Lesetipp mit Iris Radisch: "Der Mann schläft"

supportadmin

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29. Oktober 2013
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Auf dem Youtube-Videokanal von Zeit Online bespricht Iris Radisch "Der Mann schläft" von Sibylle Berg.

 

parden

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Seit "Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot" habe ich beschlossen, nie nie nie wieder ein Buch von Sibylle Berg zu lesen. Davon lasse ich auch nicht ab.

Mag hier jemand Bücher von ihr?

Zu o.g. Buch habe ich seinerzeit auch eine "Buchgeschichte" geschrieben:

Das hat noch kein Buch mit mir gemacht...

Hochgelobt wurde Sibylle Berg mit ihrem Werk in vielen Rezensionen. So sehr, dass ich neugierig wurde und das Buch schließlich in den Händen hielt.

Aber: es hatte einen völlig anderen Effekt als ich erwartet hatte.
Statt mich darüber zu amüsieren, hat es mich tief nach unten gezogen. Dieses kleine, schmale, unscheinbare Büchlein - es hatte eine deratige Wirkung auf mich, dass ich es zwischendurch kaum aushielt.

Als erstes schonmal verblüffend: für 180 Seiten, und dicker ist das Buch nicht, benötige ich normalerweise maximal 2 Tage. Nicht so dieses Mal. Eine knappe Woche habe ich mich da hindurch gequält. Keine 30 Seiten pro Tag...

Was also war daran so schlimm? Dieses Buch ist für mich weder komisch noch gesellschaftskritisch noch passt es in eine sonstige Schublade. Für mich ist es tatsächlich die personifizierte Hoffnungslosigkeit.
Es gibt keine Träume. Es gibt keine Ideen, die notwendig wären. Es gibt kaum noch etwas, an das man glauben kann. Alles ist Mittelmaß, sinnlos, trostlos. Diese Botschaft springt den Leser auf jeder einzelnen Seite an. Und über allem steht die EINSAMKEIT.

Bis zur Hälfte des Buches hat alles in mir dagegen rebelliert. So ist das Leben nicht! Auf manchen Seiten ist mir buchstäblich schlecht geworden - wurde es zu schlimm, habe ich beim Lesen wieder eine Pause eingelegt. An manchen Stellen kroch mir das Entsetzen den Rücken hoch, verspannte mir Nacken und Schultern - und ließ mich den Rest des Tages nicht mehr los...

Einzig meine Hoffnung, dass die Autorin letztlch doch ein Einsehen haben möge, ließ mich das Buch weiterlesen. Doch es wurde nicht besser.
Erschreckend war dann der einsetzende Vergleich mit eigenem Erleben. Ein Buch wie eine Gehirnwäsche?

Beobachtungen am Wochenende auf einem Straßenfest. Es war nicht viel los bei dem regnerischen Wetter. Einsamkeit an den Ständen, leere Blicke, gepflegte Langeweile. Wie in dem Buch. Einzig die Kinder wehrten sich gegen die Einsamkeit - aber selbst hier: oft genug spielte auch eines für sich alleine.
Ablenkung nennt die Autorin als einzige Möglichkeit gegen Einsamkeit, Langeweile und das Sattsein vom Leben. Ablenkung z.B. durch ein Straßenfest? Gelangweilte, desinteressierte Gesichter allenthalben, schlurfender Gang, ausbleibende Gespräche auch bei einem Nebeneinander...

So muss auch die Liebe eine Illusion sein, eine chemische Reaktion, so die Aussagen im Buch. Wir verlieben uns nie in Menschen, sondern in komplizierte Ideen. Und nichts davon ist auf Dauer?
Gestern dann ein Telefonat mit einem lieben Freund, bei uns beiden seit ein paar Wochen Schmetterlinge im Bauch, im Kontakt miteinander. Doch plötzlich ein Beobachten. Erst eine kleine Irritation. Dann ein Grübeln: Ist er wirklich an mir interessiert? Welche Idee, welches Wunschdenken inspiriert jeden einzelnen von uns? Eine wahrlich erschreckende Gedankenreise...

Ich habe das Buch tatsächlich zu Ende gelesen. Verrückt, wird nun so mancher sagen. Aber ich hatte immer die Hoffnung, dass es zumindest nicht hoffnungslos endet. Vergeblich.
Nach dem Zusammenklappen hinterlässt mich das Buch - leer. Und einzig in dem Trost, dass ich ein zutiefst positiv denkender Mensch bin und weiß, dass dieser erschreckende Effekt nicht von Dauer sein wird.

So etwas hat jedenfalls bislang noch kein Buch mit mir gemacht...
 

Helmut Pöll

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Mir persönlich sind auch Bücher lieber, die einen nicht rat- und hoffnungslos zurücklassen. Wahrscheinlich geht es vielen so.

Dennoch glaube ich nicht, dass es die primäre Aufgabe von Literatur ist die Leser aufzuheitern. Ich selber habe beispielsweise vor zwei Monaten
"Anna Karenina" zu Ende gelesen. Das Buch ist toll, auch wenn die persönliche Geschichte von Frau Kerenina darin fürchterlich ist und auch fürchterlich endet.

Oder nimm "Romeo und Julia". Das ist ja nun eigentlich eine ganz fiese, gemeine Geschichte, die den beiden da widerfährt. Trotzdem haben wir uns das gemerkt. Wenn Romeo und Julia geheiratet, fünf Kinder bekommen und glücklich bis ins hohe Alter gelebt hätten, dann würde die Geschichte heute keiner mehr kennen.
 

parden

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Offensichtlich kennst Du o.g. Buch nicht. Es geht NICHT darum, dass etwas nicht mit Happy End endet - darauf lege ich gar keinen Wert. Es ist dieses Durchdrungensein von Hoffnungslosigkeit, mit jeder Zeile. Ätzend. Für mich jedenfalls.
 

Helmut Pöll

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Offensichtlich kennst Du o.g. Buch nicht. Es geht NICHT darum, dass etwas nicht mit Happy End endet - darauf lege ich gar keinen Wert. Es ist dieses Durchdrungensein von Hoffnungslosigkeit, mit jeder Zeile. Ätzend. Für mich jedenfalls.

Doch, ich kenne das Buch, @parden , habe es aber anders empfunden als Du. Ich mag die scharfe Beobachtungsgabe von Sibylle Berg, was nicht heißen
soll, dass mir die gestörten Charaktere sympathisch wären. Im Gegenteil. Aber ich musste trotzdem stellenweise lachen. Ich fand diesen verzweifelten Egoismus der Portagonisten ziemlich gut getroffen.

Aber das Buch polarisiert natürlich. Entweder man kann etwas damit anfangen, oder eben gar nicht. Zumindest war's in meinem Freundeskreis so.