2. Leseabschnitt: Beginn 2. Teil bis Mitte 2. Teil ("Der Beweis", S. 137)

ulrikerabe

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Als der Bildhauer L. kennen lernt, hat mich vieles an die Vegetarierin erinnert. Auch hier gibt es eine Frau die ein sehr spezielles (Ess)verhalten zeigt und ein Künstler versucht sie und ihren Körper zu vereinnahmen. L. hat sich einen Schutzpanzer aufgefuttert. das ist ja ein ganz typisches Verhalten für sexuell missbrauchte Mädchen. Später, als sie an Gewicht verloren hat, sich quasi aus dem Kokon entpuppt hat, hat sie auch keine Interesse mehr an ihrer "Hülle. Das finde ich auch absolut nachvollziehbar.
Ist der Bildhauer nun ein Perverser? Weil er von Frauen Körperabdrücke nimmt? Weil er im speziellen von L. als sie extrem übergewichtig ist? Weil er in ihr einen Rückzugsortfindet, wortwörtlich, beim Sex, aber auch in der Skulptur?
"Ich beobachtete die Menschen und vertraute ausschließlich auf das Ergebnis meiner Beobachtung. Eine ausgedehnte Betrachtung aus der Ferne oder eine kurze aus der Nähe sind nutzlos." Er ist schlicht fasziniert von der Körperlichkeit der Menschen. besonders von den Dingen, die verheimlicht, versteckt werden.
Er sieht sich selbst als Außerirdischer, steht quasi über den Dingen, sagt dass Rang, Ansehen, Macht, Schönheit, Alter ihn nicht beeinflussen.
Ich finde großartig, wie Han Kang ihre Figuren freilegt, sie quasi wie ein Bildhauer aus einem Block raus meißelt, Schicht für Schicht abträgt um an ihr Innerstes zu kommen. Da sind so starke Bilder , die beim Lesen entstehen. ein ungeheurer Sog.
 

Renie

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Ist der Bildhauer nun ein Perverser? Weil er von Frauen Körperabdrücke nimmt? Weil er im speziellen von L. als sie extrem übergewichtig ist? Weil er in ihr einen Rückzugsortfindet, wortwörtlich, beim Sex, aber auch in der Skulptur?
Das habe ich mich auch gefragt. Der Bildhauer ist für mich ein Rätsel. Durch die Schilderung seiner Kindheit habe ich eine ungefähre Vorstellung von ihm als sehr verschlossenen Menschen, der sein wahres Ich nicht zeigen möchte. Aber ich kann den Bezug zu seiner Arbeit nicht herstellen. Diese Handgipsabdrücke finde ich sehr faszinierend, ich verstehe aber nicht, was er damit ausdrücken möchte. Und diesen Ganzkörperabdruck von L. als seinen Sarg zu beschreiben ist wirklich schräg. Der Moment, als er sich dort hineingelegt hat ... gruselig. Ich stelle fest, dass die Geschichte gerade kippt. Anfangs hat sie mich noch durch die Schilderung seiner Kindheit berührt. Jetzt finde ich sie langsam verstörend.
Aber der Sprachstil gefällt mir immer noch ausgesprochen gut. Er steht mit seiner Poesie im krassen Gegensatz zu der Geschichte. Das ist genial.
 

Renie

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Ich finde großartig, wie Han Kang ihre Figuren freilegt, sie quasi wie ein Bildhauer aus einem Block raus meißelt, Schicht für Schicht abträgt um an ihr Innerstes zu kommen. Da sind so starke Bilder , die beim Lesen entstehen. ein ungeheurer Sog.
Das stimmt. Aber ich brauche noch eine Weile, bis ich ins tiefste Innere des Bildhauers vorgedrungen bin.;)
 

Anjuta

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Aber ich brauche noch eine Weile, bis ich ins tiefste Innere des Bildhauers vorgedrungen bin
Vielleicht will er uns dahin gar nicht vordringen lassen, denn er schreibt ja seinen Bericht, um uns das "Gegenteil von Warum" (S. 28) zu liefern , also Verwirrung und eben keine Einsichten und Antworten.
 

Anjuta

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Ich bin im zweiten Teil etwas unentschlossen ggü dem Buch. So sensationell finde ich die künstlerische Idee ehrlich gesagt nicht, sich bildnerisch direkt mit der menschlichen Haut zu befassen (s. z.B.:
Marina Schneede
Mit Haut und Haaren

Der Körper in der zeitgenössischen Kunst)
und so trägt bei mir auch weder Staunen, noch Überraschung, und auch nicht Grauen die Lektüre in große Höhen. Ich lese gern, aber recht unberührt.
 
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Renie

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So sensationell finde ich die künstlerische Idee ehrlich gesagt nicht, sich bildnerisch direkt mit der menschlichen Haut zu befassen (s. z.B
Die künstlerische Idee steht für mich auch nicht im Mittelpunkt. Seine Kunstform ist eine Möglichkeit für ihn, sich auszudrücken. Da sind die Mittel (also Haut und Gips) nebensächlich, wobei ich zugeben muss, dass mir noch nicht ganz klar ist, was er ausdrücken will. Im vorherigen Abschnitt brachte @Mikka Liest ins Gespräch, dass U. Masken erschafft, um das Hohle in sich zu verbergen. Also hinter der Maske ist nichts. Das passt für mich, insbesondere, wenn ich die Parallele zu seinen Eltern und zu seiner Kindheit sehe.
Ich kriege jedoch seine Faszination für Hände nicht untergebracht.
 

Renie

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ch lese gern, aber recht unberührt.
Ich lese auch gern und bin aber verwundert ;) Denn ich schaffe es einfach nicht, U. zu begreifen. Er ist für mich ein völliges Rätsel. Die Autorin hält U.s eigene Maskerade konsequent aufrecht. Ich bin schon viel weiter als in diesem Abschnitt, habe noch ca. 50 Seiten, aber ich komme einfach nicht an ihn heran. Das gibt's doch nicht:confused:
Aber dennoch hält mich das Buch gefangen.
 

Mikka Liest

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Als der Bildhauer L. kennen lernt, hat mich vieles an die Vegetarierin erinnert. Auch hier gibt es eine Frau die ein sehr spezielles (Ess)verhalten zeigt und ein Künstler versucht sie und ihren Körper zu vereinnahmen.

Die Vegatarierin liegt hier noch, das hatte ich mir gekauft, nachdem ich "Menschenwerk" so großartig fand! Es wird Zeit, dass ich das Buch mal lese...

L. hat sich einen Schutzpanzer aufgefuttert. das ist ja ein ganz typisches Verhalten für sexuell missbrauchte Mädchen. Später, als sie an Gewicht verloren hat, sich quasi aus dem Kokon entpuppt hat, hat sie auch keine Interesse mehr an ihrer "Hülle. Das finde ich auch absolut nachvollziehbar.

Ja, ich habe direkt so etwas vermutet, als sie mit ihrem starken Übergewicht beschrieben wurde. Wie du schon sagst, ganz typisch. (Oder das andere Extrem...)

Ich habe mich übrigens gefragt, wie realistisch es ist, dass sie so viel abgenommen hat und jetzt scheinbar sehr attraktiv (dem herrschenden Schönheitsbild entsprechend) ist, einfach so. Wenn ihr Übergewicht wirklich so extrem war wie beschrieben, müsste sie auch sehr viele gravierende Hautfalten zurückbehalten haben – außer, sie hat chirurgisch nachgeholfen.

Ist der Bildhauer nun ein Perverser? Weil er von Frauen Körperabdrücke nimmt? Weil er im speziellen von L. als sie extrem übergewichtig ist? Weil er in ihr einen Rückzugsortfindet, wortwörtlich, beim Sex, aber auch in der Skulptur?

Er ist schlicht fasziniert von der Körperlichkeit der Menschen. besonders von den Dingen, die verheimlicht, versteckt werden.
Er sieht sich selbst als Außerirdischer, steht quasi über den Dingen, sagt dass Rang, Ansehen, Macht, Schönheit, Alter ihn nicht beeinflussen.

Ich fand das nicht pervers. Er wirkt oft ein wenig sonderbar, aber ich fand es sogar einen eher ansprechenden Charakterzug, dass er auf die oberflächlichen Dinge wie Geld und Schönheit wenig Wert legt.

Ich finde großartig, wie Han Kang ihre Figuren freilegt, sie quasi wie ein Bildhauer aus einem Block raus meißelt, Schicht für Schicht abträgt um an ihr Innerstes zu kommen. Da sind so starke Bilder , die beim Lesen entstehen. ein ungeheurer Sog.

Oh ja, das stimme ich dir absolut zu!
 

Mikka Liest

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Durch die Schilderung seiner Kindheit habe ich eine ungefähre Vorstellung von ihm als sehr verschlossenen Menschen, der sein wahres Ich nicht zeigen möchte. Aber ich kann den Bezug zu seiner Arbeit nicht herstellen. Diese Handgipsabdrücke finde ich sehr faszinierend, ich verstehe aber nicht, was er damit ausdrücken möchte.

Für mich kommt immer wieder alles zurück auf Schein und Sein, das Oberflächliche gegen die Wahrheit, so in der Art. Er hat seine Kindheit in einer Familie verbracht, in der die Erwachsenen ihre Masken trugen, auch den Kindern gegenüber, daher vielleicht dieser Drang, hinter die Maske zu schauen.

Und diesen Ganzkörperabdruck von L. als seinen Sarg zu beschreiben ist wirklich schräg. Der Moment, als er sich dort hineingelegt hat ... gruselig. Ich stelle fest, dass die Geschichte gerade kippt. Anfangs hat sie mich noch durch die Schilderung seiner Kindheit berührt. Jetzt finde ich sie langsam verstörend.

Da habe ich mich auch gefragt, was in ihm vorgeht. Er selber glaubt von sich, dass er leer ist, also eigentlich nur Oberfläche und Maske, und jetzt umgibt er sich mit einer weiteren Maske...

Aber der Sprachstil gefällt mir immer noch ausgesprochen gut. Er steht mit seiner Poesie im krassen Gegensatz zu der Geschichte. Das ist genial.

Oh ja, der gefällt mir auch sehr gut! Ich finde das Buch sehr unterhaltsam zu lesen, auch wenn es manchmal verstört.
 

Mikka Liest

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Ich bin im zweiten Teil etwas unentschlossen ggü dem Buch. So sensationell finde ich die künstlerische Idee ehrlich gesagt nicht, sich bildnerisch direkt mit der menschlichen Haut zu befassen (s. z.B.: Marina Schneede Mit Haut und Haaren Der Körper in der zeitgenössischen Kunst) und so trägt bei mir auch weder Staunen, noch Überraschung, und auch nicht Grauen die Lektüre in große Höhen. Ich lese gern, aber recht unberührt.

Ich habe mir die ganze Zeit gewünscht, ich könnte ein Beispiel seiner Kunst sehen, um sie besser zu verstehen.
 

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Ich kriege jedoch seine Faszination für Hände nicht untergebracht.

Vielleicht hat das mit der verstümmelten Hand seines Onkels zu tun.

U. hat mehrfach fast schon bewundert, wie gekonnt der Onkel diesen "Makel" versteckt hat. Der Onkel ist also ein Meister der Fassade, vielleicht verbindet U. deswegen die Hand mit dem innersten Wesen eines Menschens? Denn in seinen ersten Hand-Kunstwerken ist es ja so, dass Geheimnisse enthüllt werden, wenn die Hand sich öffnet.
 

Mikka Liest

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Ach ja, noch etwas: wird nicht an einer Stelle gesagt, L. ist 1,65cm groß und muss mindestens 100 Kilo wiegen? Ein Gewicht von 100+ Kilo bei dieser Größe ist zwar Übergewicht, aber doch eigentlich nicht genug für so ein groteskes Aussehen, wie beschrieben? Rein nach der Beschreibung zu urteilen, hätte ich ein Gewicht von 200+ erwartet... Ich könnte mir vorstellen, dass hier vielleicht auch eine Rolle spielt, dass Übergewicht in asiatischen Ländern anders wahrgenommen wird als in vielen westlichen Ländern.

Nur nach Gewicht und Größe zu urteilen, stelle ich mir L. eigentlich so vor:
http://chinesefashionlovers.tumblr.com/post/144591324878/link

Nach der Beschreibung hingegen viel, viel umfangreicher.
 
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Literaturhexle

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Ich kriege jedoch seine Faszination für Hände nicht untergebracht.
Auf Seite 80 sagt er, dass er den Menschen erst ins Gesicht (dort hat er ja wiederholt Masken kennengelernt) und dann auf die Hände schaut. Bei genauer Betrachtung ihrer Bewegungen kann er erspüren, was für ein Mensch sich hinter dem Gesicht verbirgt. Ich denke, da kommt die Faszination her.
Für mich kommt immer wieder alles zurück auf Schein und Sein, das Oberflächliche gegen die Wahrheit, so in der Art.
Das halte ich auch für ein zentrales Thema. Seine Jugend hat ihn extrem geprägt. L. in ihrer dicken Hülle wirkte auf ihn anziehend, weil sie "echt" war, keine Schminke benutzte, keine aufgesetzte Art hatte. Von ihrem Körper fühlte er sich umhüllt und geborgen. Das sind für mich schöne Bilder.
Die "neue" L. Indes erscheint so wie alle anderen, was ihn eher abstößt. Ich bin neugierig, wie sich diese unfreiwilige/spontane WG weiter entwickelt.

Das Schicksal von L. hat mich berührt. Wie @Mikka Liest ja richtig anmerkt, ist die Esssucht bei sexuell missbrauchten Frauen eine Art, den Missbrauch zu verhindern oder zu verarbeiten. Brutal, wie das gelaufen ist! L. ist eine zutiefst verletzte Seele. Sie will sich jetzt einreden, dass es ihr gut geht, dass die neue Schlankheit zu ihr passt...

Doch sie ist ins andere Extrem geraten, in die Bulimie, die zur Magersucht zu führen scheint. Ich vermute, dass die Narbe zwischen Zeigefinger und Daumen daher rührt, dass sie sich den Finger tief in den Hals schiebt, bis es "spannt"...
 
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Ich habe DIE Vegetarierin gelesen, ein Buch, das mich auch verstört hat. Insofern habe ich hier auch Ähnliches erwartet, was ich auch bekomme.

Der Schreibstil ist wirklich sehr ansprechend. Es gibt Sätze, die ziemlich schöne Wahrheiten beinhalten. Das Künstlerische an sich interessiert mich dabei weniger. Die Interpretation des Werkes überlasse ich mit Freuden euch ;)

Gerne lese ich weiter, allerdings ohne "Hochgefühl".
 

Renie

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Vielleicht hat das mit der verstümmelten Hand seines Onkels zu tun.

U. hat mehrfach fast schon bewundert, wie gekonnt der Onkel diesen "Makel" versteckt hat. Der Onkel ist also ein Meister der Fassade, vielleicht verbindet U. deswegen die Hand mit dem innersten Wesen eines Menschens? Denn in seinen ersten Hand-Kunstwerken ist es ja so, dass Geheimnisse enthüllt werden, wenn die Hand sich öffnet.

Die Hand des Onkels hatte ich völlig vergessen.:confused:
 

Momo

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Interessant fand ich, dass der Bildhauer die Hände als das zweite Gesicht des Menschen betrachtet und ich finde schon, dass etwas dran sein könnte.
 
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kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Ich komme momentan sehr langsam voran und bin hin- und hergerissen zwischen Faszination und einem dicken "?". Kann aber auch nicht sagen, woher diese Zerrissenheit kommt, darum enthalte ich mich hier jetzt zunächst eines weiteren Kommentars.
 

Renie

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Ich komme momentan sehr langsam voran und bin hin- und hergerissen zwischen Faszination und einem dicken "?". Kann aber auch nicht sagen, woher diese Zerrissenheit kommt, darum enthalte ich mich hier jetzt zunächst eines weiteren Kommentars.
Damit stehst du nicht allein. Doch je weiter du in dem Buch vorwärts kommt, umso mehr wird alles einen Sinn ergeben. Versprochen ;)
 
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