7. Leseabschnitt: Buch Drei, Zweiter Teil (Seite 393 bis 441/Ende)

GAIA

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27. Dezember 2021
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Oha, völlig unerwartet findet sich hier noch kein Kommentar von @Circlestones Books Blog, auf dem ich ganz frech aufbauen kann. :p

Zunächst Musimbwas Email, die bei der Besprechung dieses letzten Leseabschnitts bedroht ist, unterzugehen, da man ja gern über den Abschluss des Buches sprechen möchte. Diese Email jedenfalls ist ja eigentlich - wie so viele Einzelgeschichten in diesem Buch - eine Kurzgeschichte (ein Essay, wenn man die Erörterungen von Musimbwa über das Geschehen im Dorf hinaus mit hinzuzieht) für sich. Ich bin davon wirklich betroffen. Es ist ein weiteres Puzzlestück. Aber keines, welches zur Geschichte von Elimane beiträgt, sondern eines, welches zur Geschichte der afrikanischen Völker beiträgt. Denn natürlich sind die Grausamkeiten aus so vielen Bürgerkriegen auf dem Kontinent präsent, bis heute. Und sie gehen bis heute weiter. Zum Teil einfach "nur" aus befeindeten Volksgruppen heraus, aber eben auch als Folge der Kolonialisierung, des Ländergrenzenziehens auf dem Reißbrett, ohne gewachsene Zugehörigkeiten zu Volksgruppen zu beachten. Und Musimbwa als ein Schriftsteller, der tatsächlich in Frankreich Erfolge errungen hatte, jetzt aber in seine Heimat zurückkehrt, um dort weiterzuarbeiten. An sich, an seiner Literatur, am Dorf, an diesem schicksalhaften Brunnen. Das finde ich stark.

Und als Gegensatz dazu Diégane, der nach all dem zurück gehen wird nach Paris. Soll heißen: Es gibt nicht die eine Pauschallösung für alle.
Zunächst werden ein paar Leerstellen in Elimanes Geschichte ausgefüllt. Fast etwas stolz war ich beim Lesen zu erfahren, dass Elimane tatsächlich in Südamerika 30 Jahre lang den SS-Mann gejagt hat, der Charles auf dem Gewissen hat. Elimane scheint, genau wie O., diese Gabe gehabt zu haben. Er war Seher, aber konnte auch mit den Geistern kommunizieren, sie verfolgen und im Zweifel Menschen töten.

Mit der Vorhersage, dass Diégane kommen würde, erwartete ich einen größeren Knaller zum Schluss des Buches. Aber ich bin nicht enttäuscht, wie es ausgegangen ist, da dieses "Dahinplätschern". ohne literarischen Paukenschlag, meines Erachtens wieder zum Arbeitsmuster Sarrs passt. Das war auf inhaltlicher Ebene passiert, passiert auch auf der stilistischen. So wie es von Elimane kein zweites, herausragendes Buch gibt, gibt es für uns nicht "die" knallige Abschlussszene. Sondern einen Epilog, der uns noch kurz und knapp berichtet, wie es nach der ersten Nacht im Dorf mit Diégane weitergeht. Das finde ich insgesamt stimmig zum gesamten Buch.
 

Circlestones Books Blog

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28. Oktober 2018
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Wienerin auf Rügen
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Der letzte Abschnitt schließt viele Kreise, baut noch eine kurze, neue Geschichte ein, ein weiteres der endlos langen Liste der Schicksale Afrikas, und die Entscheidung von Diéganes Freund Musimbwa, nicht nach Frankreich zurückzukehren. Es ist ein leiser Abschluss dieses großartigen, aber immer gleichzeitig starken und leisen Romans. Ich hatte einige Ideen und war neugierig, doch dieses Ende passt für mich perfekt.
 

petraellen

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11. Oktober 2020
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Dieser letzte Abschnitt beginnt mit dem erschüttersten Brief an Diégane Latyr Faye von seinem Freund Musimbwa. Musimbwa ist in sein Land, der Demokratischen Republik Kongo, zurückgekehrt in sein Brunnenloch, das für ihn als Symbol der Gräueltaten, des Massakers steht. Als Kind versteckt in dem Brunnenloch, konnte er den Tod seiner Eltern und das Massaker nicht sehen, aber hören. Ein Offizier, der Tod in Person, hat ihn gefunden aber verschont, weil das Schicksal des Offiziers ähnlich des Jungen war. Nicht aus Mitleid, sondern weil er wußte, die Brutalität wird Musimbwa lebenslänglich verfolgen. Er wird das, was er gehört hat, die Schreie seiner Eltern, die Leichen, die er danach gesehen hat, nie, nie vergessen.


Er sitzt nun wieder in seinem Loch und hofft, dass Diégane es schafft, das Geschehen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Das Buch von Elimane hat es nicht geschafft, doch es muss weitergehen.


Wir haben bisher im Roman von Elimane nie näheres vom Inhalt erfahren, doch dies scheint ein Teil davon zu sein.


Spätesten hier wird klar, dass es nicht darum geht "sich den Werten des Westens zu unterstellen", sondern es geht darum aufzurütteln, hinzuschauen, was passiert ist. Es geht nicht um Plagiate, sondern es geht um das, was bereits geschrieben wurde, wieder hervorzuholen und Ohren und Augen (Bilder) transparent zu machen.
 
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Christian1977

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8. Oktober 2021
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Fast etwas stolz war ich beim Lesen zu erfahren, dass Elimane tatsächlich in Südamerika 30 Jahre lang den SS-Mann gejagt hat, der Charles auf dem Gewissen hat.
Ich war erstaunt darüber, dass dieser Punkt erst so kurz vor Schluss angesprochen wird, weil ich es bei der "Buchzeit" so verstanden hatte, dass diese Rache ein zentrales Thema sei. Wahrscheinlich war sie es auch, aber eben nicht für den Roman, sondern für Elimane selbst. Wer das bei der "Buchzeit" verraten hatte, weiß ich leider nicht mehr. ;)
Aber ich bin nicht enttäuscht, wie es ausgegangen ist, da dieses "Dahinplätschern". ohne literarischen Paukenschlag, meines Erachtens wieder zum Arbeitsmuster Sarrs passt.
Ich fand das Ende auch gut. Letztlich ist es ja auch eine Art Dekonstruktion des Mythos Elimane. All das, was Diégane letztlich erwartet hatte, gab es für ihn gar nicht zu bestaunen. Zwar scheint Elimane ein ungewöhnlicher und besonderer Mensch gewesen zu sein, doch in der Literatur eher ein "One-Hit-Wonder". Das fand ich überraschend und gelungen, weil ich dem Elimane-Hype zuvor ohnehin nicht so folgen konnte.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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In meinen Augen findet der Roman in diesem letzten Abschnitt ein versöhnliches Ende - für uns Leser:innen, aber auch für Diégane selbst.

Anders als der vorangegangene Abschnitt hat mich der Schluss berührt und erreicht. Man begibt sich gespannt auf die Spuren Elimanes und wird von der Dekonstruktion des literarischen Mythos überrascht. Das mochte ich ebenso wie die Spurensuche von Diégane in Elimanes Dörfchen.

Die Mail von Musimbwa mag nicht so sehr zum Rest des Abschnitts passen, doch letztlich hat Sarr ja viele dieser Geschichten in der Geschichte erzählt. Als einzelne Episode, die zugleich den Blick auf die Historie Afrikas richtet, fand ich sie dennoch rund und emotional.
 

Wandablue

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War der vorletzte Abschnitt der schwächste im ganzen Text, ist der Schluss schwerlastig. Elimane wurde gefunden.
Aber warum so spät? Er war mindestens 30 Jahre dort.
Hätte man nicht drauf kommen können, dass er in den Senegal zurückgekehrt ist, hätte Diégane nicht seine Eltern anrufen und fragen können, die dann ihrerseits Nachforschungen angestellt hätten? Klar. Aber jaaaa, der Roman wäre dann zu kurz geraten.

Der letzte Abschnitt ist insofern stark, da er klärt, was eigentlich verhandelt wurde die ganze Zeit, die afrikanische Identität. Elimane ist in Europa gescheitert. Er hatte nicht den Mumm, sich Europa zu stellen. Die Zeit war nicht reif dafür. Diégane wird es anders ergehen. Wie Sarr? Da ich ihm keine 5 Sterne verleihen werde?
 
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Literaturhexle

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All das, was Diégane letztlich erwartet hatte, gab es für ihn gar nicht zu bestaunen
Das ist wahrlich eine Überraschung. Wobei der hinterlassene Brief die Emotionen Elimanes sehr gut transportiert. Er fühlte sich selbst als Gescheiterter, konnte keine Bücher mehr ertragen.
Diégane wird es anders ergehen. Wie Sarr? Da ich ihm keine 5 Sterne verleihen werde?
Diese Gleichsetzerei von Literat und literarischer Figur konnte ich noch nie leiden.
Auch hat sich Dieganes Stil verändert. Den letzten Abschnitt habe ich gar nicht mehr verschwurbelt empfunden.
Mich hat das Ende überzeugt. Mehr dazu später.
 

Emswashed

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Oh je, ich muss noch denken... wenn Ousseynou vorausgesehen hat, dass Elimane nach seinem Tod zurückkommen würde, warum hat er dann nicht gesehen, dass es sogar sein Sohn und nicht sein Neffe war. Einer der jüngeren Frauen hat ja schon gerüchteweise gehört, dass das der Fall sein könnte.
Und dann weiß Elimane, dass Jemand ein Jahr nach seinem Tod im Dorf aufkreuzen würde, um zu tun, was immer er tun müsse. Nur wollte er doch explizit, dass seine Aufzeichnungen veröffentlicht werden und nicht den Fluten des Flusses überantwortet.

Der Bücherhass Elimanes scheint mir auch etwas übertrieben, etwas sehr narzistisch, so unter dem Motto, wenn es schon nicht meine Fortsetzung vom Labyrinth ist, dann soll mit gefälligt auch kein anderes Buch unter die Augen kommen.

Irgendwie verliert sich hier der Fokus ein wenig. Aufklärung in allerletzter Minute, Elimane hat Engelmann in Südamerika gesucht und gefunden.... heißt aber nicht!!, dass er seine Kritiker in den Selbstmord getrieben hat.
 

Emswashed

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Meine Sympathie für Leute, die ihre Kritiker um die Ecke bringen und Selbstjustiz üben, ist minimal.

O.k., nochmal zum Mitschreiben, Elimane sagt, dass er Engelmann umbringen wird (oder so ähnlich), das Buch schweigt darüber. Die Kritikertode wurde auch nur verdachtsweise den Fähigkeiten Elimanes zugesprochen. Weder von ihm selbst, noch vom Buch (also Sarr) kommt eine Bestätigung.... übringens wie so vieles halb unausgesprochen bleibt. Da fehlt eindeutig das Kriminalistische.
 

Wandablue

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O.k., nochmal zum Mitschreiben, Elimane sagt, dass er Engelmann umbringen wird (oder so ähnlich), das Buch schweigt darüber. Die Kritikertode wurde auch nur verdachtsweise den Fähigkeiten Elimanes zugesprochen. Weder von ihm selbst, noch vom Buch (also Sarr) kommt eine Bestätigung.... übringens wie so vieles halb unausgesprochen bleibt. Da fehlt eideutig das Kriminalistische.
Yes, Emsilein. Aber Sarr will, dass wir es denken, also denken wir es. Also zumindest ich. Es bleibt nicht die Spur eines Zweifels. Mit blackmagic die Kritiker. und Engelmann himself ums Eck. That s Afrika. Alle Vorurteile bestätigt. Ich liebe dieses Spiel(en).
 

Barbara62

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Die Mail von Musimbwa mag nicht so sehr zum Rest des Abschnitts passen, doch letztlich hat Sarr ja viele dieser Geschichten in der Geschichte erzählt. Als einzelne Episode, die zugleich den Blick auf die Historie Afrikas richtet, fand ich sie dennoch rund und emotional.
Passend oder nicht, es war für mich eine der oder sogar die berührendste Geschichte und mit dem Motiv des Brunnenlochs unglaublich gut erzählt. Dem Trauma kann Musimbwa nicht entkommen und er kehrt zurück. Wieviele Flüchtlinge mit einer ähnlichen, niemals zu bewältigenden Geschichte mögen wohl bei uns leben?

Der anschließende Appell für eine eigene afrikanische Literatur (S. 406) ist für mich eine der zentralen Stellen des Romans. Diégane entscheidet sich dennoch anders als Musimbwa und wenn man ihn gleich Sarr setzt, der für seinen Roman den Prix Goncourt bekommen hat, könnte man meinen, dass Musimbwa widerlegt ist. Trotzdem steckt in meinen Augen sehr viel Wahres in seiner Sichtweise.

Aufklärung in allerletzter Minute, Elimane hat Engelmann in Südamerika gesucht und gefunden.... heißt aber nicht!!, dass er seine Kritiker in den Selbstmord getrieben hat.
Diesen Handlungsstrang hatte ich tatsächlich schon wieder aus den Augen verloren. Unmöglich für mich, hier alles im Auge zu behalten.
 

Barbara62

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Den Abschluss fand ich ebenfalls sehr gelungen, obwohl ich zugeben muss, dass ich den Interpretationsansatz von "Das Labyrinth des Unmenschlichen" auf Seite 433 nicht verstanden habe. Vielleicht war ich auch zu bequem, um mich völlig hineinzudenken. Es war irgendwie auch nicht mehr wichtig für mich.

Interessant ist, dass Elimane nur fern der Heimat schreiben konnte. Insofern liefe Musimbwas Appell für eine afrikanische Literatur bei ihm ins Leere. Warum das wohl so war?

Ich bewundere euch, dass ihr so früh an Engelmann als Objekt seiner Suche gedacht habt. Obwohl der Gedanke bei Nazi und Südamerika naheliegt, bin ich nicht von selbst darauf gekommen.

Hätte mir zu Beginn jemand gesagt, dass wir nichts Elementares über den Inhalt von "Das Labyrinth des Unmenschlichen" erfahren und worin die Faszination für so viele völlig unterschiedliche Menschen liegt, hätte ich gezweifelt, ob ich das Buch überhaupt zu Ende lesen will. Im Laufe der Lektüre ist es mir dann erstaunlicherweise immer weniger wichtig geworden und zuletzt ist es mir ganz egal gewesen.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Dieses Buch eignete sich perfekt für unseren Kreis! Ohne euch hätte ich manche Anspielung mit Sicherheit nicht entdeckt. Mir hat das Verschachtelte mit den unterschiedlichen Perspektiven unheimlich gut gefallen. Man musste sich natürlich konzentrieren, wurde dafür aber reichlich belohnt.
Es geht um einen verschollenen Schriftsteller, sein Buch - und um noch viel mehr. Eine außergewöhnliche, faszinierende Lektüre, die ich mit 5 Sternen bewerten muss.
Wie Barbara schon sagte, man bekommt einen Einblick in den Literaturbetrieb, speziell in die Probleme von Literaten, die zwischen den Kulturen agieren und das auf eine unaufdringliche, nachvollziehbare Weise.
Der Roman gefiel mir ähnlich gut wie "Treue" von Hernan Diaz. Auch da durfte man denken und kombinieren;)