5. Leseabschnitt: "Eine leidenschaftliche Beziehung zu Worten" bis "Die Anfänge unserer Seltsamkeit" (ab S. 326)

Literaturhexle

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2. April 2017
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5. Leseabschnitt: "Eine leidenschaftliche Beziehung zu Worten" bis "Die Anfänge unserer Seltsamkeit" (ab S. 326)
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Auf Wunsch einer jungen Dame, trete ich aus ihrem Windschatten und halte die Fahne hoch: hier entlang, liebe Mitlesenden, hier entlang!

In mir formte sich gerade der Gedanke, dass vorliegendes Buch wohl genau das richtige für die einsame Insel sei... da, zack! wird dieser Ort kurz vor Ende des Abschnitts erwähnt. Ich würde mich gern versteigen und behaupten, Frau Vallejo und ich ticken gleich. Aber ich befürchte, sie hat mich einfach indoktriniert... auf ganz hinterlistige, subtile und gänzlich unterhaltsame Art und Weise.

Aber ich greife vor. Pfui!

Zunächst gehts ja um die Bestseller Homer und Euripides und dass die Ilias vor der Odyssee auf Platz eins stand. Und da sind wir dann auch schon wieder bei den Listen und den 10 Besten.
Logografen schrieben die Plädoyers für Klienten vor Gerischt. Das Recht basierte auf Rhetorik. Ein wenig erinnern Geschworenengerichte heute noch daran.
Aber worauf ich eigentlich hinauswill, dass der Name Atticus aus dem Roman "Wer die Nachtigall stört" im Kanon der 10 großen attischen Redner begründet ist. Ich las den Roman erst diesen Monat. Was für ein Timing.

Wie oft rezitierte ich schon "Sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.", aber erst jetzt wird mir bewusst, was es eigentlich bedeutet. Gänsehaut!

Und dann kommt der "verblüffend schizophrene" Platon mit seiner "Mischung aus freien Denken und autoritären Impulsen" der jedem Diktator eine Steilvorlage bietet. Ihm haben wir die Idee des absichtlichen Bücherverbrennens zu verdanken und natürlich viele, viele Romanvorlagen.

Über die unabhängige Hypatia hinaus drängt sich dann plötzlich das sehr emotionale und autobiografische 86. Kapitel, dass mich dann doch sehr berührt hat. Kann nur aus Leid Großartiges erwachsen? Zumindest schärft es den Blick für die Welt.

Aber im Grunde haben wir die Griechen schon verlassen und sind bei Kleopratas römischen Galanen, Julius und Mark Antonius. Zeit für die Wege Roms.
 

Lesehorizont

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29. März 2022
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Mainz
Auf Wunsch einer jungen Dame, trete ich aus ihrem Windschatten und halte die Fahne hoch: hier entlang, liebe Mitlesenden, hier entlang!
Hahaha :rofl
Das gefällt mir :thumbsup
War aber natürlich nicht so ernst gemeint von mir. Stecke nur fest im Abschnitt, weil so wahnsinnig viel wieder drin streckt und ich es genießen möchte. Evtl. poste ich später ein Zwischenfazit...
 

Sassenach123

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27. Dezember 2015
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Mir gefallen die vielen Hintergrundgeschichten zu bekannten Werken, wie in diesem Abschnitt zu “Wer die Nachtigall stört", Tom Sawyer, oder die Märchenerzähler wie die Gebrüder Grimm. Interessant in dem Zusammenhang fand ich, dass auch früher schon zensiert wurde, zum Wohle der Jugend, wo man sich mittlerweile manchmal fragt, was vom Ursprungstext noch geblieben sein mag. Sogar Debatte um Schulsysteme gab es bereits, wie man an den Ausführungen zu Platon herausliest, herrlich, im Grunde hat sich nicht viel geändert
Die Erwähnung des Necronomicon hat mich besonders gefreut, da ich die Dynamik, die dieses Werk ausgelöst hat, immer sehr faszinierend empfand.

Bücher und Feuer, keine gute Kombination, wie uns Vallejo erklärt, man mag sich gar nicht vorstellen was Feuer schon angerichtet haben, oder noch könnten. Und der Brand in der Bücherei von Alexandria? Was ist wirklich geschehen?

Neben vielen bekannten Berühmtheiten aus der Antike, erfahre ich besonders gern etwas über mir bis dahin völlig unbekannte, so wie zum Beispiel Hypatia, auch wenn die Geschichte nicht sehr appetitlich ist, und ihr Ende obendrein sehr tragisch ist.

Aber nicht nur damals wurden Bücher zerstört. Auch in der jüngeren Vergangenheit geschah dies oft, wie wir wissen. Auch wenn mir dies alles geläufig war, ist es doch erschreckend, es dann hier noch einmal aufgezeigt zu bekommen.

Dieses Buch werde ich wohl tatsächlich erneut lesen müssen, ich habe nämlich ständig das Gefühl das mir etwas entgangen ist
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Dieses Buch werde ich wohl tatsächlich erneut lesen müssen, ich habe nämlich ständig das Gefühl das mir etwas entgangen ist

Ja, so empfinde ich das auch. Mit jeder "Abschweifung", die aber doch dringlichst zum Text gehört, wie der Schaum zum Vollbad, poppen neue Felder auf, die wiederum ganz eigene kleine Welten enthalten. Zum Beispiel Emanzipation, psychologische Bilder in Texten, Manipulationen in vielfältiger Form...
Wie gesagt, das wäre ein Buch für die Insel, wenn ich auch gleich die Sekundärliteratur dazu mitnehmen dürfte.
 

petraellen

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11. Oktober 2020
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"Im Fall des ehemaligen Jugoslawien war das Ausradieren der Vergangenheit von ethnischen Hass motiviert. Von 1992 bis zum Ende des Krieges wurden 188 Bibliotheken und Archive angegriffen. " S. 391
Und heute?

Die Bibliothek in Tschernihiw - Ukraine - durch russische Luftangriffe zerstört / Bild: Denis Vejas

"Wenn ein Buch brennt, wenn ein Buch zerstört wird, wenn ein Buch stirbt, wird etwas von uns für immer verstümmelt. Wenn ein Buch brennt, sterben alle Leben, die es möglich gemacht haben, alle Leben, die darin enthalten sind, und alle Leben, denen dieses Buch noch Wärme und Wissen, Intelligenz, Genuss und Hoffnung hätte spenden können. Ein Buch zu zerstören, ist buchstäblich Mord an der menschlichen Seele."

Arturo Pérez-Reverte als Kriegsberichtserstatter über die Angriffe auf die Nationalbibliothek von Sarajewo.
 
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petraellen

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Dieses Buch enthält so viel historisches Wissen, interessante Fakten. Man kann es immer wieder lesen.
Denn allein der Verstand verjüngt sich mit den Jahren, und die Zeit, die uns alles Sonstige entreißt, fügt dem Alter Weisheit hinzu.“ (Seite 237)

 

luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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Wieder ein ganz toller Abschnitt und wieder informativ und sehr weise.

Hier sind einige wichtige Aspekte vertreten, die mich auch früher schon selbst immer wieder beschäftigen:

Faszinierend ist doch einfach die Tatsache, was Bücher bewirken können - wie hier (leider in sehr negativem Sinn) "Die Leiden des jungen Werthers". Wenn Zeitgeist und Literatur sich auf eine spezielle Weise vereinigen, dann kann da schon eine explosive Mischung entstehen.

Dass man durch Bücherverbrennung "unliebsame" Ideen und Gedanken zerstören wollte, ist ja eine sehr tragfähige und langanhaltende Methode gewesen. Heute würde es wohl nicht mehr ganz so umfassend funktionieren, das hat das Internet (es sei denn es wird von Regierungen ebenfalls zensiert, das erleben wir ja auch in einigen Ländern gerade und immer wieder) doch zumindest weltweit gesehen etwas schwieriger gemacht.

Ganz besonders spannend ist für mich ja immer wieder die "Übersetzung" - da hätte Frau Vallejo für mich ruhig noch etwas ausführlicher werden dürfen. "Übersetzung" ist tatsächlich in gewisser Weise ein schöpferischer und vor allem interpretatorischer Akt: Warum dieses Wort und nicht jenes, welche Sprachnuance ändert sich, welches Sprachniveau wird hier genutzt? Eine Übersetzung kann die ganze Wirkung eines Textes verändern.

Und zu guter Letzt natürlich: die Abänderung alter Text, um sie unserer empfindsamen "political correctness" anzugleichen. Ein heikles Thema, aber ich unterschreibe jedes Wort, das Frau Vallejo dazu äußert. Literatur ist auch Zeitzeuge eines Zeitgeists und wer sind wir eigentlich, dass wir uns dazu aufschwingen und nun meinen "Verbesserungen" in Klassikern anzubringen? Tatsächlich wird wirklich der kritische Umgang mit Literatur eingeschränkt, wenn vorher schon alles nicht so Konforme entfernt wird - und Literatur soll doch auch fordern und ärgern und aufregen und bewusst machen usw..."weichgespült" wird das nichts. Im Grunde ist auch diese Eliminierung von damaliger Wortwahl eine Form der Zensur - und es steht einem ja auch frei, etwas nicht zu lesen.

Neben vielen bekannten Berühmtheiten aus der Antike, erfahre ich besonders gern etwas über mir bis dahin völlig unbekannte, so wie zum Beispiel Hypatia, auch wenn die Geschichte nicht sehr appetitlich ist, und ihr Ende obendrein sehr tragisch ist.
Hypatia ist eine sehr faszinierende Figur. Über sie gibt es einen tollen Film mit Rachel Weisz: "Agora - Die Säulen des Himmels" https://www.imdb.com/title/tt1186830/?ref_=fn_al_tt_1
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Wenn Zeitgeist und Literatur sich auf eine spezielle Weise vereinigen, dann kann da schon eine explosive Mischung entstehen.

Heute liegt der Zeitgeist wohl eher bei den (teils gefährlichen) tic-Toc-Challenges.
Ganz besonders spannend ist für mich ja immer wieder die "Übersetzung" - da hätte Frau Vallejo für mich ruhig noch etwas ausführlicher werden dürfen.

Dazu gibt es von David Bellos "Was macht der Fisch in meinem Ohr", eine umfangreiche Gedankensammlung zu Übersetzungen.... Vallejos Rahmen hätte es wohl gesprengt.
Im Grunde ist auch diese Eliminierung von damaliger Wortwahl eine Form der Zensur - und es steht einem ja auch frei, etwas nicht zu lesen.

Ein zweischneidiges Schwert, wenn man bedenkt, dass unsere Kultur sich auf der alten aufbaut und Gedankengut weitergetragen wird. Vielleicht wären kommentierte Ausgaben, wie bei AH Kampf eine Lösung?!
 

luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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Ein zweischneidiges Schwert, wenn man bedenkt, dass unsere Kultur sich auf der alten aufbaut und Gedankengut weitergetragen wird. Vielleicht wären kommentierte Ausgaben, wie bei AH Kampf eine Lösung?!
In der Tat. Genau darüber hatte ich auch schon beim Verfassen von meinem Beitrag oben nachgedacht. Nicht jeder Leser verfügt über das Vorwissen, das die Lektüre in den nötigen Kontext setzt. Auf der anderen Seite gleicht man natürlich das Gelesene auch immer mit dem Status quo ab, ein Großteil der Leserschaft sollte also - wenn man optimistisch denkt :) - bemerken, was heute als unangebracht und inakzeptabel wahrgenommen wird.
Ich könnte mir jedoch vorstellen, dass kommentierte Ausgaben besonders bei Kinder- und Jugendbüchern, von denen Vallejo ja auch spricht, eher schwierig umzusetzen sind.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Ich bin noch nicht durch mit dem Abschnitt, aber
wir machen einen RIESENZEITSPRUNG
Von Seite 367, da sind wir bei Kleopatra 30 v. Chr. bis Seite 373 - wir sind urplötzlich im 3. Jahrhundert (also bis 299) NACH Christus.
Wahrlich, wenn wir dazu nicht unsere SiebenMeilenStiefel anhatten.

Da ihr alle an mir vorbei seid (oder Lesehorizont) kann ich ja ruhig sagen, dass ich Suizide aufgrund von Lektüren wie Die Leiden des jungen Werther oder Phaidon (hab nicht begriffen, was da drin steht) - für völlig unsinnig halte. Menschen, die sich deshalb umbringen, bei denen stimmte vorher schon etwas nicht. Und wenn es nicht das Buch gewesen wäre, hätte es eben einen anderen Auslöser gegeben.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Phaidon von Platon: Ah ja, das war iso ein Dialog zwischen Sokrates und iwem und es ging um die Unsterblichkeit der Seele. Klar, stürzt man sich in den Tod kann man sofort "herausfinden", was Sache ist. Wenn es da nicht diesen kleinen Zipfel Unwägsamkeit gäbe - und echt jetzt, man erfährt es früh genug. Auf natürliche Weise.
 

petraellen

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11. Oktober 2020
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Heute liegt der Zeitgeist wohl eher bei den (teils gefährlichen) tic-Toc-Challenges.


Dazu gibt es von David Bellos "Was macht der Fisch in meinem Ohr", eine umfangreiche Gedankensammlung zu Übersetzungen.... Vallejos Rahmen hätte es wohl gesprengt.


Ein zweischneidiges Schwert, wenn man bedenkt, dass unsere Kultur sich auf der alten aufbaut und Gedankengut weitergetragen wird. Vielleicht wären kommentierte Ausgaben, wie bei AH Kampf eine Lösung?!
Astrids Lindgrens „Negerprinzessin“ (Pipi Langstrumpg oder Michaels Endes „kleine Neger“ in Jim Knopf zu entfernen was hat das erreicht?
Rassismus ist davon nicht weniger geworden. Werden Frauen nun höher geachtet, besser bezahlt und seltener misshandelt?
Ich kann mit vorstellen, dass gerade Verbote dazu verleiten, die alte Fassung zu lesen. Besser wäre es diese Bücher so zu lesen wie sie geschrieben wurden und im Kontext der damaligen Zeit einordnen. Das hilft m.E. auch Kindern zu verstehen, wie sich die Zeit verändert, um die Wahrnehmung in der heutigen Zeit einzuordnen.
 

Wandablue

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18. September 2019
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Brandenburg
Insgesamt hat mich dieser Abschnitt am meisten berührt. Die Frauendiskriminierung, der Mord an Hypatia, die Brände der Bibliotheken.
Mir war der Brand der Nationalbibliothek in Sarajewo völlig unbekannt. Da sieht man mal wieder, worüber wir berichten in den News. Ausufernd kann es nicht gewesen sein. Der Hass gegenüber dem Buchwissen war mir auch unklar in dieser Schärfe.
Also inhaltlich hat mich der Abschnitt voll abgeholt, aber chronologisch war es ein ziemliches Gewurschtel. Auf den persönlichen Abschnitt/Bericht der Autorin hätte ich gerne verzichtet. Das ist privat und geht mich nichts an.
 

Emswashed

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9. Mai 2020
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Auf den persönlichen Abschnitt/Bericht der Autorin hätte ich gerne verzichtet. Das ist privat und geht mich nichts an.

Ja, der sah ziemlich "hineingeschmissen" aus. Im Nachhinein denke ich, dass es nochmal verdeutlicht, wieviel Herzblut in diesem Projekt steckt.


Außerdem gibt sie hier ein wunderbares Beispiel für Texte, versteckt in Büchern ab. Es passt so augenfällig nicht hinein, dass es vielleicht pure Absicht war.
 

luisa_loves-literature

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9. Januar 2022
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Mir hat das auch nicht gefallen. Ich mag ihre Gegenwartsverweise und ihre Bezüge zu anderen literarischen oder filmischen Werken außerordentlich gern, aber ihre persönliche Biographie musste ich jetzt auch in dieser Form nicht haben. Die Passage in einem früheren Teil, wo sie z.B. von der Bibliothek in Florenz berichtet, fand ich sinnvoll, aber diese Grundschulepisoden empfinde ich als nicht ergiebig. Das hat für mich etwas Mitleid heischendes.