3. Leseabschnitt: Kapitel 14 bis 23 (Seite 148 bis 223)

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Im 3. LA lesen wir vor allem über das, was der Erzähler über das Leben seines Vaters aus den im Archiv erhaltenen Akten erfährt. Dabei bleiben bei mir mindestens so viele Fragezeichen zurück wie beim Erzähler, dem sich auch das meiste, was damals geschehen ist oder sein sollte, nicht erschließt. Sein Vater ist und bleibt ihm ein Rätsel. Oder wird sogar immer mehr zu einem. Die Verwirrung jedenfalls ist groß:
Alles, was du behauptet hattest, war falsch und alles, was du erzählt hattest, war wahr.
Bei mir kommt zur Verwirrung über die vielen Seitenwechsel des Vaters noch hinzu, dass ich nicht jede Gruppierung, über die hier zu lesen ist, wirklich einordnen kann. Dazu ist mir die Geschichte Frankreichs dieser Zeit einfach nicht bekannt genug. Schade!
So ist der 3. LA gegenüber den ersten beiden zugegebenermaßen deutlich weniger interessant für mich.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Jeans Geschichte wird wirklich immer unglaublicher! Auch ohne die Hochstapelei oder die Lügen des Vaters wäre sie irre genug, um einen ganzen Roman daraus zu stricken. Diese ständigen, nun auch belegten Seiten- und Uniformwechsel. Unfassbar!

Überrascht hat mich die Wendung, dass Jean seinen Opportunismus nutzt, um etwas Gutes zu tun, um Leben zu retten. Der Erzähler bezeichnet dies als "Lebensversicherung" (S. 197), um sozusagen schon für eine geringere Strafe vorzuplanen. Aber ist das wirklich plausibel? Es wird oft betont, wie ungebildet der Vater sei. Denkt ein solcher Mensch so umfassend voraus? Natürlich hat er eine gewisse Bauernschläue, aber reicht die für solche Handlungen aus?

Beeindruckt hat mich der Kontrast zwischen seiner Geschichte und den Schilderungen vor Gericht. Denen von Lise, aber vor allem die unglaublich traurige Geschichte mit dem roten Pullover. Wichtig auch Sorjs Aussage: "Für mich hingen eure Schicksale zusammen." (S. 185) Das verbalisiert noch einmal unsere These aus dem zweiten Abschnitt, auch wenn es daran ohnehin wenig Zweifel gab.

Sprachlich ist für mich beispielsweise die Stelle auf S. 194f. wieder ein Hochgenuss. Diese stillen Momente auf dem Kai, die Beschreibungen der Geräusche und visuellen Eindrücke. Klasse!
 

GAIA

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27. Dezember 2021
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Ich kann mich nur anschließen. Obwohl ich mich nicht wirklich "verwirrt" fühle, sondern "an der Nase herumgeführt" und zwar vom Vater von Sorj. Mit welcher Kaltschnäuzigkeit er seine Nase nach dem Wind dreht ist schon etwas Besonderes im Rahmen solcher "2.WK-Aufarbeitungs-"Literatur. Er agiert immer nach seinem Vorteil, ohne dass dies zwingend bedeuten muss, dass er dabei immer nur eine Personengruppe missachtete oder achtete. So viele Wechsel sind mir noch nie über den Weg gelaufen. Dass es Überläufer von einer zur anderen Seite gab, keine Frage. Aber da wechselt ja einer aller paar Wochen die Seiten. Und das auch noch anhand der Ausweise verbrieft! Ob all diese vom Vater behaupteten Wechsel wirklich jedes Mal erfolgreiche Fluchten waren, bleibt dahingestellt. Denn wer hätte so viel Glück haben können, allen möglichen Verfolgern durch die lappen zu gehen?
Der Erzähler bezeichnet dies als "Lebensversicherung" (S. 197), um sozusagen schon für eine geringere Strafe vorzuplanen. Aber ist das wirklich plausibel? Es wird oft betont, wie ungebildet der Vater sei. Denkt ein solcher Mensch so umfassend voraus? Natürlich hat er eine gewisse Bauernschläue, aber reicht die für solche Handlungen aus?
Genau daran musste ich auch denken während der Lektüre. Dass der alte Vater sich durch Tricksereien Zutritt zum Gericht verschafft: das ist nachvollziehbar. Er hat Lebenserfahrung im Tricksen gesammelt und nutzt sie. Aber ein 22Jähriger, der aus der wievielten Klasse 5. (?) aus der Schule ist und jetzt wie ein Schachspieler vorausdenkt, dass er Zeugen braucht, falls er vor ein Gericht gestellt wird? Das ist die Deutung des Sohnes. Vielleicht war es noch ganz anders. Ich bereite mich für den letzten Leseabschnitt auf alles vor. Hier kann die Geschichte des Vaters noch wieder in eine ganz andere Richtung kippen, eine neue Interpretation bekommen.

Gerade die Parallelität der Gerichtsverhandlung um Barbie und das Erarbeiten des Wissens aus den Akten finde ich unglaublich gut komponiert. Das macht für mich den besonderen Reiz dieses Buches aus.

Ach ja und fast vergessen hätte ich die Mutter. Da trat sie also nun einmal kurz in Erscheinung. Und wir wissen sofort, warum sie nicht präsenter im Roman ist, sie war ja scheinbar auch nie präsent in ihrem Leben. Auch das finde ich stilistisch sehr gut gemacht von Chalandon.

Übrigens werde ich vielleicht sogar recht bald "Wilde Freude" lesen. Wenn mir hier ständig davon abgeraten wird, macht es mich noch umso gespannter, wie es sein kann, dass ein Autor zwischen zwei so großartigen Roman einen Roman so sehr in den Sand gesetzt haben soll... ;)
 

Lesehorizont

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29. März 2022
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Das Buch fasziniert mich nach wie vor. Ich finde den Roman gut komponiert. Die Parallelität der beiden Gerichtsprozesse (Barbie und der des Sohnes auf anderer Ebene gegen seinen Vater), die Frage, was ist hier wessen Warhrheit? Das finde ich schon gut gemacht. Ich denke, dass auch der letzte Abschnitt viel Überraschungen noch bereitshalten kann. Ich bin darauf sehr gespannt.
Im Moment scheint der Vater ja ein Stratege zu sein, der vorausschauend geplant hat, um ggfs. eim mildes Urteil zu erhalten.
War er wirklich wie ein Fähnlein im Wind? Oder wirkt er so auf seinen Sohn?
Am berührendsten fand ich in diesem Abschnitt die Stelle, wo die Mutter an einem anderen Kind den Pullover ihres Sohnes wiedererkennt. Sie versucht sich an jegliche Hoffnung zu klammern - wider aller Wahrscheinlichkeit. Schlimm!
Ich habe schon soo viel über diese Zeit gelsen, aber immer wieder bin ich tief erschüttert und kann das Geschehene einfach nicht begreifen - so unvorstellbar. Daher das Thema Erinnerungskultur auch heute noch immens wichtig. Dieses dunkle Kapitel der Geschichte darf niemals vergessen werden...
 

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29. März 2022
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Denkt ein solcher Mensch so umfassend voraus? Natürlich hat er eine gewisse Bauernschläue, aber reicht die für solche Handlungen aus?
Gute Frage. Vielleicht hat strategisches Planen in dieser Hinsicht wenig mit Klugheit und einem scharfen Verstand zu tun? Vielleicht ist es das 'Böse', was hier der Phantasie keine Grenzen setzt??? Ich weiß es nicht.
Beeindruckt hat mich der Kontrast zwischen seiner Geschichte und den Schilderungen vor Gericht. Denen von Lise, aber vor allem die unglaublich traurige Geschichte mit dem roten Pullover
Umso trauriger, wenn man bedenkt, dass solche Vorfälle für viele, viel zu viele Menschen Realität waren.
Das ist die Deutung des Sohnes.
Das könnte ich mir auch sehr gut vorstellen. Dann folgt im letzten Abschnitt möglicherweise auch noch ein richtiger Paukenschlag...
Gerade die Parallelität der Gerichtsverhandlung um Barbie und das Erarbeiten des Wissens aus den Akten finde ich unglaublich gut komponiert. Das macht für mich den besonderen Reiz dieses Buches aus.
Da bin ich ganz bei Dir. Ich finde den Roman auch sehr gut konstruiert.
 

Barbara62

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19. März 2020
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mit-büchern-um-die-welt.de
Überrascht hat mich die Wendung, dass Jean seinen Opportunismus nutzt, um etwas Gutes zu tun, um Leben zu retten. Der Erzähler bezeichnet dies als "Lebensversicherung" (S. 197), um sozusagen schon für eine geringere Strafe vorzuplanen. Aber ist das wirklich plausibel? Es wird oft betont, wie ungebildet der Vater sei. Denkt ein solcher Mensch so umfassend voraus? Natürlich hat er eine gewisse Bauernschläue, aber reicht die für solche Handlungen aus?
Ich glaube nicht, dass der Vater planvoll vorgegangen ist, und auch nicht, dass er eine Gesinnung hatte. Er wollte schlicht immer auf der Seite der Gewinner stehen, und das möglichst ohne Anstrengung und Gefahr. Dass er Barbie noch immer so bewundert, passt in dieses Bild. Er sieht ihn als Helden, die Opfer als Verlierer, zu denen er nie gehören wollte.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Im Moment scheint der Vater ja ein Stratege zu sein, der vorausschauend geplant hat, um ggfs. eim mildes Urteil zu erhalten.
Ja, oder? Das kann man verurteilen, aber "Stratege" passt in meinen Augen sehr gut. Findest du nicht auch, dass diese strategischen Ausrichtungen nicht konform gehen mit der Meinung des Erzählers, sein Vater sei völlig untalentiert und zu nichts zu gebrauchen?
 

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29. März 2022
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Ja, oder? Das kann man verurteilen, aber "Stratege" passt in meinen Augen sehr gut. Findest du nicht auch, dass diese strategischen Ausrichtungen nicht konform gehen mit der Meinung des Erzählers, sein Vater sei völlig untalentiert und zu nichts zu gebrauchen?
Auf den ersten Blick scheint es so. Aber da schwelt ja auch ein gewaltiger Vater-Sohn Konflikt. Wie verlässlich da der Eindruck des Sohnes ist, gilt es abzuwarten. Ich bin jedenfalls sehr auf den Ausgang gespannt. Ich denke, ich werde den letzten Abschnitt heute Abend lesen.
 

pengulina

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22. November 2022
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Einer von euch hatte gesagt, das erste Kapitel sei das stärkste.
Ich finde das Kapitel mit dem Abschied der Mutter und auch das Kapitel mit der Zeugenaussage von Lise Lesèvre mindestens ebenso stark.
Der Vater hingegen hatte offensichtlich so viel Bauernschläue, dass er sich immer wieder ais der Affäre gezogen hat. Erstaunlich nur, dass er sich nie in seinen eigenen Geschichten verlaufen hat ...
Ich bin auch gespannt auf den letzten Abschnitt.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Es ist extrem schwer sich dem Schicksal dieser Menschen zu stellen. Alle sind gebrochen, haben eine tragische Geschichte zu erzählen und erleben dann den Angeklagten, der sich sogar vor Gericht aus der Affäre zieht indem er gar nicht erscheint, oder die Aussage verweigert.
Das Sorj viel aus dem Prozess mit der Geschichte seines Vaters vergleicht ist nachvollziehbar, beides ist schwer für ihn.
Viel hin und her, mal steht der Vater auf der Seite, mal auf der anderen. Er hat es irgendwie immer geschafft sich aus brenzligen Situationen heraus zu manövrieren, sogar einmal eine echte Heldentat begannen. Doch es fällt einem schwer dies gebührend zu würdigen, wenn man seine sonstige Gesinnung dem gegenüber stellt
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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aber vor allem die unglaublich traurige Geschichte mit dem roten Pullover.
Der ist ähnlich einprägsam wie der rote Mantel im Film Schindlers Liste. Er wird mir im Gedächtnis bleiben, wenn ich später erneut über das Buch spreche wird die Geschichte hängengeblieben sein, auch wenn ich sonst einiges vergessen haben werde, da bin ich mir jetzt schon sicher.
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Ich finde das Kapitel mit dem Abschied der Mutter
Stimmt, die Mutter hat im Grunde keine Anerkennung bekommen, weder in der Ehe, noch im Beruf. Das wird sehr deutlich bei dem kargen Abschied, mit einer Salatschüssel zum Dank für die vielen Jahre, auch ihrem Sohn geht es nah. Wobei ich auch nicht unbedingt das Gefühl habe, dass er seine Mutter oft besucht, was wohl am angespannten Verhältnis zum Vater lügen dürfte…..
 

pengulina

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22. November 2022
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Ich habe gerade ein anderes Buch angefangen, und dort wird über die Mutter gesagt:
Rosa ist eine Dulderin. Nur so hat sie neben Fritz überleben können. Hat sein unerschütterliches Selbstbewusstsein ertragen, seinen eisernen Willen, der keinen Widerspruch duldete, seinen bisweilen wolkenbruchartigen Zorn.

Als hätten sie Mutter Chalandon beschrieben. Was natürlich auch eine Frage der Epoche ist, es geht in beiden Fällen um die 1950er Jahre.
 

Christian1977

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8. Oktober 2021
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Als hätten sie Mutter Chalandon beschrieben. Was natürlich auch eine Frage der Epoche ist, es geht in beiden Fällen um die 1950er Jahre.
Ich befürchte auch, dass es solche Beziehungen in den 1950er-Jahren zuhauf gab. Wenn der Mann tatsächlich zumindest physisch lebendig aus dem Krieg zurückkehrte, war er oft so traumatisiert, dass nicht selten Frau und Kinder darunter leiden mussten. Ich habe schon sehr oft solche Bücher gelesen.

Anders als in den meisten Fällen wirkt Mama Chalandon aber nicht besonders widerstandsfähig. Wobei es hier ja auch so ist, dass sie nicht auf Jean warten musste, sondern sich die beiden jungen Menschen offenbar erst nach dem Krieg kennenlernten.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Das Buch bringt mich an meine psychischen Grenzen. Was die Zeugen vor Gericht aussagen ist nur schwer auszuhalten und ob des ganzen Hin und Her von Sorj´s Vater brummt mir der Schädel...Versteht mich nicht falsch: der Roman steht ganz klar auf dem Treppchen der "King´s Crown Juwels 2022". Hätte ich nach "Die Stadt" nicht mehr erwartet, dass mich ein Buch noch einmal so wegbläst. Mal sehen, was mich jetzt noch im letzten Abschnitt erwartet...:cool:
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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So ist der 3. LA gegenüber den ersten beiden zugegebenermaßen deutlich weniger interessant für mich
Das empfinde ich sehr ähnlich und das ist auch mein Kritikpunkt am Roman. Der Autor hat seine Distanz verloren, er will uns jeden Schritt (und jedes Schrittchen) seines Vaters akribisch aufzeigen und belegen. Das ermüdet, zumal einem die einzelnen französischen Gruppierungen nicht vertraut sind (trotz Glossar). Die ganze Kriegsvita des Vaters hätte gern kürzer ausfallen dürfen, die Grundzüge hätten mir persönlich ausgereicht, um das Dilemma zu zeigen, dass der Sohn hat. Diese langen Passagen haben mich ermüdet. Zum Glück stachen dann immer mal wieder zusammenfassende Sätze heraus, die mich wieder erwachen ließen;)
Aber ein 22Jähriger, der aus der wievielten Klasse 5. (?) aus der Schule ist und jetzt wie ein Schachspieler vorausdenkt, dass er Zeugen braucht
Schwer vorstellbar. Aber schwere Zeiten lassen Menschen immens schnell reifen, man darf einen 22-jährigen in Kriegs- und Spannungszeiten nicht mit einem aus unserer Wohlstandsgesellschaft vergleichen. Außerdem braucht man für Bauernschläue und Hochstaplerei nicht unbedingt ein Abitur. Es ist der Charakter dieses Mannes, der Überlebenswillen. Und auch die Tatsache, dass er auf der Seite der Stärkeren, der Gewinner, stehen will.
Gerade die Parallelität der Gerichtsverhandlung um Barbie und das Erarbeiten des Wissens aus den Akten finde ich unglaublich gut komponiert.
Genau das ist das große Plus auch in meinen Augen: die Verzahnung dieser beiden "Prozesse".
wollte schlicht immer auf der Seite der Gewinner stehen, und das möglichst ohne Anstrengung und Gefahr
Danke. Das will ich auch sagen. Ein Mensch ohne wirklichen politischen Standpunkt, ein Wendehals.
Aber da schwelt ja auch ein gewaltiger Vater-Sohn Konflikt. Wie verlässlich da der Eindruck des Sohnes ist, gilt es abzuwarten.
Richtig! Daran musste ich auch denken. Die Verbitterung des Sohnes ist schon riesig. Hat er selbst kein Leben, um das er sich kümmern kann? Wanda schrieb heute in einem anderen Kontext: "Ab einem gewissen Alter spielt es keine Rolle mehr, was die Eltern gemacht haben."
Irgendwie sehe ich das auch so. Was die Sache in Chalandons Fall allerdings so verletzend macht ist, dass er Zeit seines Lebens vom Vater belogen wurde, dass er als Kind vielleicht sogar zu ihm aufgeschaut hat, dass durch die Lügerei der Kontakt zum Großvater unterbunden wurde... Die Lügen schmerzen. Mit der Wahrheit hätte vielleicht auch der Sohn schon längst abschließen können.

Ob er wirklich ein zuverlässiger Erzähler sein kann, bleibt abzuwarten.
Genau. Meine Vokabel;)
nicht unbedingt das Gefühl habe, dass er seine Mutter oft besucht, was wohl am angespannten Verhältnis zum Vater lügen dürfte…..
Da macht es sich der Sohn auch zu leicht. Mann kann sich mit Muttern auch auswärts treffen, wie hier geschehen. Allerdings sind das Vermutungen. Die Mutter ist nicht das Thema des Romans.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Eines möchte ich dem Vater als jungem Mann zu Gute halten: Wir sehen die Geschichte heute aus der Distanz, wir wissen, was passiert ist, welche unglaublichen Gräuel die Nazis begangen haben...

Das alles war damals nur rudimentär bekannt. Der Vater stammte nicht aus einer glücklichen, stabilen Familie. Auch er war vielleicht auf der Suche nach Vorbildern, nach Stärke. Da können die gut organisierten Nationalsozialisten durchaus blenden mit ihren nationalistischen Gedanken, mit Idealen... Ebenso hat er sich vielleicht immer wieder aus anderen Richtungen begeistern lassen. Wer selbst keine Meinung hat, ist beeinflussbar.

Was mich an der Person stört, ist seine Unaufrichtigkeit, seine Angeberei, Intoleranz und seine mangelnde Fähigkeit, sich mit dem eigenen Tun auseinanderzusetzen. Das kann einen als Kind der heutigen Zeit zur Raserei bringen.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Der Erzähler bezeichnet dies als "Lebensversicherung" (S. 197), um sozusagen schon für eine geringere Strafe vorzuplanen. Aber ist das wirklich plausibel?
Ich glaube eher, dass er spontan gehandelt hat und erst im Nachhinein beschlossen hat, das zu seinem Vorteil zu nutzen.
Am berührendsten fand ich in diesem Abschnitt die Stelle, wo die Mutter an einem anderen Kind den Pullover ihres Sohnes wiedererkennt. Sie versucht sich an jegliche Hoffnung zu klammern - wider aller Wahrscheinlichkeit. Schlimm!
Ich habe schon soo viel über diese Zeit gelsen, aber immer wieder bin ich tief erschüttert und kann das Geschehene einfach nicht begreifen - so unvorstellbar.
Gerade durch solche individuellen Schicksale bekommt das Grauen ein Gesicht. Man kann sich nicht Millionen Opfer vorstellen, das ist eine unfassbare Zahl, aber durch Geschichten Einzelner kann man ermessen, was passiert ist. Deshalb verstehe ich nie, wenn manche meinen, sie hätten nun genug gehört davon. Nein, jede Geschichte ist es wert, erzählt und nicht vergessen zu werden.
Es ist extrem schwer sich dem Schicksal dieser Menschen zu stellen. Alle sind gebrochen, haben eine tragische Geschichte zu erzählen und erleben dann den Angeklagten, der sich sogar vor Gericht aus der Affäre zieht indem er gar nicht erscheint, oder die Aussage verweigert.
Solche Prozesse waren unglaublich belastend für die Opfer - nochmals alles wieder zu erleben, dem früheren Peiniger gegenüber zu stehen und der bleibt davon völlig unberührt.