Unser Fazit

Anjuta

Bekanntes Mitglied
8. Januar 2016
1.635
4.771
49
62
Essen
Ich habe mich ja zuvor schon geoutet als jemand, dem der Roman überhaupt nicht gefallen hat. Das muss ich nun leider auch im Fazit nochmal ausführen und bekräftigen. Drei Aspekte möchte ich dafür anführen:
- generell muss ich in Frage stellen, ob die Neuerzählung eines alten Werkes wirklich eine gute Idee ist. Jedenfalls bei Jacobson hat mir das keine Freude und Neuerkenntnisse gebracht. Ich wünsche mir neue Geschichten, die gerne alte Themen, die schon mal in früherer Zeit bearbeitet wurden, aufgreifen, aber ein genügendes Maß an Freiheit und eigener Kreativität aufweisen, nicht so eine Neubearbeitung, die allzu eng und nah an dem Original bleibt, dass eigene, neue Akzente irgendwie nur in die alte Handlung eingeschnürt und damit irgendwie "beschnitten" ;-) daherkommen.
- vom formalen Aspekt her hat mich "Shylock" nicht überzeugt, da er sich als Roman verkauft, wesentliche Prosa-Elemente dann aber außer Acht lässt oder nicht nutzt. Der Großteil des Romans ist reiner Dialog, die verbindenden Prosastücke dazwischen ohne einen irgendwie in Erscheinung tretenden, eine Rolle einnehmenden Erzähler, letztlich von der Haltung her nicht viel mehr als reine Bühnenanweisungen. Heraus kommt ein sehr spröder, anspruchsvoller Text, dem ich mich nicht gewachsen sah und der in mir nichts an Bilderwelten und Ideenflüssen auszulösen vermochte.
- inhaltlich war ich oft mehr als irritiert angesichts der Behandlung des Judenthemas, das hier noch so viel mehr im Mittelpunkt steht als bei Shakespeare - im Übrigen keine Überraschung, wählt Jacobson doch Shylock als Titelhelden aus, während das bei Shakespeare Antonio war. Die Klischees und Vorurteile Juden gegenüber, die dann hier angesprochen und ins Feld geführt werden, habe ich in keiner Weise durch die mittlerweile gewachsenen historischen Erkenntnisse und Erlebnisse angereichert gesehen. So wie sie bei Shakespeare (ansatzweise) waren, sind sie von Jacobson über die Jahrhunderte hinweg schlicht neu aufgenommen worden, um Shylock/Strulovitch als typisierte Vertreter des Judentums zu zeichnen. So jedenfalls habe ich den Roman gelesen.
Drei Gründe, die nicht alle in der Leserunde teilen müssen. Die für mich aber das Fazit begründen: eine nicht nur überflüssige, sondern sogar ärgerliche Lektüre, die ich ohne Leserunde ganz sicher irgendwo abgebrochen hätte.
 

Bibliomarie

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10. September 2015
2.092
3.205
49
wählt Jacobson doch Shylock als Titelhelden aus, während das bei Shakespeare Antonio war.

Ich finde auch, das D'Antonio=Antonio als Figur zu blass bleibt, ich hätte schon gern mehr darüber gelesen, was ihn veranlasst hat, Plury und Barnaby jeden Wunsch von den Lippen zu lesen. Sein Charakter ist doch sehr blass geblieben.
 

MRO1975

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11. August 2018
1.538
3.981
49
48
Ich habe dem Roman gegenüber gemischte Gefühle. Einerseits hat er erfüllt, was zu erwarten war: die Grundidee des Kaufmanns war wiederzuerkennen. Diese Rahmenhandlung und die sie tragenden Personen blieben allerdings blass, da der Autor hier meiner Meinung nach weniger Herzblut hineingesteckt hat. Stattdessen hat er den Roman als Plattform verwendet, Shylock eine Stimme zu geben, damit dieser seine Handlungsweise im Kaufmann nachträglich erläutern kann - eine solche Auseinandersetzung hätte ich eher in einer literarischen Abhandlung zum Kaufmann und nicht in Romanform erwartet. Shylock war dennoch die Person, die mich am meisten fesselte. Seine Gespräche mit Strulovitch waren sehr interessant, aber eben nicht das, was ich erwartet hatte.

Ohne euch hätte ich den Roman sicherlich nicht zu Ende gelesen. Von mir gäbe es 3 Sterne für die interessanten Ausführungen zum Judentum und die Aufarbeitung der Beweggründe Shylocks. Punktabzug gibt es für meine enttäuschte Erwartung und die schwache Umsetzung der Rahmenhandlung.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
19.244
49.156
49
Im Grunde habe ich mein Fazit schon im letzten Leseabschnitt hinterlassen:
Das Lesen des Buches hat mich herausgefordert und war kein Genuss. Eingestehen muss ich, dass ich die Originalvorlage nur rudimentär kannte und nicht gelesen habe.
Aus meiner Sicht hat mir das aber die offensichtlich schwierige Suche nach Parallelen erspart.
Die Adaption funktioniert mit und ohne Kenntnis des Originals nicht richtig gut, die Geschichte trägt nicht, ist holprig und wartet nicht einmal am Ende mit einer befriedigenden Auflösung auf.
Interessant waren manche Passagen, insbesondere die Dialoge zwischen Shylock und Strulovitch. Vieles andere wirkte auf mich überspannt und an den Haaren herbeigezogen (insbesondere die Dekadenz rund um Plurabelle und die inszenierte Beschneidung).
Die ständigen Stereotype bezüglich des Christen- und vor allem des Judentums wurden durch die Wiederholungen auch nicht besser.
Alles in allem werde ich wohl auf wohlwollende 3 Sterne kommen.
 

Leseglück

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7. Juni 2017
543
1.272
44
67
Ich finde auch, dass der Roman insgesamt nicht funktioniert. Ich denke der Autor wollte eine witzige Parodie des Originalstückes aber auch eine ernsthafte, philosophische Auseinandersetzung mit dem literarischen Shylock schreiben. Jeweils für sich gab es gute Passagen sowohl im Sinne einer ironischen Beschreibung der High Society als auch im Sinne von philosophischen Diskussionen über das Jüdischsein, über Rache und Vergebung. Aber die lustige und die ernste Seite des Romans haben sich für mich nicht gegenseitig ergänzt sondern eher behindert.

Die Sprache von Howard Jacobson fand ich überdurchschnittlich gut, deshalb finde ich drei Sterne eigentlich zu wenig.
 

Bibliomarie

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10. September 2015
2.092
3.205
49
Ich bin zwiegespalten. Was wäre besser gewesen, denn Roman ohne Kenntnis der klassischen Vorlage zu lesen oder mit?
Ich glaube, ich hätte mich mehr darauf eingelassen, wenn ich nicht immer die Parallelen gesucht hätte. So hatte ich zu bestimmen Figuren eine Erwartung aufgebaut, die nicht eingelöst wurde.
Die Dialoge Strulovitch - Shylock haben mir gefallen, zumindest in weiten Teilen. Es ging ja um die immerwährende Glaubensfrage und den ebenfalls immerwährenden Antisemitismus. Wobei ich Strulovitch als die neuzeitliche Form von Shylock empfunden habe, der aber trotz aller Belehrungen die gleichen Fehler wie sein Vorgänger begeht. Aber lässt ihm die Gesellschaft überhaupt eine Wahl? Die Ausgrenzung Strulovitchs hat ja nicht erst seit Beatrices Affäre begonnen, schon sehr viel früher lässt ihn D'Anton spüren, dass er - egal wie reich, egal wie angesehen - einen Außenseiter der besseren Gesellschaft bleibt.

Über die Beschneidung haben wir nun genug diskutiert, ich glaube, das war einigen Mitlesern/innen auch etwas zu sehr in den Vordergrund gerückt.

Jedenfalls hat mir das Buch von Jacobson keine Lust gemacht, mich weiter mit dem Shakespeare Project zu beschäftigen.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
19.244
49.156
49
Jedenfalls hat mir das Buch von Jacobson keine Lust gemacht, mich weiter mit dem Shakespeare Project zu beschäftigen.
Doch, ich möchte gerade noch eins lesen! Manche werden richtig gut bewertet, während der Shylock recht schlecht wegkommt. Bewertungen sagen natürlich nicht immer etwas aus, einen Trend lese ich manchmal aber schon ab ;)
 

Literaturhexle

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2. April 2017
19.244
49.156
49
Ok, also ohne das Buch gelesen zu haben - sich Shakespeare als Messlatte zu nehmen, ist natürlich selbst mit Bookerprize ziemlich sportlich.
Wir haben ja an anderer Stelle schon mal darüber diskutiert, dass es bei der Schriftstellerei nicht nur um Inspiration geht, sondern sie auch ein Handwerk ist. Beim Hogarth Projekt handelt es sich ja um eine Auftragsarbeit: Namhafte Autoren wurden für ein Shakespeare Stück verpflichtet. Das muss man eben können, denn man ist in seiner Freiheit einerseits eingegrenzt, andererseits will man ja trotzdem Erfolg haben.
 
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Bibliomarie

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10. September 2015
2.092
3.205
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Doch, ich möchte gerade noch eins lesen! Manche werden richtig gut bewertet, während der Shylock recht schlecht wegkommt. Bewertungen sagen natürlich nicht immer etwas aus, einen Trend lese ich manchmal aber schon ab ;)

Ach sieh an, dann gibt es wohl doch einen gewissen Gleichklang bei den Bewertungen zu diesem Buch. Es war wohl Pech, dass das unser Einstieg in das Projekt war. Ich werde vielleicht mal schauen, was mich sonst noch interessieren könnte. Jeanette Winterson vielleicht.
 

MRO1975

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11. August 2018
1.538
3.981
49
48
Ich werde vielleicht mal schauen, was mich sonst noch interessieren könnte. Jeanette Winterson vielleicht.

Habe mir das gerade einmal angesehen.

Buchinformationen und Rezensionen zu Der weite Raum der Zeit: Roman von Jeanette Winterson
Kaufen >

Das klingt interessant für mich und die Besprechungen sind in der Tat viel besser. Da wäre ich dabei.

Ich hatte außerdem noch an dieses gedacht:

Buchinformationen und Rezensionen zu Die störrische Braut: Roman von Anne Tyler
Kaufen >
 

Bibliomarie

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10. September 2015
2.092
3.205
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Habe mir das gerade einmal angesehen.

Buchinformationen und Rezensionen zu Der weite Raum der Zeit: Roman von Jeanette Winterson
Kaufen >

Das klingt interessant für mich und die Besprechungen sind in der Tat viel besser. Da wäre ich dabei.

Ich hatte außerdem noch an dieses gedacht:

Buchinformationen und Rezensionen zu Die störrische Braut: Roman von Anne Tyler
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Anne Tyler wäre wirklich was, ich mag die Autorin ganz gerne.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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49
Beide klingen gut. Das erste würde auf booktube sehr gelobt. Leider finde ich das Video nicht.
Von Anne Tyler habe ich schon sehr Gutes gelesen. Das reizt mich auch sehr!
Es wäre echt schade, ohne weitere Prüfung von einem Buch auf das ganze Projekt zu schließen.
Der weite Raum der Zeit wird übrigens am Besten bewertet ;) (Nur für den Fall, dass wir die Wahrscheinlichkeit weiterer Frust-erlebnisse klein halten wollen...)
 
Zuletzt bearbeitet:

Sassenach123

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27. Dezember 2015
4.294
10.424
49
49
Um ehrlich zu sein, hätte ich den Roman nicht beendet, wenn ich ihn nicht hier in der Leserunde besprechen müsste.
Shylock und Strulovitch haben mir zu Anfang gut gefallen, doch die Dialoge der beiden traten durch die Beschneidung später in den Hintergrund.
Anhand des Klappentextes habe ich persönlich andere Erwartungen gehabt. Die Handlung folgt zwar dem was angekündigt wurde, aber die Umsetzung dessen war überhaupt nicht meins.
Als Nicht-Kenner des Stücks habe ich nicht erkennen können, wo die Parallelen sind, aber das empfand ich nicht als tragisch.
Habe aber definitiv das Gefühl, dass die Umsetzung ins moderne für mich so nicht funktioniert
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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@Sassenach123
Ich bin in der Bewertung des Buches ganz bei dir! Die Kenntnis des Originals mag hier und da erhellend gewesen sein, an anderer Stelle war die Rätselei jedoch stark zu spüren, so dass ich auch glaube, dass es egal ist, ob man den Kaufmann gelesen hat oder nicht.
Das Buch war sperrig - für uns alle.
"Die Finkler-Frage" von Jacobson hst 2010 den Booker preis gewonnen. Diesem Buch möchte ich noch näher treten. Aber nicht sofort;)
 
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