Da hätte ich mir auch ein ruhigeres Erzähltempo gewünschten, aber es war für mich noch im RahmenAber dann ging mir wieder alles viel zun schnell. Vor allem das Leben von Ilyas, dem Jüngeren, wurde fix runtererzählt nachdem die Geisterbeschwichtigung stattgefunden hatte.
Das ging mir auch so - ich habe beim Lesen kaum Luft holen können und weiß auch gar nicht, warum ich die kurze Aufzählung von Ilyas Lebensstationen in diesem Roman brauche. Für mich hätte er gut mit dem Brief der Pastorenfrau enden können. Vielleicht wollte Gurnah aber aufzeigen, dass Ilyas Bewunderung und Liebe für Detschland und die Deutschen ihn nicht vor dem KZ hat retten können? Sehr tragisch.Literarisch enttäuscht war ich von den letzten Seiten. Hätte über diesem Herunterrasseln des Lebens von Ilyas, dem Älteren, noch ein "Epilog" gestanden, hätte ich es besser tolerieren können. Aber so kippte plötlich die sowieso schon angezogene Erzählgeschwindigkeit ins höchst komprimierte Maß und raste dahin.
Vielleicht wollte er zeigen, wohin derart subjektive Sichtweisen politischer Dimensionen führen können. Es liegt schon eine krasse Ironie darin, dass ausgerechnet Ilyas so zu Tode kommt.Vielleicht wollte Gurnah aber aufzeigen, dass Ilyas Bewunderung und Liebe für Deutschland und die Deutschen ihn nicht vor dem KZ hat retten können?
Das ist zumindest im "Paradies" nicht der Fall.Ich könnte diesen Schachzug des schnellen Zusammenfassens von Ilyas', dem Älteren, Leben könnte für mich noch Sinn machen, wenn er vielleicht in einem früheren Buch von Gurnah bereits eine Hauptrolle hatte und wir dort sein Leben im Detail und mit Tiefe erzählt bekommen hätten.
Total ungebildet war Ilyas ja nicht. Er konnte sehr gut Deutsch und wäre also auch in der Lage gewesen, Schriften, die in der Weimarer Republik erschienen sind zu lesen und zu kapieren, dass Nazi-Deutschland ihn nicht mitdenkt, ihn ausschließen wird. Ich musste aber bei seiner Faszination für Deutschland und dessen nationalsozialistische Politik in den Anfängen an die vor ein paar Monaten gelesene AutobiografieMenschen sind so, gnadenlos subjektiv. Man darf nicht vergessen, dass dies alles total ungebildete Leute waren. Woher hätten sie einen Kontext heranziehen können?
Zu Beginn, im ersten LA, hieß es noch, Sozial- und Infrastrukturprojekte würden sie in den Kolonien nur aus dem Grund durchführen, um zu Hause und gegenüber den Nachbarn gut dazustehen. Für den "guten Ruf des Kaiserreichs" eben. Diese Skepsis ist mit der Lebenszeit von Hamsa und seinen Verwandten wohl gewichen.Sie setzten Bildung und öffentliche Gesundheitsfragen an erste Stelle. Sie starteten groß angelegte Kampagnen, um die Bevölkerung in Gesundheitsfragen zu beraten, medizinische Fachkräfte auszubilden und in den entlegenen Gebieten der Kolonie Krankenstationen zu eröffnen."
Hier bin ich gegenteiliger Ansicht. Mehr ausgezählt werden, hätte ein eigenes Buch bedeutet.Aber wenn ich den Roman jetzt mal als alleinstehendes Werk betrachte, lässt mich dieses abgehetzte Ende eher unzufrieden zurück. Hier hätte ja auch mal etwas unausgesprochen lassen können.
Auch das Leben von Afiya und den anderen Figuren, die mir ans Herz gewachsen waren, wird im Zeitraffer regelrecht abgespult.
Diese Botschaft kommt sehr gut rüber und war möglicherweise ein Anliegen des Autors.Positiv fällt mir auf, dass Gurnah keinerlei Urteil fällt. Es ist natürlich klar, dass die Kolonialmächte sich extrem schuldig gemacht haben - Hundertausende Tote, die niemand für nötig hielt, auch nur zu zählen. Aber in den Einzelfällen gibt es auf beiden Seiten Hell und Dunkel, oft in einer Person vereint.
Ja und mitten im Geschehen fehlt den Menschen der Überblick. Als Nachgeborener lässt sich leicht urteilen, da weiß man über die weitere Entwicklung.Menschen sind so, gnadenlos subjektiv. Man darf nicht vergessen, dass dies alles total ungebildete Leute waren. Woher hätten sie einen Kontext heranziehen können?
Er dürfte geahnt haben, dass sein damaliges Verhalten ihr gegenüber nicht in Ordnung war. Vielleicht wollte er garnicht mehr wissen, wie es ihr weiter ergangen ist, aus einem Schuldgefühl heraus.Es lag ihm etwas an ihr - und er konnte nicht wissen, wie es ihr ergangen ist
Bildung war kein Hindernis, sich den Nazis anzuschließen.Total ungebildet war Ilyas ja nicht. Er konnte sehr gut Deutsch und wäre also auch in der Lage gewesen, Schriften, die in der Weimarer Republik erschienen sind zu lesen und zu kapieren, dass Nazi-Deutschland ihn nicht mitdenkt, ihn ausschließen wird.
Sehe ich genauso.Die Auflösung der Geschichte (Wie rückt Ilyas tatsächlich in den Vordergrund) finde ich famos! Dieses Ende hat mich komplett überzeugt und gibt für mich dem ganzen Roman Sinn und Richtung.
Mir ging es um die Zeit in der Weimarer Republik, in der er ja nach meinem Verständnis in Deutschland angekommen ist. Und in dieser Zeit wurde in Zeitungen durchaus noch kritisch über die neue nationalsozialistische Bewegung berichtet, erst später wurde alles ausgelöscht und verhindert, was hätte kritisch sein können.Welche Schriften? Alles Kritische war aus den Bibliotheken entfernt.
Umso mehr konnte er sich nicht vorstellen, dass er aufgrund seiner Rasse inhaftiert werden konnte.und sich aktiv den Nazis anzuschließen und so überzeugt von der Sache für eine Rekolonisierung etc. zu kämpfen, wie es Ilyas‘ Geschichte ist.
Doch. Er konnte Deutsch, aber Bildung ist was anderes. Geschichte, Geografie, Literatur, Mathematik, Physik, Biologie ... Und die Rezeption anspruchsvoller Texte ist noch eine ganz andere Hausnummer.Total ungebildet war Ilyas ja nicht.
Das ist richtig, es gehört schon viel dazu. Mein Eindruck aus dem ersten Teil des Buches war aber schon, dass Ilyas in seiner Freundschaft mit Khalifa und dessen Bekanntenkreis schon recht weltmännisch geworden ist. So wurde er auch im Vergleich zur Dorfbevölkerung, als er in sein Heimatdorf zurückkam, beschrieben. Keine Frage, ich unterstelle ihm nicht, dass er universalgelehrt war, so wie es heutzutage zu einer normalen Schulbildung mit all ihren Fächern gehört, aber mein Eindruck war, dass er vom Farmer doch etwas mehr beigebracht bekommen hat als nur die Sprache und er somit gebildeter war als vergleichsweise die Landbevölkerung. Er machte auf mich durchaus einen intelligenten Eindruck als junger Mann. Aber vielleicht verschwimmt auch meine Erinnerung mit den Schilderungen zu Hamza.Doch. Er konnte Deutsch, aber Bildung ist was anderes. Geschichte, Geografie, Literatur, Mathematik, Physik, Biologie ... Und die Rezeption anspruchsvoller Texte ist noch eine ganz andere Hausnummer.
Keine Frage. Aber das ist nicht das Gleiche wie Bildung.Landbevölkerung. Er machte auf mich durchaus einen intelligenten Eindruck als junger Mann.
Ilyas ist Gurnahs Beispiel für die innere Kolonisierung. Es macht was mit einem, wenn man ständig hört, dass man zu einem Volk von Wilden gehört, dass die andere Kultur überlegen ist ... und gefühlt war sie das ja auch, mit all den technischen Errungenschaften, mit der durchorganisierten Logistik, den Waffen, dem militärischen Drill ... die Deutschen haben die afrikanische Kultur einfach platt gemacht, und niemand hatte die Macht, die afrikanische Sichtweise in die Geschichtsbücher einzuschreiben. Geschichte schreiben die Sieger. Und sich mit den Verlierern zu identifizieren ist schwer.sich aktiv den Nazis anzuschließen und so überzeugt von der Sache für eine Rekolonisierung etc. zu kämpfen, wie es Ilyas‘ Geschichte ist. Mir geht es auch nicht darum anzuzweifeln, dass es das gegeben hat.
Nachtrag: Viele Gebildete halten sich für intelligent. Manchmal ein Irrtum.Keine Frage. Aber das ist nicht das Gleiche wie Bildung.
Noch ein Nachtrag: Ilyas war dieser Indoktrination bereits als Kind ausgesetzt; er wurde in einer Missionsschule erzogen. Interessant in diesem Zusammenhang - und auch in der durchaus ambivalenten Figur des Pastors, der Hamza gerettet hat - ist die Rolle der Kirche, die den Machthabern mal wieder in die Hände spielt, wie so oft in ihrer Geschichte.Ilyas ist Gurnahs Beispiel für die innere Kolonisierung. Es macht was mit einem, wenn man ständig hört, dass man zu einem Volk von Wilden gehört, dass die andere Kultur überlegen ist ... und gefühlt war sie das ja auch, mit all den technischen Errungenschaften, mit der durchorganisierten Logistik, den Waffen, dem militärischen Drill ... die Deutschen haben die afrikanische Kultur einfach platt gemacht, und niemand hatte die Macht, die afrikanische Sichtweise in die Geschichtsbücher einzuschreiben. Geschichte schreiben die Sieger. Und sich mit den Verlierern zu identifizieren ist schwer.