4. Leseabschnitt: Viertes Stück (Seite 183 bis 228)

GAIA

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Ich muss zugeben, dass mir erst mit dem "Vierten Stück" aufgefallen ist, dass das Buch ja in den vier Jahreszeiten erzählt wird. Nachträglich fallen mir wieder die Hinweise auf, aber erst mit dem ersten Satz dieses Abschnitts hat es Klick gemacht.

Was halte ich nun von diesem Abschnitt, dem Ende des Romans? Hier gibt es doch noch eine kleine Einsichtsfähigkeit des Erzählers. Nachdem er (mal wieder) geschenktes Geld zurückgeben will, nimmt er es doch bzw. gibt es an die Vermieterin. Aber sein unendliches Hadern, ob er es nicht doch wiederbeschaffen muss, es aber dann ja nicht exakt derselbe Schein ist. :rolleyes:
Wenigstens denkt er auf Seite 221: "Ständig musste ich mir für alles Mögliche zu gut sein, musste hochnäsig den Kopf schütteln und Nein danke sagen." Na endlich! ;) Allerdings macht er jetzt etwas morlaisch sehr Zweifelhaftes, indem er der Kuchenfrau den Kuchen "wegklaut" und fadenscheinig seine Argumente darlegt. Mal wieder tut er hochnäsig, wenn er ihr mit der Polizei droht. Er bringt nun also potentiell unschuldige Leute in Gefahr, wo er doch über den gesamten Roman hinweg, sein Geld und Habseligkeiten an andere verschenkte.
Auch in der Romanhandlung tut sich dann auch mal etwas Neues auf, der Erzähler entschließt sich, dann doch einfach auf einem Schiff anzuheuern und gut ist. Hätte er auch ein Jahr früher darauf kommen können. Aber klar, dann wäre nicht der gleiche Roman am Ende rausgekommen.
 
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Christian1977

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8. Oktober 2021
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Ich muss zugeben, dass mir erst mit dem "Vierten Stück" aufgefallen ist, dass das Buch ja in den vier Jahreszeiten erzählt wird. Nachträglich fallen mir wieder die Hinweise auf, aber erst mit dem ersten Satz dieses Abschnitts hat es Klick gemacht.
Das würde ich anzweifeln. Meiner Meinung nach spielt der Roman nur in der dunklen Jahreszeit Herbst und Winter.

Auf (meiner) Seite 5 heißt es "Der Herbst war gekommen, die feine, kühle Jahreszeit...".

In Teil zwei heißt es "einige Wochen später", in Teil drei fällt "Regen und Schnee" und dann kommt der Winter.
 

Christian1977

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Im vierten Abschnitt hat mich dann doch überrascht, dass der Roman seinen Hauptschauplatz von den Straßen Kristianias in die Wirtsstube verlegt und die recht seltsamen Gastgeber:innen genauer unter die Lupe nimmt. Der Ich-Erzähler zeigt sich auch hier als genauer Beobachter, seinem "Bewusstseinsstrom" entgeht nichts. Weder der gepeinigte Greis, noch der angespuckte Junge.

Das Verhältnis des Protagonisten zum Geld entwickelt sich zumindest ein wenig, wie @GAIA es schon herausarbeitete. Im Hinblick auf die Arbeit ist sein Kopf wieder einmal voller wirrer Ideen, und es gelingt ihm einfach nicht, irgendetwas zu einem runden Ende zu bringen. Diese Mittelalter-Geschichte fand ich wieder ungemein komisch.

Das Ende ist hoffnungsvoller, als ich es letztlich erwartet habe. Zwar wissen wir nicht, wie es dem Ich-Erzähler auf dem Schiff und in der neuen Heimat ergehen wird, aber immerhin wagt er mal einen komplett neuen Schritt als ständig herumzutigern. Ich hätte erwartet, dass sein Ende entweder der Hungertod oder der komplette Wahnsinn sein würden.
 

GAIA

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Das würde ich anzweifeln. Meiner Meinung nach spielt der Roman nur in der dunklen Jahreszeit Herbst und Winter.
Ach guck. Dann habe ich mir eingebildet, dass es warm war und er schwitzte. Wenn ich es recht überlege, war es wahrscheinlich so, dass er wegen den vegetativen Symptomen des Hungerns geschwitzt hatte. Okay, ich nehme alles zurück! :cool:
 

Barbara62

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Mir hat der letzte Abschnitt gut gefallen, weil zumindest eine kleine Weiterentwicklung zu sehen ist. Die Stelle auf S. 221 hatte ich mir auch notiert, @GAIA zitiert sie. Zusammen mit der Veränderung seines Denkens kriegt er auch endlich die Kurve und heuert auf einem Schiff an. Dort wird er zwar nicht Schreiben können, aber immerhin zu essen bekommen.

Wir erfahren in diesem Roman weder etwas über die Vergangenheit des Ich-Erzählers noch über die Lebensumstände in Kristiania zu dieser Zeit (Ende des 19. Jahrhunderts?). Beides hätte mich sehr interessiert, war aber offenbar nicht das Konzept Hamsuns.

Ein Wort noch zum Umschlag: Ich finde ihn absolut genial. Das Schleifpapierartige passt zum Erzählten, genau wie die Tatsache, dass es nur völlig schmucklose Schrift gibt. Ich bin begeistert. Hätte das Buch auf einem Tisch in der Buchhandlung gelegen, ich hätte es garantiert in die Hand genommen. Nur ein Lesebändchen vermisse ich.
 

parden

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So, durch. Bis zum Schluss konnte ich nichts Komisches an dem Buch finden, das Muster blieb im Wesentlichen dasselbe, nur hat er am Ende kurzentschlossen auf einem Schiff angeheuert - er verschwindet ins Nirwana. Und für mich kann er da auch gerne bleiben. Es scheint bei dem Hauptcharakter viele Parallelen zum Autor selbst zu geben, und auch wenn dieser womöglich der "Erfinder" des Bewusstseinsstroms ist und er damit zur Weiterentwicklung der Literatur beigetragen hat - nix für mich.

Ich fand das Nachwort ehrlich gesagt (für mich) auch nicht erhellend, sondern am ehesten noch sehr gewollt intellektuell-geschraubt, stellenweise ebenso unverständlich (auf eine andere Weise) wie den Roman davor. Warum muss ich hier an "Hurz" von Hape Kerkeling denken? Und wenn der Autor nur alle an der Nase herumführen wollte? Das wird ihn niemand mehr fragen können, auch wenn die Nachwort-Verfasserin ambitioniert meint: "Hunger, bis heute sein bestes Werk" (S. 246) - da wird wohl nichts mehr nachkommen. Interessant fand ich nur die Verbindung zu Astrid Lindgren und ihrer Pippi Langstrumpf, die womöglich nur deshalb so viele Lügengeschichten auftischt, weil die Autorin damals so begeistert von Hamsuns skurrilem Werk war. Na, dann - hatte der Roman doch eine positive Auswirkung.
 

Literaturhexle

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Das Ende ist hoffnungsvoller, als ich es letztlich erwartet habe
Ist es hoffnungsvoll? Ein völlig entkräfteter Mann heuert auf einem Segler an, auf dem es nichts anderes gibt als schwere Arbeit, der er nicht gewachsen sein dürfte. Den Schlussakkord verstehe ich genau so: "nass vor Fieber und Erschöpfung" - für mich steht da der Tod vor der Tür. Allerdings kenne ich das Nachwort noch nicht.
war es wahrscheinlich so, dass er wegen den vegetativen Symptomen des Hungerns geschwitzt hatte.
Oder so. Aber bislang war noch keine Rede vom Schwitzen? Er hat vermutlich arbeiten müssen. Körperliche Arbeit wird er nicht kennen, dadurch schwitzt er schnell.
Ich finde ihn absolut genial. Das Schleifpapierartige passt zum Erzählten, genau wie die Tatsache, dass es nur völlig schmucklose Schrift gib
Der Einband gefällt mir auch sehr.
 

Literaturhexle

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Die Szenen sind neue, das Verhaltensmuster unseres Protas ist wiederkehrend. Wie sehr hätte er die 10 Kronen gebraucht?! Aber nein, wieder gibt er sie aus der Hand. Er handelt auch in der Not völlig unvernünftig und cholerisch.

Die Dame geht mit dem Herzog aus. Vielleicht hat sie dadurch Geld bekommen. Vielleicht hat sie sich sogar prostituiert, um ihm zu helfen? Sie sagte ja bei seinem Besuch, dass sie auch sehr arm sei.

Für die Wirtin habe ich Verständnis. Sie kann den Schreiber nicht ewig unentgeltlich wohnen lassen. Man bekommt eine gute Charakterstudie dieser einfachen Leute: der Vater spielt, der Alte wird von den gelangweilten Kindern gepeinigt, nur die Mutter arbeitet. Warum um alles in der Welt treibt sie es mit dem Seemann? Warum schaut der Gatte zu und amüsiert sich? Geht es um Geld? Sehr kurios!
Irgendwie hat sie aber auch eine gute Seele, wie der Prota selbst feststellt.

Man spürt die genaue Beobachtungsgabe des Erzählers. Ich kann mir die verschiedenen Szenarien gut vorstellen. Irgendwie ist das faszinierend.
 

GAIA

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Warum um alles in der Welt treibt sie es mit dem Seemann? Warum schaut der Gatte zu und amüsiert sich? Geht es um Geld? Sehr kurios!
Als der Erzähler in die Unterkunft einzog wurde kurz doch kurz vorher gesagt, dass der Name der Unterkunft eine schöne Art sei zu sagen, es handle sich um ein Stundenhotel mit Prostitution (genaue Wortwahl fällt mir gerade nicht mehr ein). Somit nehme ich an, dass die Ehefrau immer mal wieder den Männern, die dort ein Zimmer nehmen, zusätzliche Dienste anbietet. Warum allerdings dieser Tunichtgut von einem Ehemann auch noch feixend dabei zusieht und sich scheinbar aufgeilt daran: Absolut keine Ahnung! Vielleicht kann er ja auch deshalb den ganzen Tag auf dem Sofa rumlümmeln, weil er neben seinem Beruf als "Ehemann" auch noch ihr Zuhälter ist?

Die Dame geht mit dem Herzog aus. Vielleicht hat sie dadurch Geld bekommen. Vielleicht hat sie sich sogar prostituiert, um ihm zu helfen?
Daran hatte ich nun wieder bisher überhaupt nicht gedacht. Ich hätte es so gedeutet (ohne, dass genaueres dazu im Text gesagt wird), dass sie sich den Herzog geangelt hat und jetzt einfach mehr "Haushaltsgeld" (oder so) zur Verfügung hat und dem Erzähler davon etwas abgibt. Arm war sie vielleicht im Vergleich zu einem herzog, aber arm sicherlich nicht im Vergleich zu unserem Erzähler.
Übrigens: Hat eigentlich unser Erzähler seiner Angehimmelten je im Buch gesagt, wo er eine Unterkunft hat? Ich hatte mich an der Stelle nämlich gewundert, wie der Umschlag mit dem Geldschein überhaupt seinen Weg zu ihm gefunden hat. Aber in diesem Buch scheint ja vieles nicht schlüssig, da erzählt von einem geistig verwirrten Mann... ;)
 

Literaturhexle

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eine schöne Art sei zu sagen, es handle sich um ein Stundenhotel
Sehr aufmerksam. Dann ist die Dame dafür bekannt, scheint aber ihre Freude daran zu haben.
weil er neben seinem Beruf als "Ehemann" auch noch ihr Zuhälter ist?
Zumindest könnte das Geld dann ausreichen.
Hat eigentlich unser Erzähler seiner Angehimmelten je im Buch gesagt,
Wüsste ich jetzt nicht. Aber die beiden sind sich ja immer wieder begegnet. Vielleicht hat Ylalali ihn auch mal verfolgt, um es herauszufinden. Das würde irgendwie passen. Bei der zweiten Begegnung stand sie doch auch am Tor seiner Behausung, meine ich.
 

ulrikerabe

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Nur ein Lesebändchen vermisse ich.
Ja!
Allerdings macht er jetzt etwas morlaisch sehr Zweifelhaftes, indem er der Kuchenfrau den Kuchen "wegklaut" und fadenscheinig seine Argumente darlegt.
so eine dreist geniale Idee, wie er da vorgeht

Der Erzähler braucht die Anerkennung wie einen Bissen Brot. Und mit beidem kann er nicht vernünftig umgehen
Ist es hoffnungsvoll? Ein völlig entkräfteter Mann heuert auf einem Segler an, auf dem es nichts anderes gibt als schwere Arbeit, der er nicht gewachsen sein dürfte. Den Schlussakkord verstehe ich genau so: "nass vor Fieber und Erschöpfung" - für mich steht da der Tod vor der Tür.
Sehe ich auch so. Fieber und Erschöpfung und der Abschied von der hell erleuchteten Stadt. Das geht nicht gut aus.
 

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So, nun bin ich auch durch mit dem Buch und ähnlich angetan davon wie bei der Erstlektüre vor vielen Jahren. Mir gefielt die Tiefe in der Charakterzeichnung des Protas, gerade wegen all der Widersprüche und Ambivalenzen. Insgesamt scheint es mir auch schlüssig, dass man nicht so einfach wieder hoch kommt, wenn man einmal so richtig abgestürzt ist. Aber um das zu verstehen, glaube ich fast, muss man dem Abgrund selbst mal sehr nahe gekommen sein. Wir sind in der Regel viel zu vernunftbasiert und zu stark in einem dualistischen Denkmodus, um uns auf eine solche komplette Auswegslosigkeit einzulassen. Von außen sieht man vielleicht Wege, aber der Prota sieht sie offenbar nicht oder fidnet sie eben für sich nicht geeignet.
Ich würde das Ende jetzt auch nicht zu optimistisch sehen, es heizt vielmehr die Fantasie des Lesers an, wie der weitere Schicksalsweg aussehen könnte.

Das Buch finde ich ebenfalls haptisch sehr interessant und hochwertig gestaltet. Toll! In den letzten Jahren habe ich das Gefühl, die Verlage werden in diese Richtung immer kreativer.
 

Literaturhexle

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Aber um das zu verstehen, glaube ich fast, muss man dem Abgrund selbst mal sehr nahe gekommen sein.
Da hast du mit Sicherheit Recht, aber es ist schon seltsam, dass er das Wenige, zu dem er in seiner Not kommt, sofort wegschenken oder "verleihen" muss. Das halte ich für unrealistisch und es scheint mehr dem Plot geschuldet zu sein. Wenn das Elend so bohrend ist, ist man sich eigentlich selbst der Nächste.