1. Leseabschnitt: Buch Eins, Erster Teil (Beginn bis Seite 40)

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Ich bin bislang fasziniert von diesem Roman. Mir gefallen Geheimnisse um Bücher in der Regel richtig gut, wenn sie klug und anspruchsvoll aufgebaut sind. Dieses Gefühl habe ich hier.

Die Sprache trägt ihren Teil dazu bei. Sie wirkt auf mich wie aus einem Film Noir. Insbesondere in der Hotelszene mit der berühmten Schriftstellerin Siga D. Ich meine, den Wahn und das Unheil spüren zu können, die sich auf den Ich-Erzähler nach Übergabe des geheimnisvollen Buches übertragen. Selbst auf mich übt die Geschichte um T. C. Elimane und sein Buch schon einen Sog aus. Wie mag es da erst für Diégane sein?

"Ein Zufall ist immer nur ein Schicksal, das man nicht kennt", ist sicherlich der einprägsamste Satz, nicht nur, weil er sich später wiederholt. Überrascht hat mich, dass der Buchtitel das Zitat eines anderen Autors ist, nämlich Roberto Bolaño. Das hat man auch nicht so oft.

Ich lese auf jeden Fall sehr gern weiter.
 

Irisblatt

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15. April 2022
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Mein erster Leseeindruck: Mohamed Mbougar Sarr hält mich seit dem ersten Satz in seinem erzählerischen Netz gefangen.
Mich fasziniert dieser wenig greifbare Literatengeist T.C. Elimiane. Ich folge Diégane gefesselt auf seiner Spurensuche mit dem mulmigen Gefühl, dass ihm noch Schreckliches, aber auch Wunderbares widerfahren wird. Sehr intensiv und außergewöhnlich war die Begegnung mit Siga D. Nun hält Diégane tatsächlich das verschollene Buch in Händen. Die Geschichte wirkt real und zugleich wie aus einer anderen Welt.
Ich mag den Stil des Autors - wenn es so weitergeht, könnte es ein Lieblingsbuch werden.
Schade, dass ich heute nicht mehr weiterlesen kann.
 
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Literaturhexle

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2. April 2017
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Ich fühle mich ein bisschen an den Roman "Der Schatten des Windes" erinnert. Wird nicht auch darin nach dem Buch eines verschollenen Autors gesucht? Einem Buch, dessen Auflagen willentlich vernichtet wurden?

Der Ich-Erzähler Diégane Latyr Faye forscht Autor und Werk nach, beides scheint verschollen. Es gibt zahlreiche wunderschöne, ausdrucksstarke Sätze:

"Es gehörte zu jenen Büchern, die in einem bestimmten Zeitraum berloren gegangen sind, die nicht einmal verfemt sind, sondern einfach nur vergessen wurden, und deren Leichen, Gebeine vergessen in Gefängnissen ohne Kerkermeister auf dem Boden herumliegen und kalte Spuren in der endlosen Stille markieren." 19

Auch der Humor kommt nicht zu kurz. Herrlich die Beschreibung der trivialen senegalesischen Literaten und deren viel genutzter Phrasen (S.24)
Herrlich auch die abgebrochene Sexszene, die unseren Prota mächtig unter Leistungsdruck/Versagensangst gesetzt hat.

Dabei kommt ihm auch das Bild von der Spinnenmutter, aus deren Netz er sich schließlich mit dem Buch entwindet. Ob das Lied vom Fischer, der hinausfährt, um eine Fischgöttin herauszufordern wieder auftaucht? Hier ist alles so mythisch und geheimnisvoll, dass ich davon überzeugt bin, dass alle Fäden wieder aufgenommen werden.

Das gesuchte Buch gleicht einem Mysterium, der erste Satz hat es in sich, angeblich macht es etwas mit der Seele des Lesenden. Siga D. bezeichnet es als "blinden Fleck und toten Winkel ihres Lebens".
Autor Elimane wird ebenso geheimnisumwittert beschrieben.
Es war noch dunkel, auch wenn die Gischt des Tages schon am Horizont schäumte. 39
Atmosphäre schaffen kann Sarr. Nun bin ich neugierig, wie es weiter geht.
 

Irisblatt

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15. April 2022
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Emswashed

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9. Mai 2020
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Hmm, eigentlich bin ich noch gar nicht bereit, mich zu äußern, hat Sarr doch einen Steilpfad ohne Kletterhilfe vor sein Rätsel um Autor und Werk eingebaut. Ich stehe vor meinem eigenen "Sprachschlamm" (S.13)
Oder wie soll ich sonst mein Unwissen über Hapaxlegomenon, phaläkisch, hyalin und dehiszent zu verbergen suchen?
Und wenn ich schon Google zu Rate ziehe, dann kann ich mir auch gleich das zweite große Fragezeichen in die Liste meiner Verwirrungen reinschreiben: " Elimane hatte... die drei stärksten Trümpfe ausgespielt... einen Namen mit geheimnisvollen Initialien... " (S.16). Also TCE ist Trichlorethan steht es dort schwarz auf weiß. Hat wohl keine Bedeutung, sollte wohl ablenken.
Ablenkung funktioniert mit Sex aber viel besser, war mir aber etwas zu krass, nach diesem hochliterarischen Einstieg... sprachs und Sarr hatte ein Einsehen. Er brach die Szene mit Siga ab und kehrte abrupt zum Gesuchten zurück.

Ich bin noch nicht im Spinnennetz gefangen, bin aber für den nächsten Abschnitt durchaus bereit dazu.
 

Irisblatt

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15. April 2022
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Emswashed

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Kannte ich auch nicht, hat mich hier aber nicht gestört.
Normalerweise stört mich sowas auch nicht, aber an der Stelle kam es so gehäuft vor, dass es mich doch ziemlich genervt hat... muss man seinen Lesern sowas antun, wenn es dann doch keine Rolle spielt?
Oder andersherum gefragt, muss es sein, um als ernsthafte Literatur wahrgenommen zu werden?
 

Circlestones Books Blog

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28. Oktober 2018
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Oder wie soll ich sonst mein Unwissen über Hapaxlegomenon, phaläkisch, hyalin und dehiszent zu verbergen suchen?
Ich musste natürlich auch Wiki zu Rate ziehen, habe die Erklärungen mehrmals gelesen und lasse diese Ausdrücke jetzt mal beim weiteren Lesen als zähen Sprachschlamm liegen. Vorerst interessiert mich der kurz erwähnte Literaturskandal um Elimane und ich bin gespannt, ob der Ich-Erzählende, Suchende Diégane im Lauf seiner Suche das Rätsel lüftet. Sehr gelungen finde ich den Einstieg und wie er plötzlich an dieses verschwundene Buch kommt. Das Netz der Spinnenfrau, in dem Fall Spinnenmutter, wohl auch metaphorisch dafür zu sehen, wie sie ihn in das Netz der Suche nach Elimane zieht.
"Ein echter Schriftsteller, hatte sie hinzugefügt, löse bei echten Lesern, die sich immer im Krieg befänden, tödliche Debatten aus." (Zitat Seite 15) Ich hoffe doch, dass es in dieser feinen Whatcha-Leserunde nicht zu weit kommt :think:smilehorn , gerade jetzt, zur Weihnachtszeit
 

GAIA

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27. Dezember 2021
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nämlich Roberto Bolaño
Von ihm habe ich erst kürzlich meinen ersten Roman erworben. Allerdings nicht den hier zitierten, sondern "Der Geist der Science-Fiction". Noch nicht gelesen, aber bald...
Da schwingt doch mehr mit als die Bitte kurz Bescheid zu geben, wenn er sie besuchen kommt. Bin gespannt ...
Ich vermute, da der Erzähler ganz zu Beginn in 2018 eine Abreise aus Amsterdam erwähnt, dass er bis dahin mit ihr in Kontakt sein wird. Aber hier kann alles passieren.
Auch der Humor kommt nicht zu kurz.
Das freut mich sehr. Mir wär' die poetische Sprache sonst (mal wieder) ein bisschen zu viel, aber so wird der Text immer wieder aufgelockert.
Dabei kommt ihm auch das Bild von der Spinnenmutter, aus deren Netz er sich schließlich mit dem Buch entwindet.
In anderen Büchern von Autoren der afrikanischen Westküste habe ich bisher immer nur den Namen "Anansi" für die Spinnenmutter gelesen. Es wirkt fast ein bisschen störend (nur auf mich), dass da immer dieses lange, deutsche Wort steht. Aber es kann gut sein, dass Sarr im französischen Original auch "Spinnenmutter" nutzt, da will ich den Übersetzer:innen nicht unterstellen, dass sie für uns Deutsche aus Anansi die Spinnenmutter gemacht haben. ;)
Ich bin noch nicht im Spinnennetz gefangen, bin aber für den nächsten Abschnitt durchaus bereit dazu.
So geht es mir auch. Ich lese aufmerksam weiter und schaue, ob mich die Spinne noch kriegt. Aber dafür ist ja auch noch genug Zeit...
Normalerweise stört mich sowas auch nicht, aber an der Stelle kam es so gehäuft vor, dass es mich doch ziemlich genervt hat... muss man seinen Lesern sowas antun, wenn es dann doch keine Rolle spielt?
Oder andersherum gefragt, muss es sein, um als ernsthafte Literatur wahrgenommen zu werden?
Ich hatte an der Stelle eher das Gefühl, dass es eine amüsante Anspielung auf Diéganes Versuch ist, mit seinem Intelekt zu prahlen. Also tatsächlich ein ironischer Einsatz der Worte von Seiten Sarrs.

Bei allem, was schon zum ersten LA gesagt wurde, warum folgendes noch nicht? Wie kann denn bitteschön dieses Früchtchen einfach so eine mind. 70 Jahre alte Ausgabe eines ansonsten vernichteten Werkes in die Arschtasche seiner Jeans stecken??? Sag mal, hackt's?:eek: Das ist für mich die Schlüsselszene des Buches. Des gesamten Buches! Da bin ich mir jetzt schon sicher. Damit rubbelt er einen Dschinn frei, der ihn bis zum eigenen Untergang an das Mysterium des Buches von T.C. Elimane binden wird!

Übrigens beim Namen "T.C. Elimane" muss ich ja immer an "T.S. Eliot" denken... Wir werden sehen. ;)

Insgesamt lese ich interessiert, aber noch nicht komplett begeistert die Ausführungen von Sarr. Aber meine Konzentrationsfähigkeit lässt heute auch ein wenig zu wünschen übrig.
 
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petraellen

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11. Oktober 2020
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„Das Labyrinth des Unmenschlichen“ passt hervorragend zu der Geschichte. Der Autor Elimane ist verschwunden und mit ihm sein Roman. Schon die ersten Seiten öffnen den Weg in ein Labyrinth.


Bereits in Buch Eins beschreibt beschreibt der angehende Schriftsteller Diégane Latyr Faye in seinem Tagebuch über das Verschwinden Elimanes, der nicht in irgendeiner Nacht, sondern in „seiner tiefsten Nacht„ verschwunden ist. Sehr poetisch vergleicht er das Verschwinden mit dem Schatten seiner Himmelfahrt, er bewundert die Leichtigkeit mit der sich von der Sonne verabschiedet hat. Und daraus ist ein Geheimnis entstanden was seien Bestimmung ist. Wie in einem Labyrinth stößt man auf seine Spuren, doch mann findet ihn nicht.


Diégane Latyr Faye beschreibt, wie er schon früh auf diesen Autor gestoßen ist.


In der Anthologie „stieß ich unter den Klassikern der Schwarzen Literatur, zwischen Tchichellé Tchivéla und Tchicaya Tam’si, zum ersten Mal auf den mir unbekannten Namen T. C. Elimane. Der ihm gewidmete Beitrag war so einzigartig, dass ich bei der Lektüre verweilte. Darin heißt es (ich habe das Lehrbuch behalten): T. C. Elimane wurde im Senegal geboren. Er erhielt ein Stipendium, ging nach Paris und veröffentlichte dort 1938 ein Buch, dem das Schicksal einer tragischen Einzigartigkeit beschieden war: Das Labyrinth des Unmenschlichen.“ (S. 17 f.)
Es scheint als werden hier die ersten Spuren eines weiteren Suchens gelegt.

Er findet das Buch, zufällig. Ein Treffen mit Siga D. in einer kuriosen Zusammenkunft, die in dem Hotelzimmer der Schriftstellerin endet, wird humorvoll die Niederlage des Möchtegernliebhabers erzählt.

„Ich schloss die Augen. Sina D. zog sich vollends an und trällerte die Letzt Strophe.„ (S. 33)

Bei eine Joint auf der Terrasse erfährt Diégane Latyr Faye mehr von dem verschollenen Schriftsteller und er bekommt das Buch „Das Labyrinth des Unmenschlichen“, was eigentlich verschollen sein soll.

Hier kommt der Titel von Buch Eins zum Einsatz: Das Netz der Spinnenmutter

Wie wird es weitergehen?

Bisher hervorragend, amüsant, spannend und sehr poetisch geschrieben. Der erste Teil beginnt mit einer Tagebucheintragung und in weiteren 5 Kapiteln werden erste Spuren gelegt.
 

Wandablue

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18. September 2019
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T. C. Elimane wurde im Senegal geboren. Er erhielt ein Stipendium, ging nach Paris und veröffentlichte dort 1938 ein Buch, dem das Schicksal einer tragischen Einzigartigkeit beschieden war: Das Labyrinth des Unmenschlichen.“ (S. 17 f.)
ich habe den Eindruck, hier wird Autobiografisches miteingearbeitet. Vllt meint er sogar seinen eigenen Roman.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Wahn und das Unheil spüren
Das ist sicherlich beabsichtigt - ich spüre das auch - was wiederum an Der Herr der Ringe erinnert


Oder wie soll ich sonst mein Unwissen über Hapaxlegomenon, phaläkisch, hyalin und dehiszent zu verbergen suchen?
Phht, da lese ich drüberweg. Kommt mir vor, als ob der Autor durch ein Fremdwörterlexikon geht und sich unmögliche Wörter aussucht, die aber verwendungsfähig sind. *kicher*. Kann man machen, muss man nicht ernst nehmen.

Sehr intensiv und außergewöhnlich war die Begegnung mit Siga D.
Das finde ich jetzt wieder nicht. Wenn mans herunterbricht, hat er in einer Bar eine alte Frau aufgegabelt und raucht nach einer verpfuschten Sexnacht einen Joint. Mehr ist nicht. Nur literarisch aufgebauscht. Sagt er doch auch vorher, dass man sooo Romane schreibt. Hat er recht.
Ich werde da genau hinsehen müssen - unter die blumigen Worte.
Aber Atmosphäre kann er. Wenn ich nur nicht so allergisch auf blumig reagieren würde ... ich merke schon, wie Pusteln sprießen.
 

Wandablue

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Einem Buch, dessen Auflagen willentlich vernichtet wurden?
So was gibt es nicht. Verlage werden immer alles verkaufen wollen, was sie haben. Von derartig profanen Gesichtspunkten abgesehen, wird hier mit Magie gearbeitet, scheint mir. Magie und ich ... wir werden sehen. In afrikanischer Literatur scheint sie eine größere Rolle zu spielen als in unserer europäischen. Man merkt, dass die Aufklärung fehlte.
 

Emswashed

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Barbara62

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Ich bin noch nicht im Spinnennetz gefangen, bin aber für den nächsten Abschnitt durchaus bereit dazu.
Das geht mir ebenso. Ich musste den ersten Abschnitt gleich noch einmal lesen, beim ersten Mal bin ich sehr schlecht hineingekommen. Eines steht fest: Das wird noch mal eine anstrengende Lektüre zum Jahresende. "Der Schatten des Windes" kam mir auch in den Sinn, allerdings las sich das doch wesentlich leichter und dazu noch mystischer.

Ich versuche mal zu sortieren:

Der Beginn des Romans liegt zeitlich vor der Fortsetzung. Am 27.8.2018 kehrt Faye aus Amsterdam zurück, bricht sein Tagebuch ab und beginnt, einen Roman zu schreiben ("Ich begebe mich auf den Weg der Einsamkeit.", S. 14). Das Tagebuch hat er nur begonnen, um ein Ventil für seine Erschütterung zu haben (S. 44).

Dann folgen die Rückblenden:
1. Seine erste Begegnung mit T.C. Elimane während der Schulzeit in einem
Militärinternat im Senegal.
2. Aufnahme der Spur des Phantoms, nachdem Faye sein Studium in Paris begonnen
hat.
3. Er bekommt das Buch von der 60-jährigen senegalesischen Schriftstellerin Marème Siga D., die kryptische Andeutungen über ihre Fast-Begegnungen mit Elimane
macht und ihm aufträgt, sie nach der Lektüre in Amsterdam zu besuchen.

Am meisten interessiert mich alles, was mit dem Schreiben zu tun hat, die Rezeption seines ersten Romans (warum wäre "ein aufsteigender Stern" ein so schreckliches und tödliches Attribut für ihn als jungen Schriftsteller?), die Begründung von Marème, warum Schriftsteller schreckliche Liebhaber sind, die jungen trivialen senegalesischen Autoren...

Unter dem Phantomroman kann ich mir noch nicht viel vorstellen. Warum die "Querelles", warum hat der Verlag die Reste einstampft, wegen politischen Drucks im Krieg? Warum gilt Elimane als "schändlicher Autor" und sein Roman trotzdem als "Kathedrale" und "Arena", der "kein Klassiker, sondern Kult" ist? Wie kann ein Roman Kult sein, den keiner lesen kann?