aber die ach so moralische Gesellschaft ad absurdum geführt, indem der vergebende Ehemann seiner Lebensgrundlage beraubt wird. Letzteres ist doch sinnlos: P. hat doch gar nichts Verwerfliches getan :confused:
 
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Wohl kaum. Das finde ich für sie Geschichte aber durchaus interessant: P. handelt eben anders, viel liberaler, als man es erwarten sollte. Dadurch wird aber die ach so moralische Gesellschaft ad absurdum geführt, indem der vergebende Ehemann seiner Lebensgrundlage beraubt wird. Letzteres ist doch sinnlos: P. hat doch gar nichts Verwerfliches getan :confused:
Dieser Sachverhalt soll den Lesenden schockieren und zum Nachdenken kommen lassen und letztendlich wird Hardy auch damit seine Umgebung aufrütteln haben wollen. Dies hat er leider auch geschafft. Aber leider anders als gedacht. Letztendlich sehr mutig von ihm! Und dahingehend ein sehr interessantes Buch!