Selten einen so fesselnden Einstieg in ein Buch erlebt. Die Geschichte ist scheinbar ganz anders als die beiden bisherigen Vesaas-Romane. Ich bewundere ja immer Autoren, die viele verschiedene Themen bedienen können.
Wir befinden uns in einem Schweinestall. Idyllisch empfinde ich ihn nicht. Er wirkt schmuddelig auf mich, auch angesichts der Fliegen, die aber ja zu einem Hof dazu gehören. Zwei Mutterschweine säugen ihre Kleinen. Das Mädchen Helga beaufsichtigt die Niederkunft einer Jungsau: alles läuft wie vorgesehen, viele kleine Ferkel werden geboren. Aber:
Dennoch lauerte mitten in dieser schläfrigen Ruhe etwas Bedrohliches.
Auch das Mädchen fühlt sich nicht glücklich. "Es müsste anders sein."
Das Gehöft wirkt unglaublich plastisch auf mich. Ich kann mir alles sehr gut vorstellen - vielleicht auch, weil ich ein Kind vom Lande bin. Mir gefallen die Details, die Schilderung der Tiere und ihres Verhaltens, der Umgebung.
Die Ankunft des Sauschneiders bringt die gewohnten Abläufe aus dem Tritt. Die Muttersauen werden durch Fütterung abgelenkt, der Eber wird unruhig, das Quieken der männlichen Ferkel bringt die Sauen in Wallung (Schweine sind nicht sehr stresstolerant). Sie geraten in Wut, zertrümmern die Umzäunung, gehen aufeinander los, rennen sogar ins Haus, um schließlich im maroden Brunnen in den Tod zu stürzen. DIeses ganze Chaos wird toll beschrieben!
Die junge Sau kommt durch die Unruhe gleichfalls aus dem Trott und frisst ihre Ferkel (ein Verhalten, das bei Sauen tatsächlich vorkommt). Der Verlust dieser drei kapitalen Tiere wird einen ordentlichen Verlust für die Besitzer bedeuten...
Eine unglückliche Kettenreaktion. Wir lesen "Unterwelt" und "Abgrund".
Doch das ist nur ein Handlungsstrang. Parallel dazu taucht ein Unbekannter auf, der sich Andreas Vest nennt. Er ist traumatisiert, streift ruhelos von einem Ort zum anderen, irgendetwas (ein Ruf) hat ihn auf die Insel verschlagen. Er hat zunächst kein Gepäck, plant keine Abreise und wirkt auf die Insulaner stattlich, hilfebedürftig und geheimnisvoll. Bei seinem Rundgang lernen wir einige Bewohner kennen.
- Haug und Dal (die bei Bier ihren freien Tag schlechtgewissig genießen)
- Rolv Li (20) mit seiner Freundin Else
- Kari Nes (die ihre Familie an die See verloren hat und seither geistesverwirrt scheint)
- Jens und Bergit, die Schweinezüchter, mit Tochter Helga
- Karl und seinen Vater beim Bäume Roden
- Mari müsste Karls Frau sein und Inga (17) deren Tochter und Rolvs Schwester
Wir erfahren, dass Karl Li und Andreas zusammen die brennende Fabrik überlebten, beide das Unglück aber unterschiedlich verwunden haben.
Daneben gab es einen Vater-Sohn-Konflikt zwischen Karl und Rolv sowie gegenwärtig einen Beziehungskonflikt zwischen Else und Rolv, in deren Mittelpunkt Rolvs Wunsch stand/steht, die Insel zumindest für eine Zeit zu verlassen. Offenbar hat er bereits ein Studium begonnen, Else möchte Rolv aber zum Bleiben bewegen. Sie ist sich seiner Gefühle nicht sicher.
Die Handlung ist auf einer Insel angesiedelt. Es leben nicht viele Menschen dort, jeder kennt jeden. Andreas ist der "Eindringling". Die rote Scheune sorgt für Spott, scheint aber auch ein imposantes Gebäude zu sein.
Haug und Dal feiern die Insel, wie gut dort alles ist. Da erscheint die todtraurige Kari, etwas später erleben wir das Schweinegrauen auf dem Li-Hof... Jede dieser Szenen empfinde ich als sehr eindringlich und intensiv. Der anfängliche Frieden hat nicht lange gehalten. Ich habe das Gefühl, dass man in diesem Roman noch manches wird entdecken können, was nicht direkt auf der Oberfläche zu sehen ist.
Es erzählt ein auktorialer Erzähler. Aus der Erzählweise gehen aber auch die Gefühle der beteiligten Figuren hervor, wie Andreas zum Beispiel auf die anderen wirkt. Sehr einnehmend und fesselnd das Ganze.
Exposition gelungen, ich lese gespannt weiter!