Rezension (5/5*) zu Treue: Roman von Hernan Diaz

Emswashed

Bekanntes Mitglied
9. Mai 2020
2.741
9.810
49
Buchinformationen und Rezensionen zu Treue: Roman von Hernan Diaz
Kaufen >
"Die Genealogie des Geldes"

"Wenn Kapital Kapital erzeugt, das Kapital erzeugt" dann hat man das Perpetuum Mobile des wachsenden Reichtums entdeckt und kann die Finanzmärkte beherrschen. So zumindest ergeht es Benjamin Rusk, dessen Vorfahren den Grundstein ihres Familienvermögens im Tabakhandel legten. Rusk jedoch stößt nach den ersten Wirtschaftskrisen, die Amerika Ende des 19. Jahrhunderts erschütterten, die verderbliche Ware ab, zieht nach New York und investiert lieber an der Börse. Sein Aufstieg ist kometenhaft, seine Bewunderer versuchen seinen Strategien zu folgen, doch Rusk scheint dem Geschehen auf dem Parkett immer einen Schritt voraus zu sein.
Die ersten Börsenbeben der 1920er Jahre lassen ihn immer reicher werden und als es schließlich 1929 zum großen Crash kommt, viele Geschäftsleute ruiniert sind und die Krise im Land erschreckende Ausmaße annimmt, werden die kritschen Stimmen laut, die behaupten, dass dieser Schlamassel allein Rusk anzurechnen wäre.

Im Geschäftlichen läuft alles bestens, Rusk hat eine außerordentliche Begabung für Zahlen. Seine Frau Helen hingegen engagiert sich für die Kunst und sieht sich verpflichtet, mit den steigenden Gewinnen ihres Mannes, ihre Wohltätigkeit auszuweiten. Sie scheint das komplette Gegengewicht ihres geschäftstüchtigen Ehemannes zu sein und geht in ihrem Mäzenentum auf, bis sie eines Tages krank wird und das Erbe ihres Vaters, der dem Wahnsinn verfiel, antritt.

Harold Vanner weiß von dieser Familiengeschichte zu erzählen und hat einen kurzen Roman darüber verfasst, dem Diaz einen Platz an erster Stelle seines Buches gibt.

Im Anschluss erfahren wir von einem ganz ähnlichen Finanzmagnaten an der New Yorker Börse. Es ist die Autobiografie des Andrew Bevel. Sie weist Lücken auf, ist mit Platzhaltern versehen und kleinen Notizen, wie diese zu einem späteren Zeitpunkt zu füllen seien.

Hintereinander gelesen, bekommt der vorangegangene Roman ein Innenleben und was eben noch eine Erkenntniss war, darf bezweifelt werden. Doch Diazs "Treue" begnügt sich nicht mit einer Schachtel in der Schachtel, sondern der Leser darf sich noch auf zwei weitere Ebenen begeben, bevor er herausfindet, dass....

Haha, nein! Es wäre ein Verbrechen einem zukünftigen Leser das Vergnügen des Auspackens einer raffiniert verstrickten Geschichte zu nehmen, die wirklich bis zum Schluss überraschend bleibt. Aber selbst wenn man ahnt, dass hinter den großartigen und zitierungswürdigen Passagen, eine noch weitaus schockierendere Geschichte erzählt wird, kann man die ersten "Umverpackungen" nicht vergessen.

Diaz weiß mit Worten, Längen, Vergleichen und Andeutungen, die es zu deuten gilt, umzugehen und hat mich mit einer intelligenten, fulminanten Geschichte überzeugt. Absolut klasse!

 

Beliebteste Beiträge in diesem Forum