1. Leseabschnitt: Die ersten 6 Kapitel (Beginn bis Seite 33)

Literaturhexle

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2. April 2017
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Was gibt es über den Einstieg in die Erzählung zu sagen? Das sechste Kapitel trägt den Namen " Babettes großer Gewinn".
 

otegami

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17. Dezember 2021
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Wovon ich ja hellauf entzückt bin: die Darstellung der römischen Zahlen (als Kapitelnummerierung) mit Besteck! Mich (als Genießerin :) ) spricht das besonders an!
Und diese bildhaften Beschreibungen! Z.B. gleich am Anfang: '......liegt Berlevaag wie das Spielzeugdorf eines Kindes aus kleinen Holzklötzchen, die in Grau, Gelb...........
Einfach nur herrlich! Ich 'sehe' das so richtig deutlich vor mir!
 

Anjuta

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8. Januar 2016
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Essen
Nach einem etwas einfallslosen ersten Satz:
In Norwegen gibt es einen langen, engen Fjord zwischen hohen Bergen, den Berlevaag Fjord.
(Vielleicht der schwächste Satz des ganzen Buches / des ersten LAs) fängt mich Tania Blixen dann sehr schnell und intensiv mit ihrer feinen, ruhigen, so sehr präzise Sprache ein. Man fängt in diesen ersten Kapiteln gleich die protestantische Welt des alten Dänemark ein inklusive dessen Gegenbild: den Papisten. "Wohlleben" als große Sünde - diesen Geist der Zeit und des Ortes fängt Blixen trefflich ein. Und dann taucht da Babette auf, die aus dieser Welt des sündigen Wohllebens kommt, dies aber über 14 Jahre hinweg nach außen hin ausblendet. Sie existiert in der Dorfgemeinschaft, die gleichbedeutend ist mit der Gemeinde des verstorbenen Vaters der Schwestern Philippa und Martine ist (eine Glaubens- und Wertegemeinschaft), dennoch als immerwährende Botschaft einer möglichen anderen Existenz, eines möglichen anderen Lebensweges. Das ist atmosphärisch dicht und realistisch von Tania Blixen auf wenigen Seiten auf sehr minimalistische, gleichwohl wirkungsvolle Art und Weise gestaltet und erzählt.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Was mir sofort ins Auge fällt, ist der geänderte Titel. Hieß es früher „ Babettes Fest“ , so heißt es nun “ Babettes Gastmahl“. Ein Fest kann ja vieles sein, da geht es um ein geselliges Beisammensein, einen Anlass usw. , während beim Gastmahl das Gewicht auf dem Essen liegt.
Dann ist natürlich die Gestaltung wunderschön, schon deshalb macht es Freude, das Buch aufzuschlagen.
Mich hat die Autorin auch gleich mit ihren ersten Sätzen. Die bildhafte Beschreibung der Landschaft und der Figuren. Die Glaubensgemeinschaft wird liebevoll, wenn auch kritisch beschrieben. Trotz ihres Glaubens sind sie nicht frei von menschlichen Fehlern.
Der Einstieg setzt auf der Gegenwartsebene der Geschichte ein. Der Probst ist schon lange tot, die Schwestern älter geworden, Babette , ein französisches Dienstmädchen, lebt bei ihnen. Man fragt sich gleich, was eine Französin hier ans Ende der Welt verschlägt und wird sofort aufgeklärt. Sie war auf der Flucht. Um das Wovor und das Warum hierzu erkl, geht die Autorin zurück in die Vergangenheit.
Die Töchter Martine und Philippa waren außergewöhnlich hübsch und es fanden sich auch Verehrer ein.
Ein junger Offizier namens Lorens Löwenhielm war öfter zu Besuch und fand Gefallen an Martine. Doch er fühlt sich ihr moralisch nicht ebenbürtig und geht.
Auch Philippa hatte einen Verehrer, den großen Sänger Achille Papin aus Paris. Er ist verzaubert von Philippas Stimme und möchte sie mitnehmen. Er sieht eine große Zukunft für sie als Sängerin. Er gibt ihr Gesangsunterricht, der in einem Liebesduett gipfelt und sogar in einem Kuss. Danach ist für die fromme junge Frau das Ganze beendet und der große Sänger reist ab.
Dann, 16 Jahre später, steht Babette mit einem Schreiben von Achille vor der Tür. Er bittet um Aufnahme für die Französin. Sie musste aus ihrer Heimat fliehen, weil sie am Aufstand der Kommune beteiligt war.
Vierzehn Jahre sind vergangen, Babette ist im Haushalt der beiden Schwestern, und versorgt diese beiden. Die Schwestern dürfen sich nun , ganz wie die biblische Maria, dem Glauben und ihren Glaubensbrüdern widmen, sie haben ja nun eine Martha im Haus. ( Dieses Evangelium liebte unserer früherer Pfarrer und ich habe mich immer über die Geschichte geärgert. Wahrscheinlich weil ich auch die Rolle Marthas innehabe.)
Nun hat Babette tatsächlich in der Lotterie gewonnen und es ist zu befürchten, dass ihr das Geld eine Rückkehr nach Frankreich ermöglicht.
Die Anmerkungen hinten sind ganz nützlich, aber das meiste versteht man auch so.
Der erste Teil gibt einen schönen Einblick in die Geschichte. Die Figuren werden vorgestellt mit ihren Eigenheiten , gefällt mir alles sehr gut.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Das ist atmosphärisch dicht und realistisch von Tania Blixen auf wenigen Seiten auf sehr minimalistische, gleichwohl wirkungsvolle Art und Weise gestaltet und erzählt.
Das ist das Schöne an Erzählungen, da kommen Autoren gleich auf den Punkt. Jeder Satz, jede Begebenheit hat ihre Bedeutung. Das macht Tania Blixen großartig.

Babette als Verkörperung einer anderen Welt und zwar, eine, die bleibt. Die beiden Männer haben ja auch die Welt draußen verkörpert, sind aber beide gegangen.
 

otegami

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17. Dezember 2021
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Die Schwestern dürfen sich nun , ganz wie die biblische Maria, dem Glauben und ihren Glaubensbrüdern widmen, sie haben ja nun eine Martha im Haus. ( Dieses Evangelium liebte unserer früherer Pfarrer und ich habe mich immer über die Geschichte geärgert. Wahrscheinlich weil ich auch die Rolle Marthas innehabe.)
*Lach* nicht nur Du hast Dich über die Geschichte geärgert ;) ! Ich sagte immer, Jesus hätte sich schwer gewundert, wenn beide Gastgeberinnen nur zu seinen Füßen gesessen wären und ihm gelauscht hätten. Kein Essen? Kein Trinken? Nein! Beide hätten nur seinen Worten gelauscht! *Augenverdreh*
Ich interpretierte dieses Gleichnis immer als männliche Denke: viele (GottseiDank nicht alle *dankbaren Blick gen Himmel schick*) Männer sehen die Vorbereitungen als selbstverständlich an - das muss einfach laufen. Daran sieht man, dass das alte wie das neue Testament von Männern geschrieben wurde!
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Was für eine nette Geschichte haben wir denn hier? o_O:D Mich hatte die Autorin direkt mit dem ersten Satz und der ersten Anmerkung. Hier hätte ich vielleicht direkt einen Hinweis auf die Anmerkungen gesetzt, damit man als Leser weiß, dass es sie gibt. Nicht jeder guckt direkt hinten in das Inhaltsverzeichnis ha ha ha. Aber das ist nur ein minimaler "stylischer" Makel dieses wunderschönen Büchleins.
Mehr später :).
 
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Die Häsin

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11. Dezember 2019
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Rhönrand bei Fulda
Ich bin gleich wieder gefesselt von der unnachahmlichen feinen Ironie, mit der diese Geschichte erzählt ist. Das ist eine Spezialität von Tania Blixen. Sie verurteilt niemanden und macht sich über niemanden lustig. Trotzdem kann kein Zweifel bestehen, dass in folgenden Sätzen eine ironische Distanz mitschwingt:
"Auf Monsieur Papins Behauptung, daß Babette kochen könne, hatten sie kein Zutrauen gesetzt. In Fraknfreich, das wußten sie, aßen die Leute Frösche. Sie zeigte Babette, wie man Stockfisch und Brotsuppe mit Bier zubereitet."
Und später: "Die alten Brüder und Schwestern, die anfangs mißtrauisch auf die ausländische Weibsperson in ihrer Mitte geblickt hatten (....) bemerkten, daß Mühen und Sorgen aus deren (der Schwestern) Dasein fortgezaubert waren und daß sie nun Geld fortgeben konnten und Zeit hatten für die Heimlichkeiten und Klagen ihrer alten Freunde ..."
Jaja. Es ist immer schön, wenn Freunde plötzlich zu Geld kommen, dann können sie mir öfter mal einen ausgeben!
 

otegami

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17. Dezember 2021
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Trotzdem kann kein Zweifel bestehen, dass in folgenden Sätzen eine ironische Distanz mitschwingt:
"Auf Monsieur Papins Behauptung, daß Babette kochen könne, hatten sie kein Zutrauen gesetzt. In Fraknfreich, das wußten sie, aßen die Leute Frösche. Sie zeigte Babette, wie man Stockfisch und Brotsuppe mit Bier zubereitet."
Oh ja, darüber musste ich auch schmunzeln (und habe es mir markiert)! Wir wissen/ahnen ja schon (sagt ja auch schon der Titel), wie es weitergeht, und dass Babette kochen kann!
Wenn ich mir das so plastisch vorstelle: Babette (die schon mehr von der Welt gesehen hat und kochen kann) wird von Leuten (die nie aus ihrer Ortschaft rauskamen) gezeigt, wie Stockfisch und Brotsuppe zubereitet wird. Wahnsinn!
Wie mag es in Babette da ausgesehen haben? Ich kann mir nur vorstellen, dass es ihr egal war, weil sie überlebt hat. (Das war das Wichtigste für sie!)
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Wie mag es in Babette da ausgesehen haben? Ich kann mir nur vorstellen, dass es ihr egal war, weil sie überlebt hat. (Das war das Wichtigste für sie!)
Ich denke auch, dass sie es einfach "genossen" hat, da sie ja weiß, dass sie eigentlich was besseres kochen kann als Stockfisch und Brotsuppe. Interessant wäre zu wissen, wie lange sie dieses "Gastmahl" (zumindest im Kopf) schon geplant hat :cool:.
 

Literaturhexle

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2. April 2017
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Die Töchter Martine und Philippa waren außergewöhnlich hübsch und es fanden sich auch Verehrer ein.
Diesen Schilderungen hängt fast etwas Märchenhaftes an. Lorens hofft mit Hilfe der schönen, engelsgleichen Martine sein liederliches Leben hinter sich lassen zu können. Bei jedem Besuch fühlt er sich selbst "kleiner und elender". Achille empfindet Philippas Gesang als überirdisch, als eine Offenbarung.

Beiden Männern bleibt die Erfüllung ihrer Wünsche verwehrt, nicht zuletzt, weil sich der Vater "nicht seiner Hände berauben lassen will". Die Mädchen scheinen sich in das enthaltsame, gläubige Leben gefügt zu haben, man spürt nicht einmal den Ansatz einer Revolte.

Dann kommt Babette. Sie wird offenbar nach dem Gastmahl das Haus tatsächlich verlassen, das schließe ich aus dem letzten Satz auf S. 21

Von diesem Tag an hatten die beiden Schwestern das Gefühl, als sei der Reisesack ihrer Köchin aus dem fliegenden Teppich der Märchen genäht; wenn sie wollte, könnte sie sich darauf setzen und nach Paris entschwinden. 25
Kann man daraus interpretieren, dass die beiden Frauen doch eine gewisse Sehnsucht nach der weiten Welt haben? Auf alle Fälle ist das eine der Formulierungen, die mich sehr bezaubern. Babette spricht nicht über ihr Leben, hat ihre Geheimnisse. Mit der Teilnahme an der Lotterie scheint sie Hoffnungen zu verbinden.

Spannend erzählt finde ich die Veränderung der Gesellschaft, in die eine hässliche Missgunst Einzug gehalten hat, seitdem der Vater tot ist. Wird das Gastmahl die Risse wieder kitten?

Mit feinem Sarkasmus werden auch die Gefühle der Schwestern offengelegt. Lotterien sind Teufelswerk. "Sollen sie nun selbst wieder Stockfisch einweichen und Brotsuppe kochen?" Diese ach so frommen Schwestern haben durchaus ihre eigenen Interessen. Sie genießen es, die schweren Arbeiten abgeben zu können.

Ich bin sehr angetan von der Sprache, der feinen Ausgestaltung des Textes, der Beschreibung der Figuren. Diese kleine Inselgemeinschaft scheint nicht von dieser Welt zu sein. Der Vater regiert rigide, ich musste an eine klerikale Sekte denken. Seine Töchter fügen sich, wie es sich für weibliche Wesen gehört;). Als hilfreich empfinde ich die Anmerkungen insbesondere, was die Bibelstellen betrifft - so sattelfest bin ich nämlich nicht.

Gerne lese ich weiter:)
Zu erwähnen ist, dass ich weder Text noch Film kenne. Ich bin also ziemlich unbeeinflusst.
 

RuLeka

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30. Januar 2018
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Diese kleine Inselgemeinschaft scheint nicht von dieser Welt zu sein.
Sie stehen bzw. stellen sich außerhalb einer Welt, die sich zu sehr um irdische Dinge kümmert. Das kennt man von Sekten und sehr strengen evangelikalen Bewegungen, trotzdem kann Tania Blixen an dieser Gruppe allgemein gültige Verhaltensweisen aufzeigen.
 

kingofmusic

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30. Oktober 2018
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Als hilfreich empfinde ich die Anmerkungen insbesondere, was die Bibelstellen betrifft - so sattelfest bin ich nämlich nicht.
Das dürften die wenigsten sein :cool:. Aber ich finde die Anmerkungen auch sehr interessant. Besonders, dass Oslo früher Christiania hieß - wusste ich bisher nicht. Aber wenn wir im Urlaub dann in Oslo sind, kann ich vor meiner Familie mit diesem Wissen angeben ha ha ha. :D
 
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ulrikerabe

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14. August 2017
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Wien
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Die Schwestern dürfen sich nun , ganz wie die biblische Maria, dem Glauben und ihren Glaubensbrüdern widmen, sie haben ja nun eine Martha im Haus. ( Dieses Evangelium liebte unserer früherer Pfarrer und ich habe mich immer über die Geschichte geärgert. Wahrscheinlich weil ich auch die Rolle Marthas innehabe.)
Ich denke, müsste ich mich entscheiden zwischen "einem Mann zu Füßen sitzen, diesen anhimmeln" oder "in der Küche walten und schalten ohne dass mir jemand dreinredet" ich würde mich immer für die Küche entscheiden. :)