Deutscher Buchpreis 2018: Archipel von Inger-Maria Mahlke

Literaturhexle

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Ich wollte ihn lesen, den Gewinner des diesjährigen Deutschen Buchpreises. Die Autorin wurde hoch gelobt wegen ihrer Liebe zum Detail und ihrer Fähigkeit, das Politische mit dem Familiären zu verbinden. Vom Schreibkonzept her beginnt sie im Jahr 2015 und endet 1919, auch diese Originalität, einen Roman quasi rückwärts zu erzählen, brachte ihr Zusatzpunkte ein.

Mir war klar, dass dieser Preisträger nach der Hauptstadt von Robert Menasse (2017), dessen Roman mir auch für das breitere Publikum lesbar erschien, wieder komplizierter sein würde.

Im Mittelpunkt steht die Familie Bernadotte, ein altes bedeutendes Adelsgeschlecht auf Teneriffa. Zu Beginn lernt man Felipe Bernadotte kennen, der sich von seiner Herkunftsfamilie losgelöst hat. Er möchte ein bürgerliches Leben führen, ist aber in seinem Engagement gegen die Eliten gescheitert und verbringt seine freie Zeit trinkend im Club. Die Ehefrau Ana Baute strebt eine politische Karriere bei den Konservativen an. Ihr Vater lebt hoch betagt in einem Seniorenheim, dessen Pförtner er auch ist. Rosa ist 17 und die Tochter von Felipe und Ana. Sie hat ihr Studium abgebrochen, jobbt im Altersheim und sucht noch ihren Weg.

Man muss sehr aufmerksam lesen. Es tauchen schnell viele Figuren auf, deren Zusammenhänge zueinander man leicht überlesen kann. Ein Bleistift hilft mir, die wichtigen Dinge sichtbar zu machen.

Ab und zu hat man einen Aha-Effekt: dann fügt sich eins zum anderen. Oftmals lese ich aber konzentriert und mir ist nicht klar, wo die Reise hingeht.
Ich bin jetzt im Jahr 1970 angekommen. Deshalb werde ich wohl nichts mehr von Rosa hören. Felipe und Ana sind 8/9 Jahre alt- also kommt da auch nichts mehr über ihre eigenen Werdegänge, sondern nur noch über deren Herkunftsfamilien. Das ist schade, denn einige Probleme sind zu Beginn im Jahr 2015 schon aufgetaucht, deren Lösung ich mir noch erhoffte...

Es ist eigenwillig, dieses Buch. Ich lese es weiter, weil es nicht ganz schlecht ist. Aber man muss definitiv aufmerksam sein. Insofern taugt es nicht zur reinen Entspannung.

So richtig gut ist es aber auch nicht.
Frau Mahlke tat im Interview kund, dass sie beim Schreiben nicht an den Leser denkt. Das merkt man. Ein bisschen weniger Kopflastigkeit hätte der Geschichte bestimmt gut getan.
 

Literaturhexle

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Heute habe ich "Archipel " endlich beendet. Ich bin froh, keine Rezension schreiben zu müssen, das würde mir schwer fallen.
Bis zum letzten Viertel hatte ich noch das Gefühl, die verschiedenen Fäden in der Hand zu haben. Dann sind sie mir entglitten...

Das Buch wird wie gesagt rückwärts erzählt. Dadurch drehen sich Kausalitäten um. Man erfährt die Wirkung und erst viel später, was Teil der Ursache sein könnte.

Dazu flechtet Mahlke sehr viele Details und Bilder ein. Man spürt, dass sie Teneriffa liebt. Die politische Entwicklung erfährt man über Schicksale und Andeutungen. Man müsste Google bemühen, um den Hintergrund zu vertiefen. Dafür fehlte mir jedoch das Interesse.

Eben habe ich noch zwei Interviews der Autorin auf Youtube gehört: sie kommt schon fast arrogant rüber. Sie will gar nicht jeden Leser mitnehmen und reiht Fremdworte aneinander, dass es den Lateiner freut.
Dann ist ja alles gut. Ich bin definitiv nicht mitgenommen worden, kann aber behaupten, den Buchpreisträger 2018 gelesen zu haben.
Tschüs, Frau Mahlke. Ihr nächstes Buch überlasse ich gerne anderen :D
 
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Literaturhexle

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Tja, manche Autoren fühlen sich zu Höherem berufen.
Sie versteht sich als Künstlerin. Ist sogar der Meinung, es sollte keine Unterhaltungsromane geben, das könne Netflix besser (frei wiedergegeben). Ihre Rede zum Gewinn des Buchpreises kann man ohne Erklärung auch nicht wirklich verstehen. Wie war das mit dem Joghurt:confused:
Nach "Widerfahrnis " und "Die Hauptstadt " ein für mich wieder schwer lesbarer Preisträger.
 

Tiram

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Ich habe mir mal ein Interview vom Spiegel angeschaut, aber nicht zu Ende. Sie ist mir zu arrogant. Kein Blick zum Publikum, nur zum Interviewer und auf ihr Buch. Ansonsten versteckt sie sich permanent hinter ihren Haaren.
 

Helmut Pöll

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Es ist eigenwillig, dieses Buch. Ich lese es weiter, weil es nicht ganz schlecht ist. Aber man muss definitiv aufmerksam sein. Insofern taugt es nicht zur reinen Entspannung.

So richtig gut ist es aber auch nicht.
Natürlich sind die Geschmäcker unterschiedlich. Aber ich werde durch Deine Zeilen wieder mal in meinem Vorurteil bestätigt, dass Jurys wirklich ein Händchen haben für schwer verdauliche Bücher. Nach purer Leselust hört sich das Archipel für mich nicht an.
 
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Natürlich sind die Geschmäcker unterschiedlich. Aber ich werde durch Deine Zeilen wieder mal in meinem Vorurteil bestätigt, dass Jurys wirklich ein Händchen haben für schwer verdauliche Bücher. Nach purer Leselust hört sich das Archipel für mich nicht an.

@Helmut Pöll
Das war Schwerstarbeit pur. Nie wieder. Das nächste Mal wird viel früher abgebrochen ... Und bei den Buchpreisen werde ich nächstes Mal auch besser draufschauen. Auf FB gibt es eine LIteraturwissenschaftlerin, die das Buch auch abgebrochen hat. Es rückt ja nicht jeder Profi mit der Wahrheit raus, diese war ehrlich und hat sich geoutet.
 

KrimiElse

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Natürlich sind die Geschmäcker unterschiedlich. Aber ich werde durch Deine Zeilen wieder mal in meinem Vorurteil bestätigt, dass Jurys wirklich ein Händchen haben für schwer verdauliche Bücher. Nach purer Leselust hört sich das Archipel für mich nicht an.

Oh, es gibt auch Buchpreise, bei denen das nicht so ist. Aber die Jury des Deutschen Buchpreises liebt es durchaus vertrackt und kompliziert.
Ich mag da auch eher die „Schmonzetten“, die den Booker Prize erhalten ;)
und freue mich jedes Jahr auf die Bekanntgabe der Shortlist und der Gewinner.
 

KrimiElse

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Sie versteht sich als Künstlerin. Ist sogar der Meinung, es sollte keine Unterhaltungsromane geben, das könne Netflix besser (frei wiedergegeben). Ihre Rede zum Gewinn des Buchpreises kann man ohne Erklärung auch nicht wirklich verstehen. Wie war das mit dem Joghurt:confused:
Nach "Widerfahrnis " und "Die Hauptstadt " ein für mich wieder schwer lesbarer Preisträger.
Eigentlich wollte ich das Buch noch lesen...aber es wandert auf dem Stapel erst mal weiter nach unten. Mal sehen, wenn ich so eine richtig intellektuell-bohemistische Phase habe, krame ich es vielleicht hervor :p

Es ist immer sehr gut für mich, wenn Leute mit ähnlichem Leseverhalten ein positives oder negatives Urteil fällen, danke dir, dass du das hier geteilt hast.
 
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Literaturhexle

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Ich mag da auch eher die „Schmonzetten“, die den Booker Prize erhalten ;)
Da tust du dem Booker Preis aber Unrecht. Wir haben hier eine Challenge zum Booker Preis laufen, die leider mangels Zeit etwas ins Stocken geraten ist.
Aber es gibt herausragende Bücher, die den Preis bekommen haben:
Lincoln im Bardo von George Saunders
Vom Ende einer Geschichte von Julian Barnes
Der schmale Pfad durchs Hinterland von R. FLANAGAN

Ich habe eine Liste, ich möchte sie alle noch lesen. Mein einziger Flop war bislang "Der englische Patient"

Also eine Schmonzette hatte ich bislang keine darunter ;)

Welche meinst du damit? Vielleicht habe ich am falschen Ende angefangen.
 

Literaturhexle

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Eigentlich wollte ich das Buch noch lesen...aber es wandert auf dem Stapel erst mal weiter nach unten. Mal sehen, wenn ich so eine richtig intellektuell-bohemistische Phase habe, krame ich es vielleicht hervor
Das ist dann der richtige Zeitpunkt, definitiv.
Für mich war es saumäßig ärgerlich, weil ich bis S. 300 drin war. Und dann wurde es so unübersichtlich dass ich noch rausgeflogen bin aus der Handlung...
Aber das habe ich oben auch schon erklärt, denke ich:mad:
 

KrimiElse

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Die Anmerkung „Schmonzette“ zum Man Booker Prize war ein Gag :cool:
Natürlich sind das keine solchen, aber manche Kremien und Literaten sind offenbar der Meinung, wenn man völlig verdrehtes Geschreibsel nicht gut findet, dann gehört man eben in diese Kategorie.
Ich denke da z.B an „Der ungarische Satz“ von Andrej Nikolaidis, für mich völlig unlesbar (ich habe es versucht, wirklich, aber das ganze Buch besteht aus einem einzigen Satz).
Stella z.B wurde in manchen Kritiken als seichter Liebesroman ohne Tiefgang verrissen, das hängt mir vielleicht noch ein bisschen an, auch da habe ich (an anderer Stelle) ironisch diskutiert, dass ich offenbar auf so etwas stehe.
 
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