Rezension Rezension (5/5*) zu Die Glücklichen: Roman von Kristine Bilkau.

Anjuta

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Buchinformationen und Rezensionen zu Die Glücklichen: Roman von Kristine Bilkau
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Die Herausforderung des Scheiterns

In “Die Glücklichen” erzählt Kristine Bilkau die Geschichte einer jungen Familie, die es durch interessante Berufe in die sichere Schicki-Micki-Welt der gehobenen Mittelschicht geschafft haben. Dort haben sie sich eingerichtet mit Biolebensmitteln, Espresso, Bistros und Babysitter.
Die junge Mutter Isabell beginnt nach einer knappen Babypause wieder mit ihrer Arbeit als Cellistin in einem Musicalorchester und muss feststellen, dass ihr Körper und/oder ihre Psyche diese (Doppel-)Belastung wohl nicht zulassen will/wollen. Ein Zittern der Hand zwingt sie zur Aufgabe – zunächst zur Krankschreibung, dann zur Kündigung.
Ihr Mann Georg arbeitet als Journalist bei einer angesehenen Zeitung, die dem Zeitungssterben zum Opfer fällt und ihre Angestellten auf die Straße der Arbeitssuche schwemmt. Die anschließende Suche nach einer neuen Tätigkeit bleibt für lange Zeit erfolglos. Und so ist in dem sicheren Leben in einer gestylten Altbauwohnung einer angesagten Großstadt plötzlich alles in Frage gestellt. Etwas naive Sparversuche (Discounter statt Bioladen), der Plan zum Umzug aufs Land, all das sind Ansätze zur Lösung des Problems, die aber deutlich machen, dass das Aufgeben von gewissen Gewohnheiten vor allem von Isabell, aus deren Sicht der Roman erzählt wird, weit mehr bedeuten würde als eben nur eine gewisse Veränderung im Leben. All das Aufgeben von Gewohntem bedeutet für sie vielmehr das Annehmen eines Scheiterns und einer Lebensniederlage. Ein Abgleiten in eine Welt, die nicht die ihre ist und in der sie von Unsicherheit um geben sind.
<blockquote> „Etwas steht auf der Kippe, und es hat nicht nur damit zu tun, dass sie beide keine Arbeit haben. Er hat seinen Instinkt verloren, sein Gespür dafür, wie ihre Situation wirklich ist. Wie zuversichtlich darf er sein? Wie skeptisch muss er sein? Beschließt er an die Zukunft zu glauben, beschleicht ihn die Befürchtung, seine Hoffnung wäre nur eine Form der Verdrängung. Malt er sich alle möglichen zukünftigen Probleme genau aus, sicherheitshalber, stellt er seine Skepsis wieder in Frage. Denn diese ständige Vorsicht ist so ermüdend.“ </blockquote>
FAZIT
Kristine Bilkau vermag es, die Gemütslage von Isabell und Georg sehr präzise und berührend zu beschreiben. Sie hat ein Thema aufgegriffen – möglicher Niedergang in der Mittelschicht -, das ich für durchaus prägend für unsere Zeit halte und deshalb nach literarischer Gestaltung suchte. Der Umgang mit Niederlagen ist für jeden Menschen etwas Quälendes, etwas, was nicht leicht von der Hand geht. Es ist Bilkaus Verdienst, dieses Quälende literarisch ansprechend in dem Roman gestaltet zu haben. Sie zeigt kleine Erfolge und Fortschritte bei ihren Protagonisten, ohne ihnen den Durchbruch zurück nach oben zu gewähren oder zu gönnen. Und verlangt so von ihren Lesern ebenfalls, sich mit dem Umgang mit persönlichen Niederlagen zu beschäftigen und sie als Option in ihrem Leben zu erkennen.
Ich habe das Buch mit steigendem Interesse gelesen und wünsche ihm viele weitere Leser: 5 Sterne!


von: Michael Lichtwarck-Aschoff
von: Ayanna Lloyd Banwo
von: Arthur Schnitzler
 
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2. April 2017
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Der Umgang mit Niederlagen ist für jeden Menschen etwas Quälendes, etwas, was nicht leicht von der Hand geht. Es ist Bilkaus Verdienst, dieses Quälende literarisch ansprechend in dem Roman gestaltet zu haben.
Ich bewundere schon wieder deine Rezi, die so wunderbar prägnant den Inhalt auf den Punkt bringt :)
Hat dich die Protagonistin nicht auch ein wenig genervt, weil sie immer am Alten festhalten wollte (was sie sich nicht mehr leisten konnte) und den Änderungsvorschlägen ihres Mannes gegenüber ziemlich resistent gegenüber war?
Auf mich wirkte sie "schicki-micki"....
Die Probleme wären mit einem besseren Willen vielleicht lösbar gewesen.
Die Autorin verfolge ich aber ebenfalls weiter, der Stil gefällt mir gut.