3. Leseabschnitt: Teil II. Kapitel 16 bis 29 (S. 188 bis 273)

Circlestones Books Blog

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28. Oktober 2018
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Wienerin auf Rügen
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In diesem Abschnitt sind für mich besonders die vom Autor aus völlig unterschiedlichen Quellen geschilderten Erinnerungen dieser letzten Kriegsjahre interessant, völlig gegensätzlich. Griet ist nach wie vor von der deutschen Idee überzeugt. Was genau verband sie mit Willem? Sah sie in ihm wirklich ihren Helden? Erklärt dies die starke sexuelle Anziehung, oder versprach sie sich einfach Vorteile von der Beziehung zu Willem? Diese Fragen stellen sich mir mehrmals. Letta bringt es in ihrer deutlichen Aussage auf den Punkt, im Grunde war ihr Vater ein Feigling - auch für mich ist er in erster Linie ein Denunziant, Mitäufer, wie sie sich in solchen Extremsituationen immer und überall finden, Menschen, die ihre Vorteile daraus ziehen, ihre Mitmenschen genau zu beobachten und über alles und jeden Meldung machen. Klassisches Beispiel Wiener Hausmeister, die bereitwillig im Nazi-Österreich alle jüdischen Familien im jeweiligen Haus gemeldet haben, in der Hoffnung, so selbst an eine bessere Wohnung zu kommen. Bei Willem war es natürlich mehr, ein sehr gut bezahlter, höherer Posten, seine Familie ist versorgt. Dies entspricht seinem traditionellen Rollenbild, der Mann versorgt die Familie und die Frau sorgt für Kinder, Haus und Mann, und fügt sich (das schweigende Fügen funktioniert bei Mientje auch weiterhin nur so weit, als sie keinen anderen Ausweg weiß). Erstaunlich ist, wie Willem sich selbst mit seinen Listen und dem dauernden Weghören und Wegschauen seine Tätigkeit immer noch schönreden kann, nur sein Gewissen sieht das anders, und natürlich Mien. Was genau es mit diesen eigenartigen Alten Ada und Arnold auf sich hat, kann ich im Moment nicht nachvollziehen, auch nicht, warum sie in die Geschichte mussten. Ja, sie waren damals Nachbarn der Familie Verhulst, später dann von Hertmans. Ada ist nicht bereit mit Hertmans über die damalige Zeit zu sprechen, vielleicht folgt in den nächsten Kapiteln für dieses betonte Schweigen noch eine Erklärung. Mutig die Entscheidung von Mientje zu bleiben. Sehr eindrücklich geschildert wird der große Riss, der dann durch die Bevölkerung ging, ich hatte bisher wenig Ahnung über die damalige Zeit in Belgien. Auch die eigenen Erinnerungen des Autors an 1968 und die Demonstrationen der Studenten sind für mich zeitlos aktuell. Jung und begeistert achtet man nicht immer darauf, mit welchen Gruppierungen man da gerade marschiert.
 

RuLeka

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Was genau verband sie mit Willem? Sah sie in ihm wirklich ihren Helden? Erklärt dies die starke sexuelle Anziehung, oder versprach sie sich einfach Vorteile von der Beziehung zu Willem? Diese Fragen stellen sich mir mehrmals.
Ich glaube weniger, dass es ihr um die Vorteile ging .Sie war wie Willem überzeugte Nazi- Anhängerin und außerdem hat sie ihn bewundert und begehrt. Ihr gefiel wahrscheinlich auch das ganze Umfeld. Als Mädchen aus einfachen Verhältnissen machten die mächtigen Männer Eindruck auf sie.
 

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Ich glaube weniger, dass es ihr um die Vorteile ging .Sie war wie Willem überzeugte Nazi- Anhängerin und außerdem hat sie ihn bewundert und begehrt. Ihr gefiel wahrscheinlich auch das ganze Umfeld. Als Mädchen aus einfachen Verhältnissen machten die mächtigen Männer Eindruck auf sie.
Das war auch genau mein Eindruck. Und dadurch hat sie ja in mancherlei Hinsicht im Vergleich zu Willems Frau Vorteile, die sein Tun und Handeln permanent kritisch beäugte.
 

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Hier in diesem Abschnitt geht es ausführlich um die letzten Kriegsjahre.
Gewissen hin oder her, Willem tut das, was von ihm verlangt wird. Insofern vielleicht ein typisches Verhalten vieler zu dieser Zeit. Er scheint ja auch sehr um den eigenen Vorteil bedacht, ebenso in einer Position zu ein, die es erlaubt, für seine Familie zu sorgen.
Krass finde ich seine Liebschaft mit Griet. Schickt er tatsächlich Frau und Kinder in ihr Haus, während er sie zu sich holt, um sich mit ihr zu amüsieren? Seine Frau hingegen weiß wohl Bescheid.
Nach dem Krieg dann, wird WIllem gesucht. Er soll zur Verantwortung gezogen werden, für das, was er zu verantworten hat.

Das Buch liest sich zwar nach wie vor gut, es fesselt mich aber nicht wirklich. Es gibt so viele herausragende Werke über dieses dunkle Kapitel der Geschichte, wo Umstände und Akteure sehr authentisch beschrieben werden. An dieser Stelle hat das Buch für mich nicht genügend Tiefgang, leider.
 

RuLeka

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Krass finde ich seine Liebschaft mit Griet. Schickt er tatsächlich Frau und Kinder in ihr Haus, während er sie zu sich holt, um sich mit ihr zu amüsieren? Seine Frau hingegen weiß wohl Bescheid.
Willem ist ein schrecklicher Ehemann. Mientje verweist er ständig auf ihren Platz als Hausfrau und Mutter, die sich nicht einmischen soll in seine „ Arbeit“, die das eh nicht versteht. Dabei ist Mientje viel weitsichtiger als er und hat eine ethische Richtschnur, was ihm zu fehlen scheint. Er nimmt sich, was ihm seinem Verständnis nach zusteht.
Befremdet hat mich auch sein erster Heiratsantrag, kaum ist seine erste Frau begraben. Griet bewundert ihn und teilt seine Gesinnung, beides ist natürlich schmeichelhafter als Meintjes Kritik.
Das Buch liest sich zwar nach wie vor gut, es fesselt mich aber nicht wirklich. Es gibt so viele herausragende Werke über dieses dunkle Kapitel der Geschichte, wo Umstände und Akteure sehr authentisch beschrieben werden. An dieser Stelle hat das Buch für mich nicht genügend Tiefgang, leider.
Schade! Ich finde auch hier Authentizität und Tiefgang. Viele Bücher über diese Zeit erzählen von der Opferseite her, das schafft beim Leser natürlich viel mehr Empathie, berührt vielmehr.
 

Querleserin

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An dieser Stelle hat das Buch für mich nicht genügend Tiefgang, leider.
Vielleicht liegt es das daran, dass er sich nach wie vor an die Fakten hält und wir selten tief in die Gedanken der Figuren blicken. Trotz allem ist das, was er erzählt, sehr interessant, auch seine eigenen Erfahrungen am Ende des Leseabschnitts, sein unbedachtes Mitlaufen macht ihm bewusst, wie schnell man zum Mitläufer wird und dafür schämt er sich.
 

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Authentizität und Tiefgang.
Dem stimme ich zu, gerade aufgrund der authentischen Quellen. Mientje, deren Geschichte auch erzählt wird, ist ein Opfer, da sie keine Chance gehabt hat, dieser schrecklichen Ehe zu entgehen. Mutig, wie sie sich denen entgegenstellt, die Willem suchen. Sie wird zunehmend selbstbewusster - ohne Willem.
Sehr schön fand die Geschichte des Blauregens.
 

Querleserin

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Zum Tiefgang: Die Episode am Ende des LA spiegelt die Reflexionen des Autors wider und er stellt sich und uns die Frage, wie schnell man die Täter verurteilt und wie schnell man vielleicht selbst andere aus Angst denunziert hätte. Insofern werden nicht nur Fakten, sondern auch Denkanstöße gegeben. Auch die Erinnerungen der Töchter zeichnen ein differenziertes Bild von Willem. Und Hertmans kritisiert unumwunden Griets Erinnerungen, die alles Kritische auslässt, setzt sich also kritisch mit dieser Quelle auseinander. Insofern bietet er aus meiner Sicht Tiefgang.
 

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Willem ist ein schrecklicher Ehemann. Mientje verweist er ständig auf ihren Platz als Hausfrau und Mutter, die sich nicht einmischen soll in seine „ Arbeit“, die das eh nicht versteht. Dabei ist Mientje viel weitsichtiger als er und hat eine ethische Richtschnur, was ihm zu fehlen scheint. Er nimmt sich, was ihm seinem Verständnis nach zusteht.
Befremdet hat mich auch sein erster Heiratsantrag, kaum ist seine erste Frau begraben. Griet bewundert ihn und teilt seine Gesinnung, beides ist natürlich schmeichelhafter als Meintjes Kritik.
So sehe ich das auch. Er ist ein Egozentriker, denkt nur an sich und sein Wohl. Mit Kritik scheint er nicht umgehen zu können.
So hat er es bei Griet leichter als bei Mientje.
Bzgl. des 1. Heiratsantrages empfand ich ähnlich. Aber nun ja, manche haben kein Problem, ihr Herz gleich jemand anderem zu öffnen und zu schenken...
 

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Schade! Ich finde auch hier Authentizität und Tiefgang. Viele Bücher über diese Zeit erzählen von der Opferseite her, das schafft beim Leser natürlich viel mehr Empathie, berührt vielmehr.
Es ist ein sehr nüchterner, fast ausschließlich von Fakten getragener Zugang zur Thematik und zur Figur Willem. Vielleicht stört mich das. Zu wenig Auseinandersetzung mit seiner Psyche und dessen Abgründen. Meist bleibt alles auf deskriptiver Ebene.
 

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Vielleicht liegt es das daran, dass er sich nach wie vor an die Fakten hält und wir selten tief in die Gedanken der Figuren blicken. Trotz allem ist das, was er erzählt, sehr interessant, auch seine eigenen Erfahrungen am Ende des Leseabschnitts, sein unbedachtes Mitlaufen macht ihm bewusst, wie schnell man zum Mitläufer wird und dafür schämt er sich
Ich glaube, Du triffst ins Schwarze - zumindest, was den ersten Punkt betrifft.
Aber schämt er sich wirklich? Da wäre ich mir nicht so sicher...
 

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Zum Tiefgang: Die Episode am Ende des LA spiegelt die Reflexionen des Autors wider und er stellt sich und uns die Frage, wie schnell man die Täter verurteilt und wie schnell man vielleicht selbst andere aus Angst denunziert hätte. Insofern werden nicht nur Fakten, sondern auch Denkanstöße gegeben. Auch die Erinnerungen der Töchter zeichnen ein differenziertes Bild von Willem. Und Hertmans kritisiert unumwunden Griets Erinnerungen, die alles Kritische auslässt, setzt sich also kritisch mit dieser Quelle auseinander. Insofern bietet er aus meiner Sicht Tiefgang.
Eine kritische Auseinandersetzung mit Fakten, Tagebüchern etc- das schon. Irgendwie ist es mir dennoch zu wenig.
 

Literaturhexle

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Das Buch liest sich zwar nach wie vor gut, es fesselt mich aber nicht wirklich. Es gibt so viele herausragende Werke über dieses dunkle Kapitel der Geschichte, wo Umstände und Akteure sehr authentisch beschrieben werden. An dieser Stelle hat das Buch für mich nicht genügend Tiefgang, leider.
Mir geht es auch so. Ich bekomme so recht zu keinem Protagonisten eine Beziehung. Alles wird relativ distanziert und kalt anhand der Fakten/Quellen "runtererzählt". Ich habe zwar immer mal wieder einen Aha-Effekt, insbesondere, wenn auf widersprüchliche Aussagen hingewiesen wird, aber mir fehlt die Bindung zum Gelesenen.

Wo ist die Relevanz des Willem Verhulst? Er war ein Nazi, der viel Schuld auf sich geladen hat. Er hat seine Frau und seine Familie betrogen. Er ist geflohen, als Konsequenzen drohten. Wie viele andere auch. Interessant ist es, das Thema aus flämischer Sicht beleuchtet zu bekommen, das ist für mich neu.

Der Autor war zweifellos sehr fleißig, was die Recherche angeht. Die Verknüpfung zu seiner eigenen Zeit im Haus mag ein ungewöhnlicher Twist sein, vom Hocker reißt er mich nicht Eine sehr zähe Lektüre nach wie vor.
 

Wandablue

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Meist bleibt alles auf deskriptiver Ebene.
Stimme zu. Fast. Empfinde die Sexszene, S.199 als peinlich. Sex sells. Passt aber hier in dieser Art so gar nicht. Wirkt gewollt.
Ich mag nach wie vor die Art des Erzählens, der Zusammenschau, manche Einzelheiten, die das Buch trotz der Ausführlichkeit der Beschreibungen noch interessant machen. Dennoch, als nicht Ortsansässige, wünschte ich mir in diesem Teil mehr Inhalt. Oder ein zügigeres Voranschreiten der Handlung. Seiten 202 ff. hätte man gut streichen können. Es interessiert mich vielmehr, was der jetztige Hausherr mit dem Haus macht/e. Schließlich konnte er es nach 20 Jahren gut weiterverkaufen. Wie hat er die Feuchtigkeit bekämpft,den Schimmel besiegt? Vllt kommt ja noch was.
Authentisch ist es schon und gut lesbar auch.
 

Wandablue

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Gepackt hat mich die neuerliche Augenattacke, das hört sich an wie ein Augeninfarkt. Stressbedingt. Willlem ist wirklich schwierig zu beurteilen. Auf der einen Seite hat er - bedingt durch sehr wenig Schul-Ausbildung überhaupt keinen echten politischen Durchblick. Er reagiert auf Gutdünken, emotionsgeladen und katapultiert sich damit in Teufels Küche. Erst einmal in Teufels Küche gelandet, handelt er instinktiv - er macht es ihnen recht. Wird aber trotzdem herumgeschubst.
Ich hab nicht immer ganz geblickt, wer gegen wen oder für ist, da nicht in der Materie zuhause. Die Langemarkdivision hat mich da verloren, als wir plötzlich auf dem Friedhof sind. Das waren doch alles freiwillige Kollaborateure oder Leute, die KZAufseher waren, etc, wieso sind wir nun über die drei symbolischen Friedhofskreuze über die Maßen betroffen?
 

Wandablue

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Er war ein Nazi, der viel Schuld auf sich geladen hat.
Unbestritten hat er viel Schuld auf sich geladen. Er war auch gnadenlos. Aber war er ein Nazi? War er antisemitisch? Hat er sich mit den Lehren des Dritten Reiches identifiziert? Ich denke nicht. Er war manchmal Profiteuer, auch Täter, klar, aber eher aus persönlichen Gründen. Das macht es nicht besser, aber Nazi ist was anderes.
 

Wandablue

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Befremdet hat mich auch sein erster Heiratsantrag, kaum ist seine erste Frau begraben.
Willem ist sehr impulsgesteuert, glaubt man dem Autoren.
Das einzige Mal, wo er wirklich durchhält, das ist, als er seine erste Frau im Sterbeprozess begleitet. Das ist aber auch eine sehr schwere Zeit und ich kann verstehen, dass er Trost bei Mine suchte. Nachher hat er auch lange Zeit um sie geworben. Das waren noch seine guten Zeiten.